Es sah doch so schön aus für Mercedes. Der Mercedes-Benz Große Preis von Deutschland. 125 Jahre Motorsport. 200 GP-Starts. Titelsponsor, Heimrennen, Jubiläum. In 50er-Jahre-Optik, mit besonderer Lackierung, mit Netflix-Drehgenehmigung, und mit dem neuen Vorstand in der Box - kurzum, mit vollem Programm wollte Mercedes in Hockenheim eine große Show abziehen.

Eine große Show wurde es auf jeden Fall. Und zwar eine Horror-Show. Der Horror wartete bis zur Rennmitte. Zuvor konnte man sich noch in Sicherheit wiegen. Lewis Hamilton und Valtteri Bottas dominierten in der Anfangsphase das Geschehen an der Spitze des Feldes.

Dann drehte sich Hamilton auf neuen Slicks bei leichtem Regen in der vorletzten Kurve in die Wand. Kam mit kaputtem Flügel an die Box, überraschte seine Mechaniker. 50 Sekunden Standzeit. Dann bekam Hamilton eine Strafe. Beide Fahrer wurden strategisch ausmanövriert. Hamilton drehte sich noch einmal, musste noch einmal stoppen. Und Bottas sorgte mit Crash in Kurve eins für das letzte Kapitel des schlechtesten Mercedes-Rennens seit dem Doppel-Aus von Österreich 2018.

Mercedes' Hockenheim: Aus Verkleidungs-Spaß wird Ernst

Hat es Mercedes in Hockenheim übertrieben? Haben sie das Wesentliche - das Rennfahren - aus den Augen verloren? Die lustigen 50er-Jahre-Kostüme kamen am Samstag gut an, als Lewis Hamilton die Pole holte. Ferrari, als Favorit gestartet, flog mit Defekten auf die Nase. Mercedes erschien mehr denn je perfekt, fast unantastbar.

Am Sonntag verlieh die Kostümierung Mercedes' Untergang dann einen ganz besonderen Charme. Panische Mechaniker mit Mützen, die in die Box sprinteten, um für Hamilton einen neuen Frontflügel und neue Reifen zu holen, sorgten beim Desaster-Stopp für eine bizarr-komische Stummfilm-Optik. Oder Toto Wolffs Faustschlag auf den Tisch nach dem Bottas-Crash - er mit Hosenträgern, und der Neo-Vorstandsvorsitzenden Ola Källenius stoisch im Hintergrund.

Wolff schien es nach dem Qualifying schon zu ahnen. Nach dem Ferrari-Kollaps lief es zu gut. Die Hitze-Probleme materialisierten sich nie. "Von einer Karma-Perspektive könntest du sagen, dass alles schiefgehen könnte, was nur schiefgehen kann, wenn du dich so verkleidest wie wir und 125 Jahre Mercedes feierst. Und wir haben viele Leute hier, sind Titelsponsor, das Rennen ist in Deutschland ..." Zusätzlich gewährte Mercedes auch noch dem Netflix-Kamerateam für die offizielle F1-Serie 'Drive to Survive' an diesem Wochenende Zugang.

Mercedes: Mentaler Kontrollverlust in Hockenheim

Nach Hamiltons Ausritt und dem Chaos-Stopp verlor Mercedes die Kontrolle. Etwas, was man von ihnen nur selten sieht. War es das Karma? "Ich glaube an Karma", unterstreicht Wolff nach dem Rennen noch einmal. Zuvor hatte er im Sky-Sports-Interview schon kommentiert: "Das zeigt, dass du nicht mit so Zeug herumspielen solltest." Später führt er weiter aus: "Wenn du besonders gut abliefern willst, können Dinge schiefgehen. Manchmal wirst du abgelenkt. Du denkst vielleicht anders als sonst. Ich weiß nicht."

Wie Dominosteine fielen Fahrer und Team nach der Reihe um. "Ich habe das Rennen angeführt und fühlte mich gut", erinnert sich Hamilton. "Es hat an diesem Wochenende nicht sollen sein. Es war mehr eine mentale Sache heute."

Toto Wolff am Samstag in Hockenheim, Foto: LAT Images
Toto Wolff am Samstag in Hockenheim, Foto: LAT Images

"Und dann kommt alles zusammen", schließt Wolff. "Valtteri crasht am Ende, und das Wochenende endet im Armageddon. Aber ob wir 125 Jahre Motorsport feiern, die Führungsetage hier haben oder Netflix, das spielt keine Rolle. Denen haben wir wohl mehr Material geliefert als an jedem anderen normalen Wochenende."

"Ich will euch keine Überschrift geben. Es war ein grauenvoller Tag für uns", sagt Wolff auf die Frage, ob es eine Blamage gewesen wäre. "Nein, es ist nicht blamabel. Das ist Motorsport. Manchmal bekommst du einen Schlag auf die Nase. Ans Kinn, wie man sagt, und du lernst. Diese Tage machen uns besser."

Mercedes nach Hockenheim: Vereint im Schmerz

Warum genau das Rennen so eskalierte, da will sich Wolff also noch nicht festlegen. "Morgen kommst du dann zurück ins Büro, und wie gesagt - diese Dinge haben uns in der Vergangenheit stark gemacht", versichert er. "Die Tage, an denen du mehr analysierst und untersuchst als je zuvor. Du gehst nie nach Hause und fragst dich warum zur Hölle du gewonnen hast. Wir gehen nach Hause und fragen uns, warum zur Hölle wir verloren haben."

"Das werden wir morgen jedenfalls diskutieren", blickt Wolff nach vorne. "Wir sind vereint im Schmerz, genauso wie wir vereint sind in der Freude am Sieg." Auch sein Top-Fahrer Hamilton stimmt zu: "Wir gewinnen und verlieren zusammen. Es zeigt sofort, wie leicht es ist, ein Wochenende zu verhauen, wenn der Prozess nicht stimmt."

"Bis zu dem Dominoeffekt lief es hervorragend", meint Hamilton. "Wir müssen das Positive von diesem Wochenende mitnehmen. Es war nur ein Rennen, und wir werden uns weiter nach vorne bewegen." Es gilt: Herausfinden, wann Hockenheim außer Kontrolle geriet. Herausfinden, woran es lag. Und sicherstellen, dass es nicht noch einmal passiert.

In wenigen Tagen geht es in Ungarn für die Formel 1 und für Mercedes schon weiter. Keine Chance auf eine lange Erholungsphase also. Vielleicht war Hockenheim nur eine Anomalie. Vielleicht ein Weckruf. "Wir führen noch immer in der Meisterschaft", erinnert Wolff. "Das darf nicht vergessen werden."