Nach mehr als einem Jahr hat Sebastian Vettel seine Podest-Flaute in der Formel 1 endlich ein für alle Mal beendet. In einem chaotischen Rennen beim Großen Preis der Türkei 2020 in Istanbul katapultierte sich der Ferrari-Pilot zum ersten Mal seit Mexiko 2019 wieder auf das Treppchen und sicherte sich damit auch den Titel als offizieller Fahrer des Tages. Vor allem ein exzellenter Start auf nasser Strecke und ein furioses Finish in den letzten drei Kurven sorgten für die 121. Champagner-Freuden des viermaligen Weltmeisters in der Formel 1.

„Ich habe es natürlich vermisst“, sagte Vettel über seine Rückkehr auf das Podium. „Ich habe den Pokal hier gesehen und gedacht: ‚Der ist es wert!’ Alle anderen dieses Jahr haben mich nicht interessiert“, scherzte der Ferrari-Pilot. „Nein - es ist ein schöner Pokal, aber es war einfach ein intensives Rennen und bei solchen Bedingungen kannst du einfach einen größeren Unterschied machen.“

Sebastian Vettel am Start von P11 auf P4

Damit legte Vettel gleich auf den ersten Metern los. Vom elften Platz aus gestartet, katapultierte sich Vettel sofort vorbei an den beiden Alfa Romeo, auch die Red Bull beschleunigte Vettel noch vor dem ersten Bremspunkt aus. Vettel war also schon Siebter, als sich in der ersten Kurve die Renault und Valtteri Bottas ins Gehege kamen, der Deutsche einfach innen durchschlüpfte. P4. Noch in der ersten Runde kassierte Vettel auch den späteren Sieger Lewis Hamilton, lag nun - bis zu seinem ersten Boxenstopp in Runde sechs - bereits auf Podestkurs. Den klar schnelleren Red Bull von Max Verstappen hielt der Heppenheimer gekonnt hinter sich.

„Es war ein guter Start. Ich habe antizipiert, dass es von der Linie weg sehr rutschig sein würde und so habe ich da schon ein paar Plätze gutgemacht“, berichtete Vettel. „Dann war ich keiner von denen, die in der ersten Kurve alles versucht haben. Ein Renault hat sich gedreht und alle, die in dieser Gruppe waren, wurden so nach außen gedrückt, sodass ich einfach die Innenlinie nehmen und viel Boden gewinnen konnte.“

Ferrari auf Regenreifen im Rennen etwas besser

Daraufhin habe er in seinem kurzen ersten Stint so ziemlich freie Bahn gehabt. Endlich einmal. „Davon habe ich zu Rennbeginn profitiert“, freute sich der Deutsche. Regelmäßig hatte Vettel 2020 schon darauf verwiesen, die schwachen Ergebnisse dieses Jahres seien vor allem das Resultat schlechter Qualifyings - wobei es das auch nicht besser mache. Im Verkehr und im engen Mittelfeld gehe im Rennen dann eben selten was, so das Leitmotiv seiner Aussagen in der F1-Saison 2020. Daran erinnerte Vettel auch in Istanbul.

In der Türkei entkam Vettel also endlich den Klauen des Mittelfelds. Mit den Regenreifen fühlte sich Vettel zu Rennbeginn allerdings noch immer nicht wirklich wohl, war nur etwas glücklicher als im Qualifying. „Gestern hatten wir vor allem auf den Regenreifen zu kämpfen. Heute war das ein bisschen besser, aber auf den Regenreifen hatten wir noch immer eine Schwäche. In den ersten Runden sind Checo und Lance, im Vergleich zu uns, da noch immer geflogen. Da gibt es also noch immer etwas zu lernen mit den Regenreifen“, forderte Vettel. „Auf den Inters waren wir etwas besser.“

Vettel: Hätte auf Inter aggressiver sein müssen

Schwierig sei es mit den grün markierten Reifen dennoch gewesen - allerdings selbstverschuldet, gestand Vettel. „Als wir auf Intermediates gewechselt sind, hat es etwas zu lang gedauert, um damit den Groove zu finden. So habe ich ein paar Plätze verloren, später habe ich das Feld dann wieder eingeholt. Ich hatte dann auch noch für ein paar Runden einen guten Kampf mit Lewis. Dann sind wir wieder an die Box, die Reifen haben dann schnell Graining bekommen. In diesem Teil des Rennens war ich dann vielleicht zu konservativ, sonst hätte es vielleicht sogar noch besser sein können“, sagte Vettel - trotz des guten Resultats noch selbstkritisch. „Da hätte ich aggressiver sein müssen, um schneller durch die Graining-Phase zu kommen.“

Am Ende wäre es dann vielleicht weniger aufregend geworden, so Vettel. „Aber besser in Sachen Position. Nichtsdestotrotz bin ich happy, am Ende konnte ich die Lücke schließen. Checo war voll am Limit, ich denke nicht, dass er noch irgendwas in seinen Reifen hatte - nicht einmal mehr eine Runde", sagte der Ferrari-Pilot. "Ich habe aus der letzten Kurve hinaus noch gehofft, von der Traktion zu profitieren, aber er hat es über die Linie gerettet. Charles hatte einen Fehler, es war sehr eng zwischen uns drei.“

