Das Qualifying zum Aserbaidschan GP 2019 war für Ferrari eine riesen Enttäuschung: Als absolute Topfavoriten gestartet, kam am Ende nur die Startplätze drei und neun heraus. Charles Leclercs Hoffnungen auf seine zweite Formel-1-Pole zerschellten bereits im Q2 in der Altstadt Bakus, für Sebastian Vettel nahm das Qualifying mit Platz drei ebenfalls kein Happy End.

Dabei hatte Ferrari im 3. Freien Training noch mehr als eine Sekunde Vorsprung auf die ersten Verfolger. Mercedes lag sogar anderthalb Sekunden hinter der Scuderia. Wie konnten die Silberpfeile plötzlich fast zwei Sekunden binnen weniger Stunden gutmachen? Es gibt mehrere Faktoren für Ferraris Quali-Klatsche.

Charles Leclerc war bis zum Qualifying der dominierende Mann in Baku. Der Monegasse liebt Baku, fuhr dort schon in der Formel 2 seine stärksten Rennen und holte im vergangenen Jahr seine ersten Formel-1-Punkte in den Straßenschluchten. Doch in Q2 landete Leclerc plötzlich in der Mauer.

Ferrari setzt Vettel und Leclerc mit Strategie unter Druck

Unfälle im Q2 sind eigentlich unnötig für Piloten der Topteams. Weil die Zeiten ohnehin gelöscht werden, gilt es lediglich ins Q3 einzuziehen. Dafür bedarf es keines großen Risikos. Allerdings versuchte es Ferrari als einziges Team auf den Medium-Reifen.

Leclerc und Vettel mussten mehr pushen als üblich. Im ersten Versuch hätte es fast Vettel erwisch, er touchierte die die Leitplanke an der Innenseite. Zwei Runden später steckt Leclerc in der Tecpro-Barriere.

Hat Ferrari seine Piloten mit der Strategie zu sehr unter Druck gesetzt? "Nein, im ersten Versuch hat es gepasst", meint Leclerc. Vettel stimmt ihm zu: "Es hätte schon gepasst, Charles' erste Runde war auch gut genug. Ich glaube nicht, dass es unmöglich war."

Nach der Unterbrechung musste Vettel auf Nummer Sicher gehen und sich wie alle anderen auf Soft qualifizieren. Doch die Pace war anschließend weg. Mit Mühe und Not konnte er sich mit den weichen Reifen ins Q3 fahren.

Wegen Unfällen: Asphalttemperatur sinkt um zehn Grad

Mit dem Unfall hatte Ferrari den schnelleren der beiden Fahrer verloren und vor allem auch die richtigen Bedingungen. Denn das Qualifying startete um 17:00 Uhr Ortszeit. Durch die Unfälle von Robert Kubica und Charles Leclerc verzögerte sich die Zeitenjagd immer weiter, die Temperaturen fielen.

Der Unfall von Leclerc war für Ferrari doppelt bitter: Die Temperaturen sanken weiter, Foto: LAT Images
Der Unfall von Leclerc war für Ferrari doppelt bitter: Die Temperaturen sanken weiter, Foto: LAT Images

Während die Lufttemperatur relativ konstant blieb, sie fiel nur von 17,0 auf 14,6 Grad Celsius, wurde der Asphalt erheblich kälter. Durch die tiefstehende Sonne waren immer weitere Teile der Strecke im Schatten. Während das Asphaltband zu Beginn der Session noch 36,7 Grad warm war, wurden am Ende nur noch 26,3 Grad gemessen.

War es während der Session noch Mercedes' Motorsportchef Toto Wolff, der die sinkenden Temperaturen fürchtete, litt letztendlich Ferrari am meisten darunter. "Es war schwierig, mit dem Bedingungen mitzugehen", gestand Vettel. "Es macht einen deutlichen Unterschied, wenn die Strecke so abkühlt. Die fallenden Temperaturen waren schwer für uns. Mit der Strecke hat sich auch die Balance geändert."

