Beginnen wir an der Vorderachse: Die wurde am neuen Auto weiter nach vorne geschoben. Warum?
Jörg Zander: Zum einen wollten wir ein bisschen mehr Freiraum zwischen Reifen-Hinterkante und Seitenkasten-Vorderkante schaffen. Damit ergibt sich mehr Freiraum für Luftleitbleche und aerodynamische Elemente. Das andere ist die Strömung hinter dem Reifen, die stark verwirbelt ist und damit einen schlechten Einfluss auf die aerodynamische Funktionalität hat. Dadurch wird der Abstand größer, so dass diese Luft nicht mehr so stark auf das Bodywork trifft und dann aerodynamische Elemente wie die Heckflügel, Unterboden und so weiter anströmt - dadurch würde die Leistungsfähigkeit dieser Elemente reduziert. Man versucht immer, diese stark turbulente Strömung hinter den Reifen entweder wegzuleiten, oder die Elemente, die dann den Abtrieb erzeugen, aus diesem Bereich zu entfernen.

Verglichen mit dem Vorgänger können wir zwischen Vorderachse und Seitenkästen aber nicht besonders viele Änderungen erkennen. Kommt hier noch mehr?
Jörg Zander: Ja. Das ist ein Bereich, der noch nicht so stark entwickelt ist. Dem Konzept als solches, das aus den Basiselementen Radstandverschiebung, Frontflügelphilosophie und Nase besteht, muss man entsprechend priorisieren und diese Funktionalitäten ersteinmal entwickeln. Die angesprochenen Elemente kommen dann in der sekundären Betrachtung in die Entwicklungsstufen hinein.

An der Nase setzen sie erstmals auf einen S-Schacht. Was hat Sie dazu bewegt?
Jörg Zander: Es gibt einige Teams, die hier ein ähnliches Konzept verfolgen. Wir haben es vielleicht noch etwas verschärft. Bei uns sind es zwei Luftkanäle, die sich letztendlich zu einem zentralen verbinden. Wir haben hier vorne einen Eintrittskanal, der verbindet sich mit einem weiteren Kanal. Weiter hinten kann man die Austrittsöffnung erkennen. Hier geht es darum, die Luftmassen unter der Nase und im weiteren Verlauf des zentralen Stückes des Frontflügels weg zu transportieren, um eine saubere Anströmung des Unterbodens zu erzielen. Das macht man geschickt, indem man die Luft nach oben beschleunigt. Wenn die Luft über die Frontnase transportiert wird, wird sie beschleunigt, erfährt eine höhere Geschwindigkeit und erzeugt damit Auftrieb - das will man vermeiden.

Die Front des Sauber C37, Foto: LAT Images
Die Front des Sauber C37, Foto: LAT Images

Eine interessante Änderung an der Vorderachse ist nicht nur die Lage in Längsachse. Sie liegt nun auch deutlich höher, so dass ein Hebel zum Radträger führt. Mit einem ähnlichen Konzept kamen Mercedes und Toro Rosso im vergangenen Jahr. Was hat es damit auf sich?
Jörg Zander: Ich nehme an, dass der Wettbewerb hier ein sehr ähnliches Ziel verfolgt. Man versucht, die beiden Querlenkerebenen nach oben zu verlagern und ab Radmitte einen entsprechenden Freiraum zu schaffen, damit die Strömung nach dem Frontflügel dort einen entsprechenden Freiraum hat. Alles was sich von den Flaps entsprechend ablöst, soll nicht gleich auf den nächsten Widerstand von Querlenker oder Lenkstange treffen. Man will stattdessen hier eine saubere Abströmung erzielen.