Vettel kontert spät gegen Leclerc: Krimi in letzten Kurven

Damit schilderte Vettel sein furioses Finish. Erst in der drittletzten Kurve sicherte sich der Ferrari-Pilot das Podium. Teamkollege Charles Leclerc hatte ihn zuvor überholt - wegen der von Vettel selbst genannten eigenen Zurückhaltung auf den Intermediates. Doch als Leclerc den stark mit abbauenden Reifen kämpfenden Racing Point nach der langen Geraden überholen wollte, verbremste sich der Monegasse, ging weit. Vettel schlüpfte innen durch. Das Podium war erreicht. Beinahe zog Vettel aus der letzten Kurve auch noch an Perez vorbei, doch da endete sein Glück.

Sergio Perez rettete sich knapp vor Vettel ins Ziel, Foto: LAT Images
Sergio Perez rettete sich knapp vor Vettel ins Ziel, Foto: LAT Images

„Schade, dass ich aus der letzten Kurve mit der Traktion zu kämpfen hatte“, haderte Vettel. Mit Platz drei könne er dennoch zufrieden sein. „Es war ja eine Weile ... Es ist schön, wieder einen Pokal mit nach Hause zu nehmen“, sagte Vettel. „Wir hatten ein hartes Jahr.“

Vettel spekulierte auf Slicks: Gab Siegchance

Nach rund zwei Renndritteln spekulierte Vettel sogar kurzzeitig auf einen noch ganz anderen Pokal - nämlich den für den Sieger. Wäre es nach dem Hessen gegangen, so hätte Ferrari ruhig komplett zocken und auf Slicks wechseln können. „Die ganze Zeit“ habe er das überlegt, so Vettel. „20 Runden vor Schluss habe ich schon an Trockenreifen gedacht, denn die Strecke trocknete konstant ab und die Reifen waren sowieso schon verschlissen. Wir hatten am Ende eigentlich schon Slicks! Ich glaube, es hat sich einfach nur keiner getraut.“

Für die konservative Entscheidung Ferraris zeigte Vettel hier jedoch Verständnis. „Wir waren in einer Position für gute Punkte, deshalb kann verstehen, dass wir das halten wollten. Noch dazu war Regen für die letzten Runden angesagt. Sonst weiß ich nicht ... vielleicht hätten wir es noch versuchen sollen. Denn die Strecke war an manchen Stellen schon trocken, an anderen noch feucht, ja. Aber insgesamt war es stabil. Die Reifen waren auch schon so ziemlich runter. Fast wie ein Slick. In dem Fall ist der Slick dann schneller. Ich hätte sie gerne aufgesteckt, denn das wäre eine Chance gewesen, zu gewinnen. Aber ich bin mit Platz drei genauso zufrieden. Viel mehr hätten wir nicht herausholen können.“

Der Vorstellung gänzlich abgeneigt zeigte sich Ferrari ohnehin nicht. "Ich würde das Rennen gerne noch einmal wiederholen und Seb auf Slicks stecken, um zu schauen, was passiert", sagte Sportdirektor Laurent Mekies, in Istanbul Stellvertreter des in Maranello weilenden Mattia Binotto. "Aber am Ende musst du in dem Moment entscheiden und das Bestmögliche versuchen. Es geht da um sehr feine Faktoren. Wären am Ende nur ein paar Tropfen Regen gekommen, hättest du schon ein ganz anderes Bild gehabt."

Ferrari im WM-Stand plötzlich dran an Renault

Durch das Podium Vettels und Leclerc auf Platz vier erzielte Ferrari in der Türkei mit insgesamt 27 Punkten das mit Abstand beste Saisonergebnis. Im WM-Stand rückte die Scuderia (P6) damit bis auf sechs Punkte an Renault (P5) heran. An eine Attacke auf die Franzosen hatte in Maranello schon niemand mehr realistisch geglaubt. Renault erzielte in Istanbul nur einen Punkt, Ferrari-Verfolger AlphaTauri ging sogar komplett leer aus, liegt nun beruhigende 41 Zähler zurück. "In Sachen Meisterschaftsposition bei den Konstrukteuren ist es noch nicht vorbei, das ist ermutigend", sagte Teamchef Binotto in einer Video-Botschaft aus Maranello.

In der Fahrerwertung verbesserte sich Vettel von P14 auf P13, Leclerc stagnierte auf P5. "Ich freue mich sehr für Sebastian. Ich denke, dass das Podium für ihn sehr wichtig ist. Es war eine schwierige Saison für ihn. Heute hat er ein gutes Ergebnis geholt. Er war sehr konstant, hat die Reifen gut gemanagt und seine Position verteidigt. Auch die letzte Runde - da hat er die Gelegenheit ergriffen", lobte Binotto. "Klasse für ihn!"