Er wird gerne als der "große Schweiger aus dem Norden" oder als "Ice Man" bezeichnet. Aber auf den 26-jährigen Kimi Räikkönen treffen nicht nur die Attribute ruhig, stumm, eiskalt, cool oder unterkühlt zu. Für ihn gelten vor allem die Eigenschaften jung, schnell und erfolgreich.

Nach nur 23 absolvierten Autorennen durfte Kimi im Jahr 2000 erstmals für das Schweizer Sauber Team einen F1-Boliden testen, um im Folgejahr direkt als Stammpilot in die F1-Welt einzusteigen. Damals beeindruckte der Mann aus Espoo bereits bei seinem ersten F1-Test für Sauber im italienischen Mugello seine Chefs.

So nahm alles seinen Anfang: Kimi bei seinem 1. F1-Test., Foto: Sutton
So nahm alles seinen Anfang: Kimi bei seinem 1. F1-Test., Foto: Sutton

Jost Capito erinnert sich: "Wir waren alle sehr enthusiastisch und Willy Rampf, Jacky Eeckelaert und ich waren in Mugello um zu sehen was passiert", blickt der spätere Ford-Chef auf den ersten Sauber-Test des jungen Räikkönen zurück. "Nun, der Junge war einfach absolut unglaublich. Er wusste von Anfang an was er machte, er war ruhig und extrem professionell. Und er war schnell. Er war von Beginn an sehr schnell. Es war egal wie wenig Erfahrung er hatte, er fuhr dieses Auto mit einem Speed und einer Präzision als ob er damit geboren worden wäre."

Kimi selbst empfindet seine erste Ausfahrt in einem F1-Boliden rückblickend als "superschön": "Ein völlig neues Gefühl. 600 PS mehr als in irgendeinem anderen Auto, das ich bis dahin in den Fingern hatte. So ein Ding ist einfach viel besser zu fahren! Es hat viel mehr Haftung", kann sich Kimi noch genau an seinen ersten Testtag erinnern. "Natürlich wird auch so ein Auto schwierig, wenn man es am Limit fährt. Damals habe ich das noch nicht getan, es war also leichter fahren, so wie man es von einem Formel 1 Wagen auch erwartet. Es bleibt fester auf der Straße, hat mehr Geschwindigkeit in den Kurven und die Fliehkräfte sind viel heftiger."

Schon an jenem Wintertesttag in Mugello stellte man bei Sauber fest: "Kimi hat etwas ganz Besonderes." Dies bestätigt auch der Physiotherapeut der Hinwiler Josef Leberer, der den jungen Finnen auf die hohen Anforderungen der Königsklasse des Motorsports vorbereitete. "Er hat diesen absoluten Erfolgswillen, diesen Siegeshunger bei allem, was er macht, dazu eine absolute Konzentrationsfähigkeit, wie man das alles zusammen normalerweise nur bei den ganz großen Champions findet."

Der Ice Man mag seinen Beinamen gar nicht., Foto: Sutton
Der Ice Man mag seinen Beinamen gar nicht., Foto: Sutton

Nur ein Jahr später machte sich Räikkönen dann auf den Weg ein solch großer Champion zu werden. Er verließ das Sauber Team in Richtung McLaren Mercedes. Unter diesem Gesichtspunkt mutet es fast schon lächerlich an, dass FIA-Präsident Max Mosley dem jungen Finnen die notwendige Superlizenz zu Beginn der Saison 2001 nur auf einer Race-by-Race-Basis erteilte.

Aber schon zur Saisonmitte beim Großen Preis von Kanada 2001 sollte sich das Blatt wenden. Dann nämlich als Kimis Landsmann Mika Häkkinen den jungen Saubermann in Montreal auf die McLaren Teamparty mitbrachte und Silberpfeil-Teamboss Ron Dennis Kimi im Smalltalk fragte: "Möchten Sie eines Tages für uns fahren?" Die Antwort Räikkönens, welche er heute als Scherz beschreibt, hätte jeden anderen Piloten wohl alle Chancen auf ein silbernes Cockpit gekostet: "Nein danke! Ich fahre lieber ein rotes oder blaues Auto, denn damit kann ich Weltmeister werden."

