Die Formel 1 will und muss die Coronavirus-Krise nutzen, um die für 2021 gesetzte Kostengrenze zu senken. Darüber sind sich wegen der wirtschaftlichen Gefahren der Krise alle eigentlich einig. Aber wie tief darf sie sein? Jetzt beginnen sich die Fronten zu verhärten. Das F1-Mittelfeld sieht die Chance zum Anschluss, doch an der Spitze des Feldes hat allen voran Ferrari nur bedingt Lust, extreme finanzielle Einschnitte vorzunehmen.

Der Frust der Mitbewerber beginnt sich nun, nach mehreren internen Meetings zwischen den Teams, den F1-Besitzern Liberty Media und den Regelhütern FIA, öffentlich zu entladen. Ferrari-Teamchef Mattia Binotto beklagte zuerst in einem Interview mit dem 'Guardian', dass schon 145 Millionen Dollar eine Herausforderung seien, und dass Ferrari zu mehr nicht bereit sei. Das war McLaren-CEO Zak Brown zu viel.

Brown und McLaren hielten noch am Donnerstag eine eigene Presserunde ab, und gingen zum Angriff über. "Wenn ich mir diverse Kommentare ansehe - ich bin immer für eine gute, gesunde Debatte, aber die Kommentare passen nicht zusammen, widersprechen sich, und reflektieren nicht das, was ich als Realität sehe", eröffnete Brown das 30-minütige Gespräch.

Brown und McLaren präsentieren sich seit Wochen öffentlich als Sprachrohr des Formel-1-Mittelfeldes. Anfangs noch vorsichtig, ohne direkt Namen der politischen Gegner zu nennen. Damit ist es jetzt vorbei. Dezidiert geht Brown am Donnerstag auf die Kommentare von Mattia Binotto ein: "Jetzt sind wir in einer Situation, in der wir ein enormes Risiko für die Formel-1-Zukunft eingehen, wenn wir in alte Gewohnheiten zurückfallen."

DNA und Kundenautos? Ferrari widersprüchlich, hängengeblieben

Ferraris Angst, dass eine Grenze unter 130 Millionen US-Dollar die DNA der Formel 1 und die Position als Königsklasse des Motorsports gefährden könnten, versteht Brown nicht: "Wir alle kennen den Sport gut genug um zu wissen, dass es keinen Motorsport gibt, der dem technischen Level der Formel 1 nahe kommt. Und vergesst nicht, die 130 Millionen sind nur ein Teil. Je nachdem, was du für Fahrer, Motoren bezahlst, bist du noch immer über 200 Millionen."

"Das widerspricht auch einer angebotenen Lösung, Kundenautos", so Brown weiter. Ferrari und Red Bull hatten vorgeschlagen, dem Mittelfeld ihre Autos zu verkaufen und die Teams so von Entwicklungskosten zu befreien. McLaren, selbst Konstrukteur, ist das zuwider: "In der Formel 1 geht es um Konstrukteure, und Kundeautos gibt es seit Jahren nicht mehr. Ich sehe nicht, wie diese Lösung mit dem Kommentar über die DNA der Formel 1 als Konstrukteurs-WM zusammenpasst. Fühlt sich wie eine Lösung aus den 70ern an."

Brown ortet Realitätsverweigerung: Größte F1-Krise aller Zeiten

Ferrari hatte auch davor gemahnt, in unsicheren Zeiten überhastet zu reagieren. "Da fehlen mir fast die Worte", sagt Brown. "Länder riegeln ab, die Industrie sperrt zu. Da keinen Stress bei Lösungen zu haben ist ein kritischer Fehler, das ist Realitätsverweigerung."

Die Kritik der Top-Teams, dass das Mittelfeld nur auf billige Wettbewerbsfähigkeit und einen Gewinn aus ist, irritiert Brown genauso. "Leider machen nicht wirklich viele Teams überhaupt Gewinn", beklagt er und geht ins Detail: "Zwei Dinge: Zuerst einmal das Ökonomische, dass man sich den Sport leisten kann. Und ich glaube, dass jeder das Recht hat, wettbewerbsfähig zu sein."

Die Kostengrenze könnte nämlich endlich erreichen, dass mehr als nur drei Teams vorne mitfahren, was Brown vor allem im Sinne der Fans sieht: "Wir wollen keinen Wettbewerbsvorteil, wir wollen nur mit einem gleich großen Schläger wie alle anderen spielen, und das beste Team gewinnt".

Brown zündelt weiter bei Ferrari-FIA-Motorenstreit

Ferraris Beschwerde, dass man bei Kürzungen viele Mitarbeiter kündigen müsste, kann Brown grundsätzlich verstehen. Bei der Wortwahl von Binotto - man habe eine "ethische Verpflichtung" den Mitarbeitern gegenüber - kann er sich nur einen Kommentar nicht verkneifen: "Ich bin immer für Ethik. An der Stelle wäre es großartig, wenn Mattia mit uns teilen würde - da die FIA freiwillig dazu bereit wäre -, was die Details zur geheimen Vereinbarung sind, die sie über die angeblichen Regelverstöße bei ihrem Motor geschlossen haben."

Brown: Formel 1 ohne Ferrari vorstellbar, aber ungewollt

Im Anschluss unterstreicht Brown noch einmal seine Forderungen: Er und ein Großteil des Mittelfeldes wollen eine Kosten-Obergrenze nahe der 100-Millionen-Dollar-Marke sehen, bis zu 125 Millionen wäre für McLaren durchaus vertretbar. Die FIA und das Formel-1-Management glaubt Brown hinter seinen Forderungen zu wissen: "Ich will nicht für FIA und Formel 1 sprechen, aber ich glaube, man wird sehen, dass wir übereinstimmen, was die Richtung des Sportes angeht."

Formel 1 News-Update: F1 für 100 Millionen pro Team?: (13:00 Min.)

Inzwischen scheint es überhaupt nur mehr um Ferrari zu gehen. Mercedes schien schon früh die Sorgen des Mittelfeldes zu verstehen, inzwischen schlägt Brown auch gegenüber Red Bull versöhnliche Töne an. Kann das Ferraris F1-Zukunft also in Frage stellen, wenn sie sich als einziges Team querlegen? "Ich glaube, der Sport kann mit 18 Autos auf dem Grid überleben", meint Brown. "Die anderen Motorhersteller könnten die zwei von ihnen ausgestatteten Teams übernehmen."

Daher will er weiterhin hart bleiben. "Wenn wir andererseits die Kostengrenze zu hoch setzen und damit die Leute vertreiben, die das aus ihrer eigenen Tasche bezahlen, dann glaube ich nicht, dass die Formel 1 mit 16 Autos auf dem Grid überleben kann. 16 ist gerade an der Grenze. 18 geht. Mir wäre es aber viel lieber, wenn [Ferrari] bleiben würde, der Sport ist mit ihnen viel besser dran."