Paris, Place de la Concorde. Hier fällt heute Nachmittag die Entscheidung über eine mögliche Bestrafung der sieben Michelin-Teams für deren Nichtantritt beim Großen Preis der USA am 19. Juni 2005. Angesichts der politisch heiklen Lage in der Formel 1, samt der Gruppierung FIA und Ferrari (die bereits das neue Concorde Agreement unterschrieben haben) auf der einen Seite und den neun anderen Teams sowie den Herstellern der GPR (ehemals GPWC) auf der anderen Seite, könnte - hoch dramatisch ausgedrückt - heute bei einer falschen Entscheidung "das Ende der Formel 1" eingeläutet werden.

Was ist das FIA World Motor Sport Council?

Da alle Formen des internationalen Motorsports von Landvehikeln mit mehr vier oder mehr Rädern in den Einflussbereich der FIA fallen, trägt der FIA World Motor Sport Council die Verantwortung für alle Aspekte des Motorsports auf unserem kleinen, blauen Planeten.

Die Hauptaufgaben des Weltrates liegt darin die Sicherheitsstandards aller Motorsportarten zu verbessern, den internationalen Motorsport zu administrieren, die Aufnahme neuer Regeln in allen Motorsportarten der Welt durchzuführen und neue Motorsportformen, besonders im Bereich der Jugend und in Entwicklungsländern, einzuführen.

Wer sitzt im FIA World Motor Sport Council?

Neben Max Mosley gehört auch Jean Todt dem Council an., Foto: Sutton
Neben Max Mosley gehört auch Jean Todt dem Council an., Foto: Sutton

Die gewählten Mitglieder des FIA World Motor Sport Council kommen aus aller Herren Länder. Heute sitzen die folgenden 23 Mitglieder in Paris: Max Mosley (FIA-Präsident), Marco Piccinnini (stellvertr. Präsident), Bernie Ecclestone (FOM-Chef), Jean Todt (Vertreter der Hersteller), Hermann Tomcyzk (GER), Jacques Regis (FRA), Mumtaz Tahincioglu (TUR), Michel Boeri (MC), Carlos Gracia (E), Nazir Hoosein (IND), John Large (AUS), Burdette Martin (USA), Raphael Sierra (RA), Jacek Bartos (POL), Morrie Chandler (NZ), Vassilis Despotopoulos (GRE), Henry Krausz (Dominican Republic), Derek Ledger (Jordan), Radovan Novak (CZ), Lars Osterlind (SWE), Katsutoshi Tamura (JAP), Antonio Vasconcelos Tavares (POR) und Vincent Caro (Repräsentant der internationalen Kart-Organisation).

Was wirft die FIA den Teams vor?

In sieben identischen Schreiben an die ebenso vielen Michelin-Rennställe, wirft die FIA den Teams einen Verstoß gegen den Artikel 151c des Internationalen Sporting Codes vor, welcher vor allem eine Schädigung "des Interesses einer Veranstaltung, in diesem speziellen Fall des 2005 United Staates Grand Prix, und/oder des allgemeinen Interesses des Motorsports" beinhaltet.

Dies geschah laut der FIA:

  • da man nicht sicherstellte, dass eine ausreichende Verfügbarkeit von passenden Reifen für das Rennen vorhanden war
  • da man fälschlicherweise sich weigerte das Rennen zu bestreiten
  • da man fälschlicherweise sich weigerte zu starten und eine Geschwindigkeitsreduzierung zu akzeptieren
  • da man zusammen mit anderen Teams eine die Formel 1 schädigende Demonstration durchführte, als man gemeinsam vor dem Start des Rennens in die Boxengasse fuhr
  • und da man die Stewards nicht über die Absicht im Rennen nicht an den Start zu gehen nicht informierte und somit einen Regelbruch nach dem Artikel 131 des Sportlichen Reglements der FIA beging.

Letzterer Artikel besagt, dass jeder Teilnehmer, dessen Autos aus irgendeinem Grund nicht an dem Rennen teilnehmen können oder der aus einem nachvollziehbaren Grund darüber bescheid wissen, dass seine Autos bis zum Start nicht bereit sein werden, die Rennstewards bei der erstmöglichen Gelegenheit oder spätestens 45 Minuten vor dem Rennstart darüber informieren muss.