Dennis setzte diesen frechen Finnen jedoch nicht auf die Blacklist jener F1-Piloten, welche niemals eine Chance bekommen werden einen Silberpfeil zu pilotieren. Stattdessen weckte diese kecke Antwort das Interesse des ebenso erfolgsverwöhnten wie erfolgshungrigen Teamchefs. Nur wenige Monate später wurde Kimi als Nachfolger von Mika Häkkinen als Stammpilot für die Saison 2002 präsentiert und parallel dazu einige Millionen auf ein Schweizer Bankkonto des Sauber Teams überwiesen.

Kimi mag es schön kühl., Foto: West
Kimi mag es schön kühl., Foto: West

Eine nicht unwesentliche Rolle spielte in diesem Zusammenhang Kimis Landsmann Mika Häkkinen. Räikkönen selbst bezeichnete den Doppelweltmeister damals jedoch nur als "einen Freund". Während sich Kimi seinerzeit also in seinen ersten F1-Jahren alleine durchschlagen wollte, sagt Häkkinen heute offen: "Er ist ein echter Freund – Erja und ich haben schon zusammen mit Kimi und Jenni Silvester in Helsinki gefeiert und wir hatten viel Spaß."

Deswegen ist es vollkommen offensichtlich, wie die Sympathien des Ex-Doppelweltmeisters verteilt sind: "Alles andere wäre gelogen: Ich würde mich freuen, wenn mein Freund Kimi Weltmeister würde." Eine gewisse Eifersucht ergreift Mika aber nicht, wenn er Kimi in seinem Cockpit, mit seinem Team und seinem Physiotherapeuten im Fernsehen sieht. Stattdessen sei es "großartig ihn in meinem Auto zu sehen".

Als großen Bruder von Kimi möchte sich Mika allerdings auch nicht verstanden sehen. "Nein! Er hat ja tatsächlich einen großen Bruder", merkt der zweifache Familienvater an. "Rami Räikkönen ist ein wirklich guter Rallyefahrer in Finnland. Ich fühle mich also nicht wie sein großer Bruder, sondern wir sind einfach sehr eng miteinander befreundet."

Kimi führt die erfolgreiche finnische McLaren-Tradition fort., Foto: xpb.cc
Kimi führt die erfolgreiche finnische McLaren-Tradition fort., Foto: xpb.cc

Und das meint Mika ehrlich: "Ich mag ihn sehr – aus tiefstem Herzen." Für Häkkinen ist Kimi auch nicht der wortkarge, stumme Ice Man, wie ihn Teamboss Ron Dennis getauft hat. Für Dennis charakteristiert dieses Synonym "seine Persönlichkeit".

Für Mika zeichnen Räikkönen allerdings ganz andere Eigenschaften aus: "Kimi mag still sein, aber er hat einen sehr starken Charakter. Er geht seinen eigenen Weg und mag es nicht, Anweisungen zu bekommen", so Häkkinen. "Er ist eine tolle Persönlichkeit und hat die richtige Einstellung. Er respektiert die anderen – seine Eltern, seine Freunde, einfach alle. Er hat das Herz auf dem rechten Fleck." Und was für einen F1-Piloten am Wichtigsten ist: "Er ist sehr schnell und sehr beständig."

Schnelligkeit und Beständigkeit: Für Kimi nichts Besonderes, denn er traute sich schon zu Zeiten der roten Dominanz zu "Michael zu schlagen": "Manchmal glaube ich daran, alle Rennen gewinnen zu können." Eine Aussage, welche Häkkinen als typisch für Kimi erachtet. "Das ist Kimi! Er ist genauso, er hat ein riesiges Selbstvertrauen. Selbstvertrauen wie ein Champion."