Kinematische Gründe gibt es also nicht für diese Vorderachse?
Jörg Zander: Die Kinematik wird sogar ein Stück weit dafür kompromittiert. Ich denke, das ist in diesem Bereich noch zulässig, denn es hat einen Einfluss auf die Lenkachse. Oberer und unterer Anlenkpunkt müssen entsprechend angepasst werden. Dadurch ergeben sich andere kinematische Hebelarme wie Nachlaufstrecke oder Lenkrollhalbmesser. Man muss darauf achten, dass sich das nur innerhalb von Grenzen verschiebt, weil es andernfalls auf die Reifenfunktionalität große Auswirkungen hat. Wie bewegt sich der Reifen bei Lenkvorgaben oder wie bewegt sich der Reifen auch bei Ein- und Ausfedern? An der Vorderachse ist es nicht so schlimm, weil wir dort nicht so viel Ein- und Ausfederweg haben. Außerdem muss man das Strukturelle an dieser Stelle beachten: Das ist eine Monsteraufgabe!

Da der Punkt nach oben verlagert wird, müssen hier auch die entsprechenden Seitenkräfte eingebracht werden. Dort, wo normalerweise keine Struktur ist, muss man die Struktur eben anordnen. Letztendlich verlangt diese Bauweise mehr Gewicht. Tatsächlich unterscheidet sich das auch deutlich. Es hat eine ganze Weile gedauert, bis wir dieses Thema seitens Funktionalität in Hinblick auf Lenk- und Einfeder-Kinematik, aber auch von der strukturellen Seite angepasst hatten, damit es nicht zu schwer wird. Das ist ein Thema für sich.

Der Blick auf die zahlreichen Öffnungen an Seitenkästen und Airbox ist spektakulär. Warum hat der Sauber so viele verschiedene Öffnungen?
Jörg Zander: Zielsetzung war es, das Bodywork so schlank wie möglich auszuführen, um möglichst verlustfreie Strömungen um das Fahrzeug herum zu erzeugen. Wir haben starke Undercuts erzielt und haben unsere Kühlung so ausgeführt, dass sie am Ende sehr schmal baut. Wir nennen das intern Doppeldecker-Anordnung. Wir haben Wasser- und Ölkühlung, Hybridsystemkühlung und Batteriekühlung übereinander angeordnet.

Der Sauber C37 in der Nahaufnahme, Foto: Sutton
Der Sauber C37 in der Nahaufnahme, Foto: Sutton

Zentral an der Airbox ist noch ein Kühlsystem für die Ladeluft. Dort haben wir eine leicht versetzte Luftführung. Der obere ist ein Kühleinlass, der untere ist für die Ansaugluft. Darunter sind auch noch verschiedene kleine Einlässe. Dabei handelt sich um Kühlungen für Nebenaggregate wie Schalter, Aktoren, Aktuatoren und Co. Das Kühlsystem bei diesen Fahrzeugen ist derart komplex. Jedes einzelne Element, sei es ein elektronischer Controller oder ein hydraulischer Aktuator, ist individuell gekühlt. Hier haben wir großen Wert daraufgelegt, dass wir ein hohes Maß an Integrität schaffen. Das heißt, keine individuellen Kühlschläuche oder Kanäle, sondern ein zentrales System. Das ist uns gut gelungen, da haben die Jungs ganz tolle Arbeit geleistet. Der Motor kommt zwar von Ferrari, aber das Kühlsystem ist eine Eigenentwicklung.

Auch das Getriebe kommt von Ferrari. Damit gehen die Fahrwerkspunkte der Hinterachse einher. Ferrari hat den Radstand verlängert, somit also auch Sauber. Hätten Sie diese Entscheidung selbst auch getroffen?
Jörg Zander: Ja, ich denke schon. Das war auch ein Ziel und Teil der Änderung des Gesamtkonzeptes. Dadurch ist der Radstand um insgesamt 120 Millimeter gewachsen. Ein Teil zur Vorderachse hin, ein kleinerer Teil an der Hinterachse. Das ist ein guter Kompromiss, letztendlich muss man auch darauf achten, die Gewichtsverteilung im Rahmen des Reglements zu halten. Das war bei uns auch eine zusätzliche Forderung, die wir damit erfüllt haben. Das andere sind Themen wie die Anpassung des Massenträgheitsmoments. Das Auto wird damit etwas behäbiger, weniger agil.