Welche Strafen drohen den Teams?

Max droht den Teams Rennsperren an., Foto: Sutton
Max droht den Teams Rennsperren an., Foto: Sutton

"Wir werden uns die sieben Team anhören. Jede Geschichte hat zwei Seiten. Die vorgeladenen Teams müssen die Möglichkeit bekommen, ihre Sichtweise zu erklären", beschreibt FIA-Präsident Max Mosley die Vorgehensweise am heutigen Mittwoch. "Die Atmosphäre wird ruhig und höflich sein. Die Mitglieder des Motorsport-Weltrates kommen aus der ganzen Welt. Sie werden ein Urteil fällen, das fair und ausgewogen ist."

Im Hinblick auf das Strafmaß steht dem World Motor Sport Council laut Mosley die gesamte FIA-Palette vom WM-Ausschluss über Rennsperren bis hin zu Geldstrafen oder Rügen zur Verfügung. "Ich kann ein oder zwei Sperren nicht ausschließen", sagt Mosley. "Wenn sich herausstellen sollte, dass ein oder zwei Teams wirklich eine Schuld tragen, werden Sperren ausgesprochen. Aber es gibt auch verschiedene andere Möglichkeiten. Punkte, die abgezogen werden. Eine Geldstrafe. Oder eine Rüge. Ich habe keine Ahnung, was passieren wird. Man wird es erst nach der Anhörung der Teams wissen."

Während Frank Williams eine "Demontage" der Teams erwartet und Patrick Head glaubt, dass Mosley die Teamchefs "verabscheut", wird der FIA-Präsident diese Entscheidungen nicht alleine treffen: "Selbst wenn ich Sperren aussprechen möchte, werden es die anderen zwanzig Mitglieder wahrscheinlich nicht wollen."

Ein spezieller Fall ist in diesem Zusammenhang das British American Racing Team, welches bekanntlich seit der Rennsperre in der Tankaffäre von Imola auf Bewährung fährt. Sollten die Teams tatsächlich bestraft werden, könnte dem amtierende Vizekonstrukteursweltmeister sogar ein WM-Ausschluss für die zweite Saisonhälfte drohen.

"Meine persönliche Meinung ist, dass Michelin die Fans fair entschädigen sollte", gab Mosley eine private Randnotiz ab. "Danach sollten Tony George und Bernie Ecclestone zusammen die Austragung des US GP 2006 bestätigen und allen Besuchern dieses Jahres ein Freiticket versprechen. Aber das ist nur meine persönliche Meinung."

Mit seiner gestrigen Bekanntgabe sich finanziell an einer Entschädigung der US-Fans zu beteiligen und zudem 20.000 Freitickets für den 2006er Grand Prix bereit zu stellen, machte Michelin einen ersten Schritt in diese Richtung. Allerdings hat dies vordergründig keinen Einfluss auf die heutige Verhandlung, da nicht Michelin, sondern dessen sieben Teams vor den Weltrat zitiert wurden. Dennoch betonten die Franzosen im Zuge ihrer "großzügigen Geste", zu welcher man "nicht verpflichtet" sei, dass die Partnerteams "den Indy-GP nicht boykottiert" hätten.

Was sagen die Teams?

Viel hatten die sieben betroffenen Teams vor der Anhörung nicht zu sagen, weshalb sich alle Teams mit einem "kein Kommentar" aus der Affäre zogen und sich stattdessen lieber intern bei einem Treffen am Dienstag auf den großen Tag vorbereiteten.

Dennoch befürchtete Sir Frank Williams eine Demütigung vor dem FIA World Motor Sport Council. "Es ist als ob man eine Burg nur mit Pfeil und Bogen erobern möchte", erklärte er. "Max möchte uns nur demütigen. Ich befürchte, dass wir diesen Kampf nicht gewinnen können. Selbst Bernie wurde von Max am letzten Sonntag gedemütigt und nun sind wir dran."