Die vielen Ausfälle ließen ihm 2005 nur wenig Grund zum Lachen., Foto: Sutton
Die vielen Ausfälle ließen ihm 2005 nur wenig Grund zum Lachen., Foto: Sutton

Allerdings sieht er sich trotz der Imagekampagne seines Teamchefs nicht als Ice Man. "Man nennt mich den Ice Man, das ist nett, aber nicht zutreffend", sagt Kimi. "Es ist schwer, über sich selbst zu sagen, man sei der Beste. Aber ich kann mich in jedem Jahr weiter steigern. Und das ist großartig, oder?"

Wenn die Technik mitspielt allemal. So wie bei seinem ersten Grand Prix Sieg in Malaysia. Als etwas Besonderes, dass ihn noch besser gemacht hat, sieht Kimi seinen Triumph in der Hitze von Sepang jedoch nicht an. "Das bedeutet wirklich nichts", sagt er seinem Image entsprechend ganz cool. "Ich denke, es sagt einem, dass man gewinnen kann, das ist aber auch alles. Es macht dich nicht eine halbe Sekunde schneller, nur ein bisschen zuversichtlicher. Vielleicht weiß man nun, dass man mit einem guten Paket an einem guten Tag Rennen gewinnen kann, aber das ist alles."

Man sollte meinen, dass dies mehr als genug ist und auch mehr als so manch anderer F1-Fahrer je in seiner Karriere erreichen wird. Doch Kimi ist nicht einfach nur "manch anderer F1-Fahrer". Er möchte Weltmeister werden. Und auf dem Weg zu diesem großen Ziel war der Sieg in Malaysia nur eine erste Station. Andererseits war es auch eine Erleichterung nach der Enttäuschung des verlorenen Frankreich GP von 2002, als Kimi in Führung liegend auf dem Öl des gestrandeten Allan McNish ausrutschte und Michael Schumacher zum Sieger und vorzeitigen Weltmeister machte. Das gibt Kimi dann doch zu.

Die F1 hat schon gesprächigere Gesellen erlebt., Foto: Sutton
Die F1 hat schon gesprächigere Gesellen erlebt., Foto: Sutton

"Yeah, ich glaube es war die größte Erleichterung überhaupt. Nur zu wissen, dass man dazu in der Lage ist Rennen zu gewinnen ist großartig, denn vorher dachte man zwar, dass man gewinnen kann, doch man war sich nie zu 100% sicher bevor man es nicht auch geschafft hat", freut sich der Eishockey-Fan natürlich über seinen Erfolg. "Natürlich ist es schön zum ersten Mal zu siegen. Es ist immer schön zu siegen, aber besonders beim ersten Mal."

Dabei hat der junge Finne nie daran gedacht etwas anderes zu machen als Autorennen zu fahren und selbstverständlich zu siegen. "Ich habe nie etwas anderes getan. Ich habe mit fünf Jahren mit Motocross angefangen, weil aber die Motorräder den Rasen in unserem Garten so kaputtgemacht haben, kauften mir meine Eltern ein Kart."

Angst kennt der "Ice Man" jedoch nicht. "Bis jetzt noch nicht", fügt er hinzu. Nervös ist er aber schon hin und wieder. "Sicher, beim Fahren wird man manchmal etwas nervös, etwa kurz vor dem Qualifying. Aber das ist normal."

Kimi nimmt gerne ein Handtuch vor den Mund..., Foto: Sutton
Kimi nimmt gerne ein Handtuch vor den Mund..., Foto: Sutton

Die Gefahr mit über 330 km/h Rad an Rad über enge Rennstrecken zu rasen, die Tatsache sein Leben dem Rennwagen anzuvertrauen, macht Kimi nichts aus. "Daran denkt man gar nicht. Wenn man sein ganzes Leben Rennen gefahren hat, dann versucht man nur, so schnell wie möglich zu fahren und wünscht eher, dass man noch mehr PS und Speed hätte."

Noch mehr Popularität wünscht sich Kimi allerdings nicht. Denn in Finnland wird er "überall erkannt". Was einerseits Vorteile mit sich bringt, etwa "wenn man schnell einen Flug umbuchen will oder um einen Tisch im Restaurant fragt", kann andererseits aber auch dazu führen, dass er "ständig unter Beobachtung" steht und nie für sich allein ist. "Da gelangen dann oft mal Halbwahrheiten oder reine Erfindungen in die Schlagzeilen – das ist dann nicht mehr so angenehm."

