Dass Robert Doornbos bei seinem Formel 1-Debüt ausgerechnet mit Ex-Weltmeister Jacques Villeneuve zusammenkrachte, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Doornbos erzählt, dass er "als 15 oder 16jähriger" mit seinem Vater in Spa-Francorchamps einen Besuch in der Williams-Box abhalten durfte und dass er damals auf den Kanadier zuging, um sich zu erkundigen, wann JV mit dem Rennsport begonnen habe. Die Antwort, nämlich dass er spät mit dem Rennsport begonnen habe, ermutigte Doornbos. Denn der Holländer spielte zu der Zeit Tennis, war nun aber mit dem Rennvirus infiziert und startete eine späte Motorsportkarriere.

Gestern Sonntag fuhren die beiden erstmals gegeneinander - in der Formel 1. Doornbos: "Jacques kam vor dem Start zu mir und sagte: 'Schau an, du hast es also geschafft, jetzt bist du ein Teil der Formel 1-Familie, du kannst dich freuen.' Drei Runden später krachten wir ineinander." Doornbos entschuldigte sich im Anschluss bei dem verärgerten Kanadier: "Ich bin der Rookie und es war wahrscheinlich mein Fehler, sorry." Villeneuve gab dem Holländer die Hand, beschwerte sich dennoch über die Aktion: "Er kam während er bremste herüber. Das war Formel Ford-Stil, das war absolut unnötig..."

Magnet

Doch der Sauber-Pilot war gestern ohnehin eine Art Magnet für solche Zwischenfälle. In der ersten Runde gab es in der Haarnadel eine Berührung mit dem Ferrari von Barrichello. In Runde 27 eine weitere Kollision mit Tiago Monteiro. Kein Wunder, dass sich Vibrationen einstellten - JV belegte letztlich mit drei Runden Rückstand Platz 15.

Im Qualifying waren Felipe Massa und Jacques Villeneuve bis auf drei Tausendstelsekunden beinahe gleich schnell unterwegs - sie holten die Startplätze 13 und 14. In England konnte JV seinen Sauber auf den elften Startplatz stellen - Villeneuve und das Sauber-Team haben die Startschwierigkeiten überwunden, das bestätigt auch sein Renningenieur Giampaolo Dall'Ara in einem Interview mit dem emagazine des Sauber-Sponsors "Credit Suisse". Mit Villeneuve zu arbeiten, sei "nicht schwieriger, als mit irgendeinem anderen Fahrer", erklärt Dall'Ara.

In Silverstone holte Villeneuve den elften Startplatz., Foto: Sutton
In Silverstone holte Villeneuve den elften Startplatz., Foto: Sutton

Der Ingenieur fügt hinzu: "Natürlich ist er ein spezieller Typ. Doch ich mag ihn gut. Auf der menschlichen Ebene hatte ich bisher nicht ein einziges Problem mit ihm. Er ist sehr ehrlich, er sagt gerade heraus, was er denkt. Ich bin da ähnlich gelagert."

Auf der technischen Ebene musste Villeneuve bei Sauber offenbar eine Art Revolution durchführen, um das Auto, eigentlich jedoch die Arbeitsweise des Rennstalls, auf seine Gepflogenheiten einzustellen. Giampaolo Dall'Ara erklärt die bisherige Vorgehensweise: "Meine Philosophie – und die des Teams – lautete bisher stets: Das Auto wird aufgrund der Streckencharakteristik abgestimmt. Der Pilot ist dabei ein Handwerker, dessen Aufgabe einfach darin besteht, mit dem so abgestimmten Auto so schnell wie möglich zu fahren." Diese passive Arbeitsmethode habe bei Villeneuve jedoch nicht funktioniert.

Vom Handwerker zum Abstimmer

Dall'Ara hat erkannt: "Bei Villeneuve gibt es ein paar fixe Settings, an denen man nicht rütteln darf, egal, ob man nun in Monaco oder Monza fährt. Das war absolut neu für mich, doch es scheint, dass es funktioniert: Wir werden von Rennen zu Rennen schneller."