Im Gegensatz zu den sieben Betroffenen, hatte Minardi-Teamboss Paul Stoddart wieder einmal sehr viel zu sagen. So sprach der Australier sogar von einem möglichen Boykott des Frankreich GP am kommenden Wochenende. "Alles ist möglich. Ich habe inoffizielle Berichte gehört - darüber, welche Strafen möglich sind. Das geht von einer 2,5 Millionen Dollar Buße bis zu einer befristeten Sperre, all diese Dinge sind möglich", so Stoddart, der die Teams bei mehr als einer Geldstrafe als "unschuldige Opfer" ansehen würde. "Ich würde hoffen, dass Max zur Vernunft kommt, aber wer weiß das schon?"

"Das World Council steht normalerweise immer hinter den Entscheidungen von Max Mosley, aber diesmal werden sicher nicht alle mit ihm gehen. Diesmal hat er den Sport fraglos beschädigt. Wenn er nicht nachgeben sollte und die Teams verurteilt werden, werden sie sagen: Wir können dich nicht abwählen, aber wir können dich mit unseren Füßen raus treten. Dann hätte er keine Chance", schießt Stoddart gegen Mosley, dem er seit dem Indy-GP schon mehrfach einen Rücktritt nahe gelegt hat.

Was sagen die Experten?

Am Place de la Concorde fällt die Entscheidung., Foto: Sutton
Am Place de la Concorde fällt die Entscheidung., Foto: Sutton

motorsport-magazin.com bat die Motorsportexperten Hans-Joachim Stuck und Klaus Ludwig sowie seine motorsport-magazin.com Kolumnisten Bas Leinders und Sven Heidfeld zur FIA-Analyse: Wer trägt an dem Schlamassel die Schuld und wie wird die Verhandlung ausgehen?

Hans Joachim Stuck, Rennfahrer & Premiere Experte: Ich finde es einfach bedauernswert, dass die ganzen Herrschaften in der Formel 1, inklusive eines Max Mosley oder Bernie Ecclestone, es nicht geschafft haben innerhalb von 48 Stunden eine Lösung zu finden, die dem gerecht wird, was man von der Formel 1 erwartet. Denn das, was sie abgeliefert haben, war Volksverarschung. Ich empfinde es als eine echte Farce, dass sich ein Mosley jetzt noch dazu erdreistet die Teamchefs bestrafen zu wollen.

Klaus Ludwig, Rennfahrer & ARD TV-Kommentator: Wenn Michelin sagt, dass die Reifen dort nicht durchhalten, dann muss man das akzeptieren. Da die meisten Teams mit Michelin-Reifen fahren, hätte die FIA anders reagieren müssen. Schließlich kann man nicht die Teams dafür verantwortlich machen, wenn Michelin nicht den passenden Reifen dabei hat. In dieser Form wie sie jetzt regiert wird, hat die FIA bei mir keine Zukunft. Da gehört einfach mehr Flexibilität dazu. Vielleicht ist der Herr Mosley wirklich zu alt für den Job. Ich war noch nie ein großer Fan von ihm und seine gesamten Entscheidungen in Sachen Formel 1 halte ich alle samt für schlecht. Er sollte wirklich besser zurücktreten.

Bas Leinders, Rennfahrer & motorsport-magazin.com F1-Experte: Ich glaube nicht, dass es eine Strafe für die Teams geben wird. Es handelte sich in Indianapolis eindeutig um ein Sicherheitsproblem für die Autos und Fahrer. Es war offenbar nicht möglich zu fahren und von Boykott kann keine Rede sein. Von daher kann man da im Prinzip nichts machen.

Sven Heidfeld, Rennfahrer, motorsport-magazin.com & Premiere Motorsportexperte: Der auslösende Fehler lag zwar ganz klar bei Michelin, doch war deren Entscheidung nicht zu fahren vollkommen korrekt, da die Gefahr eines weiteren schweren Unfalls mit verletzten Fahrern oder gar Zuschauern viel zu groß war. Der Gesichtsverlust traf nicht nur Michelin, deren Aktien in den Keller purzelten, sondern auch die Formel 1 im Allgemeinen. Denn in den USA lacht man nur laut über die F1. Warum sich die FIA hier also jedweder Lösung, welche nicht ihren drei vorgeschlagenen und für die Teams verständlicherweise inakzeptablen Ideen entsprach, versperrte und die Teams nun für eine Schädigung des Motorsports belangt, ist für mich nicht nachvollziehbar. Durch ihre ablehnende Haltung sorgte ja auch die FIA zu einem gewissen Teil für diese Rufschädigung der eigenen Serie.