Die Formel 1 kämpft in der Coronakrise ums Überleben. Eigentlich hätte am 15. März in Australien der Saisonstart erfolgen sollen, doch bis frühestens Ende Juni wird sich kein Rad in der Königsklasse des Motorsports drehen. Auch eine Verschiebung des Großen Preises von Frankreich wird dieser Tage immer wahrscheinlicher. Damit wäre Österreich Anfang Juli der Saisonstart.

Nicht nur dem Kommerziellen Rechteinhaber Liberty Media entgehen dadurch Millionen um Millionen, auch den Teams. Viele kämpfen ums Überleben. "Im schlimmsten Szenario wäre die Formel 1, wie wir sie heute kennen, nicht mehr möglich", sagte FIA-Präsident Jean Todt angesichts der aktuellen Krise bei den Kollegen von Auto Motor und Sport.

Damit das schlimmste Szenario nicht eintrifft, werden derzeit drastische Maßnahmen beschlossen. Neben der Verschiebung des 2021er Reglements auf 2022 und der Einfrierung einiger Komponenten der aktuellen Autos für die nächste Saison ist die Budgetobergrenze ein großer Punkt.

Wie teuer darf die Formel 1 nach der Coronakrise sein?

Eigentlich sollte 2021 eine Obergrenze von 175 Millionen Dollar plus Ausnahmen wie Fahrergehälter und Co. gelten. Für viele war diese Summe noch immer deutlich zu hoch, die Krise deshalb die goldene Gelegenheit für eine Anpassung.

"Wir haben zwei Optionen. Die eine ist: 130 Millionen Dollar mit allen Ausnahmen. Die zweite ist ein Stufenplan mit 140 Millionen im ersten Jahr, dann 130 und schließlich 120 Millionen", rechnet Todt nun vor.

In beiden Fällen würden die Ausnahmen bleiben. Ein Fehler? "Wir dürfen uns nicht selbst anlügen", mahnt Todt. "Wenn wir über 120, 130 oder 140 Millionen Dollar reden, dann ist das der Kostendeckel ohne Ausnahmen. Für die großen Teams machen die Ausnahmen mehr als 100 Prozent des Kostendeckels aus. Jetzt haben sie bei einer Reduzierung des Budgetdeckels sogar den Wunsch geäußert, die Ausnahmen noch auszubauen. Aber da bin ich dagegen."

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Immerhin würde mit dem aktuellen Vorschlag die eigentliche Summe schon erheblich nach unten korrigiert. Doch noch immer wehren sich Red Bull und vor allem Ferrari gegen einen solchen Einschnitt. Sie kamen deshalb mit einem Kompromiss: Für Teams, die das gesamte Auto selbst entwickeln und bauen, sollte eine andere Budgetobergrenze gelten als für Kundenteams.

Die Entwicklung eines Getriebes ist deutlich teurer als der Kaufpreis für einen Kunden, bei den Motoren sieht es sogar noch extremer aus: Für elf Millionen Leasinggebühren sind gerade einmal die laufenden Kosten für ein Team gedeckt. Lägen die tatsächlich umgelegten Kosten bei beispielsweise 50 Millionen, so schlägt Ferrari es vor, sollten diese 50 Millionen vom Budget abgezogen werden. Todt stellt aber klar: "Mit dieser Rechnung kann ich mich, ehrlich gesagt nicht anfreunden."

Kleine Teams pleite, Hersteller steigen aus?

Aber schießt die Formel 1 hier nicht auf ein unbekanntes Ziel? Schließlich weiß niemand, wie lange die aktuelle Krise noch gehen wird, wie hart der Zirkus am Ende tatsächlich getroffen wird. "Das einzige Szenario, das eine Anpassung danach notwendig machen würde, wäre der Verlust einiger Teams", erklärt Todt und fügt an: "Was wir nicht ausschließen können."

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Doch selbst die Hersteller sind alles andere als sicher. Der ohnehin schon kriselnden Automobilbranche macht das Coronavirus auch unabhängig von der Formel 1 zu schaffen. Droht der Ausstieg von Mercedes, Renault und Co.? Todt beruhigt: "Auf Basis der Diskussionen, die ich mit den Teams führe, sehe ich aber keinen Grund dafür, dass dieser Fall eintritt. Wir tun alles um den Herstellern zu helfen. Es hängt von unseren Entscheidungen für 2021 und 2022 ab."