Stichwort Mercedes in Monaco: Mercedes hatte 2017 einen extrem langen Radstand und tat sich damit extrem schwer.
Jörg Zander: Im Endeffekt ja. Auf Strecken wie Abu Dhabi oder insbesondere natürlich Monaco mit engen, selektiven Kurven, da hat man lieber ein agiles Auto. Bei schnelleren Kursen hat man gerne mehr Gierdämpfung und damit Massenträgheitsmoment, dort bietet es sich an. Wir waren eher am unteren Ende, hatten von der Radstandskonzeptionierung her ein agileres Auto. Da mussten wir auf jeden Fall ein bisschen nachziehen, um über die Saison betrachtet ein gutmütigeres Fahrverhalten erzeugen zu können.

Jörg Zander im Gespräch mit Christian Menath, Foto: Sutton
Jörg Zander im Gespräch mit Christian Menath, Foto: Sutton

Ist es hier ähnlich wie mit der Vorderachse: Die Luft hat mehr Raum, um sich an die aerodynamischen Oberflächen anzuschmiegen?
Jörg Zander: Exakt. Das ist im Moment für uns ein kleines Problem. Wir müssen hier noch einiges an Zeit und Arbeit investieren. Das Konzept ist völlig neu überdacht. Mit diesen spezifischen Elementen wie dem S-Schacht oder dem neuen Frontflügel, der erst zum Saisonstart kommt, müssen die Teile erst einmal harmonieren, damit beide Fahrzeugenden auch miteinander zusammenarbeiten. Das braucht noch ein bisschen Zeit.

Was man weniger sieht sind die mechanischen Elemente. Hier hat Sauber während der letzten Saison viel experimentiert. Gehen die Experimente weiter?
Jörg Zander: Insgesamt ist das Auto hier simpler und kompakter geworden. So haben wir sicherlich auch einiges an Gewicht sparen können. Wir setzen hier auf zentrale Feder- und Dämpfungselemente mit Massenträgheitsdämpfungselementen, die sauber angeordnet sind. Von der Funktionalität ist es genau das, was auch die Regularien fordern. Ich denke, da haben wir einen guten Job gemacht.

In Bezug auf die Dämpfungssysteme haben wir auch noch einen Schritt nach vorne gemacht, denn es gib nun mehr Einstellungsmöglichkeiten. Auch die Dämpfungscharakteristiken sind bei der Funktionalität deutlich besser oder offerieren mehr Möglichkeiten. Aber auch das ist ein Thema, mit dem wir uns erst einmal vertraut machen müssen. Was können wir damit im Einzelnen erreichen? Wo sind die optimalen Abstimmungspunkte? Da liegt noch ein bisschen Arbeit vor uns. Da hat sich einiges geändert, an der Vorderachse genauso wie an der Hinterachse. Die Stabilisator-Mechanismen haben sich geändert: Wir hatten zuvor Kipphebel mit Torsionsstäben, jetzt sind hier eher Biegesysteme, also gekoppelte Biegefedern im Einsatz. Auch das ist ein System, das während des Wankens eine zusätzliche Steifigkeit erzeugt. Hier muss man noch genau erfahren, was es unter dem Strich bringt. Diese Arbeit liegt noch vor uns.

Das waren die größten sichtbaren Änderungen. Aber meist sind die gravierendsten Neuerungen gar nicht zu sehen...
Jörg Zander: Der große Teil, den man tatsächlich nicht sieht, liegt in der Strukturoptimierung. Durch den Halo gab es eine zusätzliche Masse von ungefähr fünf bis sechs Kilogramm. Das Teil selbst wiegt sieben Kilogramm, dazu kommen vielleicht noch drei, vier Kilogramm für die Strukturintegration. Auf der anderen Seite ist das Mindestgewicht nur um fünf Kilogramm angehoben worden. Auch die Anforderungen für den frontalen Crashtest haben sich geändert, es sind nun 450 statt 360 Kilonewton. Das hat ebenfalls zusätzlich Struktur erfordert. Auch das Nasenkonzept erfordert zusätzliche Struktur für den Crashtest. Da wir mit dem letztjährigen Auto schon am Mindestgewicht oder über Teile der Saison schon darüber waren, war es eine ganz klare Forderung, Gewicht einzusparen.