Zudem scheint Villeneuve auch kein Freund ständiger Neuerungen zu sein. Dall'Ara: "Wir waren es gewohnt, dass ein neues Teil, das aufgrund der Simulation und aufgrund unserer Erfahrung gute Ergebnisse brachte, schließlich auch ans Auto kommt, sei es nun ein Flügel – also ein aerodynamisches Teil – oder ein elektronisches Element, zum Beispiel die Traktionskontrolle, die Motorbremse, oder die Differentialkontrolle. Wir versuchten immer, dass der Fahrer alle diese Tools benützt, die wir ihm gaben, um schließlich schneller zu fahren."

Doch diese Sichtweise musste man nun "neu überdenken", wie der Techniker zugibt: "Dieses Konzept funktioniert nur so lange gut, wie sich der Fahrer wohl fühlt. Doch wenn das System für den Fahrer zu komplex oder unvorhersehbar wird, sodass er kein Vertrauen mehr ins Auto hat, dann muss man das Konzept überdenken. Genau das passierte ein wenig mit Jacques."

Reibebaum Elektronik

Ob diese Reserviertheit gegenüber der Elektronik etwas mit der einjährigen Formel 1-Pause des Weltmeisters von 1997 zu tun hat, mag Giampaolo Dall'Ara nicht abschätzen. Er sagt: "Für uns war wichtig, wie wir unser bisheriges System den Bedürfnissen von Jacques anpassen konnten. Und ich muss zugeben: Jacques gab uns ein paar gute Tipps, wie wir es hinkriegen, dass sich das Auto sicherer und vorhersehbarer 'anfühlt'. Wir passten das System so an, wie er es wollte und machten prompt einen Schritt nach vorne in Sachen Performance."

Massa hat prinzipiell einen aggressiveren Fahrstil., Foto: Sutton
Massa hat prinzipiell einen aggressiveren Fahrstil., Foto: Sutton

Prinzipiell sei Felipe Massa ein aggressiverer Fahrer als Jacques Villeneuve, sagt der Renningenieur: "In Kurven, egal ob schnell oder langsam, bremst Felipe gewöhnlich noch in der Geraden und dreht erst, wenn er fertig gebremst hat. Danach drückt er wieder hart aufs Gaspedal, um aus der Kurve heraus zu beschleunigen. Jacques dagegen bremst sanfter und setzt schon zur Kurve an, während er noch am Bremsen ist. Damit nimmt er mehr Speed in die Kurve hinein und fährt auch etwas sanfter aus der Kurve heraus. Unter dem Strich können sie mit dieser völlig unterschiedlichen Fahrweise gleich schnell sein, wie wir sehen können."

BMW: Aus dem Vollen schöpfen...

Eines hat Jacques Villeneuve in seinem ersten Sauber-Halbjahr sicher gezeigt: Einen eisernen Willen gepaart mit der nötigen Portion Geduld - denn es ist auch für einen Ex-Weltmeister nicht leicht, ein ganzes Team von seinen Arbeitsweisen zu überzeugen. Vor allem, wenn diese Arbeitsmethoden über Jahre hinweg praktiziert wurden. Während nach den ersten Rennen bereits dunkle Wolken über die Partnerschaft Sauber-Villeneuve aufzogen, welche von den Medien zusätzlich verstärkt wurden, ist nun anscheinend Ruhe eingekehrt. Es wäre auch verwunderlich gewesen, hätte der für sein Feingefühl bekannte Peter Sauber den Kanadier auf die Straße gesetzt. Und anscheinend haben beide Seiten von dieser Geduld profitiert.

Für Jacques Villeneuve geht es um viel. Sauber war quasi seine letzte Chance. Ein frühzeitiger Rauswurf hätte das Ende seiner F1-Karriere bedeutet. Was er bei seiner Vertragsunterzeichnung noch nicht wissen konnte: Dass sich Sauber im zweiten Jahr seines Vertrages in das erste BMW-Formel 1-Team verwandeln würde. Von den Ressourcen her kann sich JV die Hände reiben, er wird 2006 aus dem Vollen schöpfen können.