Nur ganz knapp hat Charles Leclerc in Silverstone ein rotes Wunder verpasst. Beim Großen Preis von Großbritannien führte der Monegasse in Ferrari-Diensten das Rennen nach der Kollision von Lewis Hamilton und Max Verstappen in der Startrunde 50 Umläufe lang an, ehe er dem nach seiner Zeitstrafe für den Verstappen-Crash wieder heranpreschenden Weltmeister doch noch den Vortritt lassen musste.

Am Boxenfunk nach dem Zieleinlauf ließ Leclerc zunächst seinem Frust freien Lauf. "Ich bin so enttäuscht", funkte der Ferrari-Pilot. Wenig später hatte Leclerc dennoch erkannt, welch große Leistung er dennoch auf den Asphalt gebrannt hatte. "Es sind 50 Prozent Frust und 50 Prozent Zufriedenheit", sagt Leclerc. "Vor diesem Wochenende gab es absolut keine Hoffnung, in Silverstone um den Sieg zu fahren. Das zeigt, welch tollen Job wir als Team machen."

200 Prozent Charles Leclerc gegen Hamilton nicht genug

Pure Freude seien dennoch nicht möglich. "Es ist schwierig, es hundertprozentig zu genießen", sagt Leclerc. "Es war ein unglaubliches Rennen, ich habe 200 Prozent gegeben. Es war alles, was ich hatte, aber es war in den letzten beiden Runden einfach nicht genug. Es hat im Auto Spaß gemacht, aber mir hat am Ende einfach dieses letzte bisschen Pace gefehlt."

Das ist tatsächlich wörtlich zu nehmen. Die größeren Probleme verortete Leclerc im zweiten Stint. Dabei war es die Phase vor dem Reifenwechsel gewesen, in der Leclerc mehrfach Probleme mit seiner Power Unit meldete. Aussetzer habe es gegeben, so der Monegasse. Ein Mapping-Problem, wie Ferrari später erklärte.

Motorproblem am Ferrari: Leclerc fürchtete Ausfall

"Nach den Motorenproblemen im ersten Stint dachte ich schon, dass mein Rennen vorbei ist. Da hatte ich am Lenkrad echt viel zu tun. Aber wir haben das sehr gut gemanagt und haben es geschafft, diese Motorenaussetzer für das restliche Rennen zu verringern", berichtet Leclerc.

Auf den Medium-Reifen hielt der Monegasse seine Führung vor Hamilton dennoch souverän. Als der Weltmeister schließlich an die Box fuhr, blieb Leclerc noch länger draußen. Die Reifen hatten noch immer Körner übrig. Den Undercut musste er auch nicht abwehren. Wegen der Strafe gegen Hamilton musste der Brite vor seinem Stopp zehn Sekunden warten.

Formel 1: Leclerc auf harten Reifen Hamilton nicht gewachsen

So fuhr Leclerc im Schlussstint mit frischeren Reifen als der Weltmeister. Dennoch begannen nun die Probleme. "Besonders auf dem Medium waren wir schnell. Auf dem Hard fehlte verglichen mit Mercedes ein bisschen Pace", erklärt Leclerc. So holte Hamilton den Ferrari-Fahrer Runde um Runde ein. "Ich habe bis zum letzten Moment daran geglaubt. Mein Ingenieur hat mir Lewis Pace auf den harten Reifen durchgegeben, da dachte ich schon, dass das schnell ist. Aber ich habe 200 Prozent gepusht", berichtet Leclerc.

Doch selbst 200 Prozent waren gegen einen entfesselten Hamilton im besseren Auto nicht genug, um die Position zu halten. Mit einem ähnlichen Manöver wie zuvor gegen Verstappen zog der Brite innen in Copse an Leclerc vorbei. Diesmal ging allerdings alles gut, zumindest gab es keine Berührung. Leclerc allerdings ging extrem weit. Daran sei allerdings nicht Hamilton schuld gewesen. Leclerc: "Ich wusste, dass Lewis innen war. Ich habe Platz gelassen und bin vorne geblieben, aber ganz am Ende der Kurve habe ich einen Quersteher bekommen und habe etwas Zeit verloren und Lewis kam an mir vorbei", schildert der Ferrari-Pilot.

Leclerc auf Logenplatz: Hamilton vs. Verstappen Rennzwischenfall

Auch im Duell Verstappen vs. Hamilton weist Leclerc dem Briten keine klare Schuld zu. Den Zweikampf erlebte Leclerc immerhin von einem Logenplatz. Valtteri Bottas hatte der Monegasse nämlich schon am Start kassiert. "Ich denke, dass es ein Rennzwischenfall war. Es ist schwer, da den einen oder anderen zu beschuldigen. Innen war vielleicht noch etwas Platz. Vielleicht war Lewis nicht ganz am Scheitel, aber Max war außen auch ziemlich aggressiv. Da passiert sowas mal", analysiert Leclerc. "Das Wichtigste ist heute, dass Max unverletzt und in Ordnung ist."

Direkt danach kommt aus Ferrari-Sicht die eigene Stärke. "Nach dem Qualifying habe ich zwar schon erwartet, recht konkurrenzfähig zu sein, aber nicht so sehr wie jetzt. Dass ich um den Sieg kämpfen konnte, war unglaublich", schwärmt Leclerc. "Es ist gerade keine leichte Situation für uns, aber das zeigt, wie stark wir sind. Es war toll mit Lewis zu kämpfen, aber das sollten wir in Zukunft jetzt nicht immer erwarten."

Dank der 18 Punkte für Platz zwei liegt Leclerc in der WM-Wertung nun mit 80 Punkten auf dem sechsten Rang, zwölf Zähler vor seinem Teamkollegen Carlos Sainz. Lando Norris (113), Valtteri Bottas (108) und Sergio Perez (104) liegen wieder in Reichweite.