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Heute wollen wir unsere Analyse des Ungarn Grand Prix mit der Betrachtung einer strittigen Philosophiefrage beginnen, welche Mercedes-Motorsportchef Norbert Haug in Anbetracht des aktuellen silbernen Konflikts aufbrachte: Soll man lieber mit einem zuverlässigen Auto einige Performance-Einbußen in Kauf nehmen oder ein ultraschnelles Auto mit ein paar Zuverlässigkeitsproblemen hinnehmen?

Kollege Haug ist jedenfalls davon überzeugt, dass der McLaren-Weg ein schnelles Auto im Nachhinein zuverlässig zu machen besser ist, als einem zuverlässigen, aber langsameren Auto im Laufe des Jahres Flügel zu verleihen.

Aus Sicht des Fahrers befriedigt es einen natürlich nicht, wenn man immer nur auf den hinteren Plätzen herumfährt und keine Chance auf gute Resultate hat. Deshalb fährt man lieber vorne mit - und fällt dann aus...

Nein, Scherz bei Seite: Kimi Räikkönen war in diesem Zusammenhang zuletzt das beste Beispiel. Er war zwar nach seinen vielen Defekten im Training und seinen Ausfällen selbstverständlich genervt und frustriert, aber wenn man nur auf den hinteren Plätzen ins Ziel fährt, bekommt man auch keine WM-Punkte gutgeschrieben. Deshalb ist die Philosophie der Silberpfeile durchaus verständlich.

Die Philosophie der Schnelllebigkeit

In der drückenden Hitze von Budapest gab es aber auch noch andere Philosophien zu entdecken. Etwa jene von der unglaublichen Schnelllebigkeit der Formel 1.

Kaum war der Deutschland GP in Hockenheim vorbei, wurden die Materialien zusammengepackt, die Zelte abgebrochen und alles nach Budapest transportiert. Besonders bemerkenswert ist deshalb, dass sowohl Toyota als auch insbesondere Ferrari und Bridgestone von einem Wochenende auf das andere solch einen großen Sprung machen konnten.

Ich kann mir dies nur dadurch erklären, dass Bridgestone für die Hitze von Ungarn einen Superreifen mitgebracht hat, während Michelin diesmal nicht ganz so überlegen wie sonst war. Im Rennen waren die japanischen Pneus allerdings erneut ab Rennmitte nicht mehr standfest genug. Hier wartet noch viel Arbeit auf die Japaner.

Aber wenigstens stand Ferrari endlich wieder einmal ganz vorne in der Startaufstellung. In diesem Jahr ist das für Ferrari schon ein Erfolg. Zudem beweist es eine weitere Philosophie: Wenn man vorne starten kann, dann ist es auch möglich auf den vorderen Rängen ins Ziel zu kommen. Ganz anders zu Saisonbeginn, als man zumeist im Mittelfeld startete und dort in diverse Scharmützel verwickelt oder im Verkehr aufgehalten wurde.

Bei Kimi sah man unterdessen, welch großen Unterschied es macht, ob man als Erster oder als Letzter ins Ein-Runden-Qualifying starten muss. Denn obwohl der Finne wieder eine starke Rundenzeit erzielen konnte, musste er diese mit einem leichteren Auto und einer letztlich aber dennoch siegreichen Drei-Stopp-Strategie erkaufen.

Einen ähnlich großen Leistungssprung wie Ferrari vollbrachte, zumindest was die Rennpace angeht, auch Toyota. Dort scheint Ralf Schumacher mittlerweile immer besser in Fahrt zu kommen, wobei Jarno Trulli wieder einmal das Pech hatte gleich am Start in einen Zwischenfall mit Rubens Barrichello verwickelt worden zu sein.

Allerdings kann man den Brasilianer genauso wenig schuldig sprechen, wie die Beteiligten bei den anderen beiden Erstrundenunfällen von Christian Klien und David Coulthard. Während Kliens Unfall spektakulär aussah, empfand ich Davids Crash als noch viel extremer, da er bei seinem Abflug auch leicht noch ein anderes Auto hätte treffen können. So wie anno 2002 bei Nicks Unfall mit Takuma Sato am A1-Ring.

Eine große Überraschung war für mich, dass Renault auf dem Hungaroring so langsam war. Schließlich haben sie vor zwei Jahren Michael Schumacher hier noch überrundet und gingen sie auch in diesem Jahr als Mitfavorit an den Start. Für die Spannung in der Weltmeisterschaft war das Formtief der Franzosen aber auf alle Fälle Gold wert.

Philosophie-Neuland Türkei

Mit der Türkei betreten wir in drei Wochen wieder einmal Neuland, was normalerweise eine ausgeglichene Ausgangslage für alle Teams bedeutet. Allerdings gibt es mittlerweile so gute Computersimulationen, dass die Rennställe bereits mit einem akzeptablen Wissensstand an die Strecke reisen. Es ist demnach nicht mehr so wie vor ein paar Jahrzehnten, als man vor Ort ein komplett neues Setup entwickeln musste.

Besonders spannend dürfte es in Istanbul auf dem Reifensektor zugehen. Schließlich hätte Michelin auch in Indy Daten aus den Vorjahren und von den Streckenbesichtigungen des neuen Belags haben müssen. Wie die Geschichte endete, dürfte allen noch viel zu gut in Erinnerung sein...

Bei den Teams sollte Ferrari seinen Aufwärtstrend in der Türkei fortsetzen können. Nicht zuletzt, weil die Italiener auch in der Sommerpause fleißig weiterentwickeln und testen werden. Zudem war Ferrari in den vergangenen Jahren auf neuen Strecken immer besonders stark.