FIA-Präsident Todt erklärt Posse um Ferrari-Motor

Vor der Krise kam in der Formel 1 der Skandal. Am letzten Tag der Testfahrten, wenige Minuten vor dem Ende des Betriebs, sandte die FIA eine prekäre Pressemitteilung an die Medienvertreter. Darin wurde kommuniziert, dass die FIA die Untersuchung des letztjährigen Ferrarimotors beendet und man sich mit der Scuderia auf einen Vergleich geeinigt hätte.

Für viele war dieses Statement ein Skandal. "In diesem Stadium hätten wir diesen Vergleich immer noch unter den Teppich kehren können", rechtfertigt sich der FIA-Präsident. "Ich hatte aber das Gefühl, dass es wichtig war, der Öffentlichkeit mitzuteilen, dass es eine Untersuchung und einen Vergleich gab. Es war auch keine Absicht, das zwölf Minuten vor Ende der Testfahrten an einem Freitag bekanntzugeben. Es hat einfach so lange gedauert, zu einer Einigung zu kommen."

Die eine Sache ist das Statement, die andere der Sachverhalt an sich. Warum einigte sich die FIA mit Ferrari hinter verschlossenen Türen? "Das passiert jeden Tag im normalen Leben. Wir nennen das im Zweifel für den Angeklagten. Als uns klar wurde, dass die Motoren möglicherweise nicht legal betrieben wurden und uns andere Teams von ihren Zweifeln unterrichtet haben, haben wir in einem ersten Schritt beschlossen, diese Zweifel für die Zukunft auszuschließen. Es wird diese Zweifel in Zukunft nicht mehr geben. Zur Zufriedenheit aller Teams, mit Ausnahme von Ferrari", so Todt.

Doch damit war die Sache noch längst nicht beendet. Die FIA griff erst gegen Ende der Saison richtig durch und selbst da konnten nicht alle Zweifel ausgeräumt werden. "Danach habe ich den Zweiflern regelmäßig geraten, einen Protest einzureichen", plaudert Todt nun aus dem Nähkästchen.

Todt riet Ferrari-Gegnern zu Protest

"Zuletzt bei einem Meeting in Abu Dhabi, bei dem Chase Carey, Ross Brawn, Toto Wolff, Christian Horner, Peter Bayer und Nikolas Tombazis anwesend waren. Aber sie haben es nicht gemacht. Deshalb war ich verärgert, als die Teams in einem ihrer Briefe behauptet haben, ich hätte ihnen von einem Protest abgeraten. Das Gegenteil war der Fall", so Todt.

Damit war der Fall für den Franzosen, der nebenbei ehemaliger Ferrari-Teamchef ist, noch immer nicht vorbei: "Wir haben über den Winter große Anstrengungen unternommen, um zu verstehen, was Ferrari da gemacht hat. Unsere Leute sind extra nach Italien dafür gefahren. Das einfachste für mich wäre es gewesen, die Sache zu den Akten zu legen. Aber da es diese Zweifel gab, habe ich meinen Technikern den Auftrag gegeben, die Angelegenheit so gründlich wie möglich zu untersuchen. Das haben sie gemacht."

Warum aber gab es anschließend keinen klaren Ausgang? "Ferrari hat keines unserer Argumente akzeptiert. Nach Meinung unserer Techniker und unserer Rechtsberater waren wir nicht in der Lage zu hundert Prozent zu beweisen, dass sie etwas Illegales gemacht haben", erklärt Todt.

Deshalb war der Vergleich die einzige sinnvolle Lösung für die FIA. "Darauf haben sie sich eingelassen, aber nur unter der Bedingung, dass diese Gespräche vertraulich bleiben. Dem mussten wir zustimmen. Wir hatten keine andere Wahl. So sind wir zu einem Vergleich gekommen. Das war nicht einfach", konstatiert der Präsident. Aus FIA-Kreisen war zuletzt zu hören, dass der Automobilweltverband die Details des Vergleichs sehr gerne offenlegen würde - Ferrari dem allerdings nicht zustimmt.

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