Doch selbst mit diesen Problemen sah es bis zuletzt gut aus für Vettel. Nur knapp verpasste er die provisorische Pole, dann verdrängte ihn auch noch Valtteri Bottas auf Platz drei. Drei Zehntel fehlten ihm am Ende.

Vettel lange auf Pole-Kurs

Bis zum Mittelsektor lag Vettel noch auf Pole-Kurs. Im ersten Sektor fuhr der Ferrari-Pilot absolute Bestzeit, im zweiten Sektor verlor er wenige Tausendstel. Nach zwei Drittel der Runde lag Vettel 40 Tausendstel hinter Bottas und 57 Tausendstel vor Hamilton.

Dabei besteht der letzte Sektor des Baku Street Circuits nur aus einer Kurve und zwei Kilometer Vollgas - eigentlich Ferrari-Domäne. Doch Vettel verlor 0,262 Sekunden auf Bottas und 0,300 Sekunden auf Hamilton. Beide Mercedes-Piloten fuhren im letzten Versuch persönliche Bestzeit im Schlusssektor, Vettel nicht.

Doch selbst wenn Vettel seine persönliche Sektorbestzeit gefahren wäre, hätte es nicht gereicht. Vettel würden noch wenige Tausendstel auf Hamilton fehlen. Dabei fuhr Vettel im 3. Training noch absolute Bestzeit im Schlusssektor und im 2.Training die drittbeste Zeit, noch deutlich schneller als beide Mercedes.

Windschatten kostet Vettel Pole

Vettels Problem im Qualifying hieß Windschatten: Auf der ewig langen Geraden bringt ein guter Windschatten bis zu einer halben Sekunde. Beide Mercedes-Piloten nutzten den Windschatten, nur Vettel nicht.

Auffällig: Als alle auf ihre letzte Runde gingen, warteten beide Mercedes am Ende der Boxenausfahrt. Sie warteten auf den Windschatten. Vettel hingegen entschied sich, eine schnelle Outlap zu fahren und überholte die Konkurrenz.

"An einem Punkt hatte ich schon einen Windschatten, aber ich muss mich entscheiden, was ich priorisiere", erklärte Vettel. "Reifen oder Windschatten?" Denn Vettel brauchte eine schnelle Outlap, um die Reifen auf Temperatur zu bekommen. "Ich habe dann relativ früh in der Outlap die Entscheidung getroffen, das Heft in die Hand zu nehmen. Es war mir wichtiger, einen ordentlichen Schuss am Schluss zu haben und das Auto zu spüren. Das Risiko, die ersten beiden Kurven nicht zu treffen, weil die Reifen nicht da sind, war mir zu groß."

Mercedes holte sich die erste Startreihe auch mit einer grandiosen Strategie, Foto: LAT Images
Mercedes holte sich die erste Startreihe auch mit einer grandiosen Strategie, Foto: LAT Images

Die falsche Entscheidung? "Die ersten beiden Sektoren hat es funktioniert, im letzten Sektor war ich dann alleine. Es hat sich wie die richtige Entscheidung angefühlt, aber im Nachhinein ärgere ich mich ein bisschen. Der Windschatten kann zwischen drei und vier Zehntel ausmachen..."

Eigentlich war der Topspeed Ferraris Steckenpferd - durch den Windschatten nicht mehr. Vettel kam auf 328,4 Stundenkilometer, Valtteri Bottas war nur 0,1 km/h langsamer, Lewis Hamilton mit 330,2 km/h sogar etwas schneller. Ohne Windschatten fuhr Hamilton aber in der Runde zuvor nur 325,8 km/h. Im FP3 brachte es Vettel dank Windschatten sogar einmal auf 346,8 km/h. Ferrari konnte so die eigene Stärke nicht mehr ausspielen.

Fazit: Für den klaren Favoriten Ferrari kam im Qualifying viel zusammen: Mit Leclerc verlor man den schnelleren der beiden Fahrer. Die sinkenden Temperaturen kamen Mercedes offenbar mehr entgegen als Ferrari und Vettel ging am Ende lieber auf Nummer Sicher, statt einen Angriff mit Windschatten zu starten. Mercedes hat die Schwäche einmal mehr perfekt ausgenutzt.