Der Sauber C37 von hinten, Foto: Sutton
Der Sauber C37 von hinten, Foto: Sutton

Jedes einzelne Element wurde noch einmal in die Hand genommen und auf Gewichtsreduktion getrimmt. Das ist die Arbeit, die man nicht direkt sieht. Das Beginnt beim Monocoque mit sämtlichen Inserts und Produktionsprozessen. Alles wurde neu überdacht. Das geht bis in den letzten mechanischen Klapperatismus. Da hat man tolle Arbeit geleistet. Das Kühlsystem möchte ich hier speziell erwähnen: Das Volumen ist identisch mit dem letztjährigen, die Masse ebenfalls. Und wir erreichen mit dem System ungefähr 10 Prozent höhere Kühlleistung. Das heißt, die Effizienz wurde ganz klar und deutlich gesteigert. Das ist in Hinblick auf die Kühlung eine Meisterleistung. Denn die ist von Haus aus schon immer recht ausgereizt. Da muss man den Ingenieuren ein Kompliment machen.

Sie haben Gewicht eingespart, haben aber auch die seitliche Crash-Struktur nach unten versetzt, um diese besonderen Seitenkästen zu erhalten. Wie ist das möglich? Die Krafteinleitung ist doch deutlich schlechter...
Jörg Zander: Das ist schon gut fachgesimpelt [lacht]. Wenn man an dieser Struktur die Anbindung an eine Fläche definiert, erhält man dort nicht die geforderte Steifigkeit. Das kann man dann nur mit zusätzlicher Masse kompensieren. Aber die Art und Weise der Integration, die Art und Weise der Lastverteilung innerhalb dieser Strukturarrangements ist im Detail optimiert worden und hat dazu geführt, dass wir trotz alldem noch Gewicht einsparen konnten. Wo es normalerweise zu einer Gewichtserhöhung geführt hätte, konnten wir das Gewichtsniveau trotz dieser lokalen Probleme beibehalten.

Der Sauber C37 in Einzelteilen an der Box in Hockenheim, Foto: Horst Bernhardt
Der Sauber C37 in Einzelteilen an der Box in Hockenheim, Foto: Horst Bernhardt

Wie lautet Ihr Resümee zum Sauber C37?
Jörg Zander: Man muss unsere Mittel und Ressourcen betrachten. Da haben wir einen großen Schritt gemacht. Es ist ein aggressiver Ansatz. Man darf nicht aus den Augen verlieren, dass unser Zeitplan auch wieder recht eng gesteckt war. Die Motorentscheidung kam spät, wir haben auch erst spät mit dem Konzept begonnen. Das alte Fahrzeug wurde noch bis spät in die Saison weiterentwickelt. Ein Stück weit wurden die Erkenntnisse auch noch ins neue Auto transportiert, weil die Erfahrung mitgenommen wird. Trotz des späten Starts haben wir doch an einigen Stellen ein größeres Risiko genommen.

Aber ich denke, wir waren uns da einig, weil wir für dieses Jahr - und auch langfristig - einen richtigen Schritt machen wollten. Das ist kein Auto, das man in fünf, sechs Monaten baut, auf die Strecke bringt und dann gleich ins Mittelfeld vorstößt - so funktioniert das einfach nicht. Man hat jetzt eine andere Basis, mit der man arbeitet. Wir müssen sie verstehen, jetzt kommt die Detailarbeit. Jetzt kommt das Ausnutzen des Potentials. Das muss zum Tragen kommen. Erst verstehen, dann die Detailentwicklung und dann werden wir auch die Schritte machen. Aber wichtig ist, dass man die Basis hat, die einem das Potential bietet, um das zu tun. Mit dem alten Konzept standen wir hier hinten an, das war ausgereizt. Da hätten wir nicht mehr viel machen können.

Lust auf mehr? Diese Geschichte erschien 2018 in unserer Print-Ausgabe. Die wird es auch in der Saison 2019 wieder geben. Natürlich in jedem gut sortierten Zeitschriftenhandel, im Bahnhofs- und Flughafenbuchhandel, und selbstverständlich auch online - einfach dem Link folgen!