Beispiele dafür gab es in den letzten Jahren zuhauf. Trotzdem oder gerade deswegen merkt Kimi aber an, dass die Formel 1 ihn "als Menschen sicher gar nicht" verändert habe.

"Ich habe nur weniger Freizeit als früher. Und ich kann nicht mehr ungestört ausgehen", sieht Kimi sich nicht anders als vor seinem Einstieg in die Königsklasse. "Früher kannte mich keiner. Heute steht alles sofort in der Zeitung. In Finnland bin ich nicht mehr so gern, weil dort alle auf der Lauer sind und sofort allerlei Scheißgeschichten über mich schreiben."

Wenn sein Auto hielt, war er meistens der Schnellste., Foto: Sutton
Wenn sein Auto hielt, war er meistens der Schnellste., Foto: Sutton

Aber in seiner neuen Heimat im Schweizer Wollerau kann er sich "noch frei bewegen". "Da fragen sie höchstens mal nach einem Autogramm. Ich bin viel lieber in der Schweiz. Da gibt es mehr Platz und es ist nicht so wahnsinnig klein wie Monaco."

Aber nicht nur das: "Es ist sehr entspannt hier. Ich mag keine großen Städte. Zu viel Hektik. Die Schweiz ist ein wenig wie Finnland, viel Schnee." Zudem mag Kimi es "umgeben von Natur zu leben". "So bin ich auch aufgewachsen, das passt viel besser zu mir als eine Stadt."

Seine wenigen freien Tage verbringt er "am liebsten zu Hause". In aller Ruhe und Abgeschiedenheit. Doch bei all den Rennen, PR-Terminen und Testfahrten, welche er eher als Pflichtübung für die Ingenieure und nicht als Weg neue revolutionäre Setup-Ideen auszuprobieren ansieht, bleibt dafür natürlich nicht viel Zeit.

Trotzdem weiß Kimi natürlich wie wichtig es ist sich immer weiter zu entwickeln – und zwar sowohl als Fahrer als auch die Technik die Autos. "Man lernt nie aus", betont Räikkönen. "Ich glaube nicht, dass man schneller fährt, je erfahrener man wird, aber man wird einfach besser. Man lernt, sich an wechselnde Bedingungen anzupassen, beständiger zu sein, weniger Fehler zu machen."

2006 möchte Kimi den Titel feiern., Foto: Sutton
2006 möchte Kimi den Titel feiern., Foto: Sutton

Eine Entwicklung, welche Niki Lauda bei Räikkönen schon vor Jahren ausgemacht hat: "Kimi wird dieses Jahr noch besser, gescheiter und erfahrener sein." Und auch Gerhard Berger betont, dass Kimi "schon bewiesen hat wie gut" er ist. "Er ist konstant schnell, unerschrocken und respektlos."

Als einzige "relative Schwäche" hat Berger derweil die Unerfahrenheit des jungen Finnen ausgemacht, "aber das wird mit jedem Jahr perfekter." So habe Kimi schon 2003 "die wenigsten Fehler von allen gemacht – Schumi inklusive": "Er erinnert mich bereits an Mika Häkkinen, ist aber stärker als der junge Mika. Der ist in Kimis jetzigem Alter noch lange nicht so aufgefallen."

Also scheint Räikkönen alles zu besitzen, um seinem Freund Mika nachzueifern und seinerseits Weltmeister zu werden. Die nächste Gelegenheit dazu bietet sich in der Saison 2006. Mit ein bisschen weniger Pech und einem standfesteren Arbeitsgerät, könnte sich dann auch eine Vorhersage unseres Kollegen Matt Bishop aus dem Jahre 2003 bewahrheiten: "Er könnte bald einer der beneidenswertesten Männer überhaupt sein: Formel 1 Weltmeister, ein Model zur Frau und Millionen auf dem Konto. Dabei ist er gerade einmal 24 [heute 26, d. Red.]. Eine unglückliche Existenz sieht anders aus."