Die Formel 1 hatte 2018 Glück mit ihrem Saisonauftakt. Der Australien GP war wahrlich kein Langweiler, mit Sebastian Vettel gab es auch noch einen überraschenden Sieger. Aber man stelle sich den GP ohne VSC und Saftey-Car vor - eine wahre Prozession. Statistiker zählten je nach Methode lediglich 5 oder 15 Überholmanöver. Dabei gab es erstmals in der Geschichte der Formel 1 sogar drei DRS-Zonen.

Formel-1-Boss Ross Brawn stimmt das nachdenklich. "Es hat eine wichtige Zutat gefehlt", sagte er nach dem Rennen. "Es ist wichtig, dass die Autos nah hintereinander fahren können und Rad an Rad kämpfen können", so Brawn, der im Liberty-Media-Dreigespann für das sportliche Element zuständig ist.

"Aber wenn der Abstand zwischen zwei Autos klein ist, wird es für den Verfolger fast unmöglich, um nah genug für eine Attacke ran zu kommen", erklärt Brawn. Durch die komplexe Aerodynamik der Formel-1-Autos entsteht sogenannte Dirty Air, also verwirbelte Luft hinter einem Auto. Das hinterherfahrende Auto verliert dadurch Abtrieb, gleichbedeutend mit Performance, weil die eigene Aerodynamiker in der verwirbelten Luft nicht mehr funktioniert.

"Wir haben das mit Hamilton und Vettel, Verstappen und Magnussen, Verstappen und Alonso und Ricciardo und Räikkönen gesehen", zählt Brawn die Problemfälle des Australien GP auf. "Man muss ich mal vorstellen, wie viel Rad-an-Rad-Duelle wir dadurch nicht gesehen haben", so Brawn.

Überhol-Problem erst 2021 zu lösen

Für Brawn gibt es dabei ein gravierendes Problem: "Solange wir keine strukturierte Herangehensweise für dieses Problem haben, werden wir hier keine Fortschritte machen." Gemeinsam mit der FIA ist der kommerzielle Rechteinhaber aber aktuell damit beschäftigt, die Regeln der Zukunft so zu formen, dass Überholmanöver wieder einfacher sind.

Die schlechte Nachricht: Bald wird das nicht passieren. "2021 wollen wir Autos haben, die es den Fahrern erlaubt, wirklich auf der Strecke gegeneinander zu kämpfen", so Brawn. Die Chassis-Regeln könnten zwar schneller geändert werden als das Motoren-Reglement, aber nach dem großen Umbruch 2017 ist der Wille der Teams nicht unbedingt riesig, so schnell wieder alles über den Haufen zu werfen.

Erstmals hat der kommerzielle Rechteinhaber unter der Führung von Ross Brawn auch ein eigenes Team aufgebaut, das Windkanaltests und CFD-Simulationen durchführen kann. FIA und Liberty Media wollen sich von der Expertise der Teams unabhängig machen. Die Teams sind nicht daran interessiert, den Sport zu machen, sondern nur sich selbst.

Formel 1 braucht Performance und Überholmanöver

"Wir brauchen ein Fahrzeugdesign, das eine ähnlich gute Performance ermöglicht wie jetzt, aber Rad-an-Rad-Action ermöglicht", nennt Brawn das größte Problem. Formel-1-Boliden mit deutlich weniger Abtrieb hätten das Dirty-Air-Problem nicht, sind aber auch viel langsamer. Das wiederum will auch keiner.

Das Problem des aktuellen Reglements ist der Frontflügel. Er generiert nicht nur den Abtrieb an der Vorderachse, sondern lenkt die Luft für den Rest des Autos. Wird er nicht mehr richtig angeströmt - er ist der verwirbelten Luft am stärksten ausgeliefert -, funktioniert gar nichts mehr. Das Auto verliert nicht nur an der Vorderachse extrem Abtrieb, sondern auch hinten. Dadurch rutschen die Autos stärker und die Reifen überhitzen. Ein Teufelskreis entsteht.

Brawn fordert deshalb: "Formel-1-Fans wollen eine bessere Show sehen und Überholen ist das aufregendste und spektakulärste Element, das man auf der Strecke haben kann. Die Formel-1-Gemeinschaft muss sich darum bemühen, diesem Verlangen nachzukommen, weil die Fans unser wertvollstes Gut sind."

Immerhin: In der vergangenen Saison gab es in Australien lediglich - je nach Zählweise - 2 oder 14 Überholmanöver, also weniger als in diesem Jahr. Mach Monaco ist Melbourne die schlimmste Strecke, was Überholmanöver angeht. Schon in Bahrain sollt es deutlich besser aussehen. Dort wurden 2017 32 respektive 48 Überholvorgänge gezählt.

SaisonGesamtPro RennenAnteil DRS-ManöverÜberholmanöver P1
2016127470,839%2
201781845,432%9

* Regenrennen gingen nicht in die Statistik ein