Der Große Preis von Japan 2017 wird als 16. von 20 Saisonrennen noch nicht die WM-Entscheidung zwischen Lewis Hamilton und Sebastian Vettel bringen. In der Vergangenheit fand der Titel-Showdown allerdings mehrfach auf dem Suzuka Circuit statt. Über viele Jahre hinweg fungierte die Traditionsrennstrecke als Ort für das WM-Finale. Zuletzt war dies in der Saison 2003 der Fall, als die Weltmeisterschaft in einem turbulenten Grand Prix entschieden zwischen Michael Schumacher und Kimi Räikkönen wurde.

Die Ausgangslage für das 16. und letzte Rennen der Saison 2003 schien relativ eindeutig. Mit 92 Punkten führte Schumacher die WM klar vor Räikkönen mit 83 und Montoya mit 82 Zählern an. Schumachers vierte Fahrerweltmeisterschaft in Folge war zum Greifen nah und mit Siegen bei den vorherigen zwei Rennen in Monza und Indianapolis hatte der Ferrari-Star das Momentum klar auf seiner Seite. Montoya hingegen hatte beim Regen-Chaos in den USA sämtliche Chancen auf den Titel verloren.

Den Rückstand von zehn Punkten hätte der Kolumbianer mit einem Sieg bei gleichzeitiger Nullnummer Schumachers in Suzuka zwar aufholen können, doch nach Siegen wäre der Titel mit 6:3 trotzdem an den Kerpener gegangen. Somit hatte nur noch Räikkönen die Chance, Schumacher abzufangen. Der Finne hätte wie Montoya gewinnen und auf einen Schumacher-Ausfall hoffen müssen. Letzterem wiederum reichte angesichts seines Vorsprungs ein Punkt, also Platz acht, um die Weltmeisterschaft in jedem Fall sicherzustellen.

Schumacher stapelte trotz der guten Vorzeichen vor dem Finale wie gewohnt tief. "Mathematisch sieht es ziemlich gut für mich aus. Aber auch wenn alle anderen denken, dass die Sache durch schon durch ist - ich tue das nicht", so der damals 34-Jährige. "Der Punkt ist, wir müssen auch noch die Konstrukteurs-WM gewinnen und müssen deshalb sehr vorsichtig sein, nicht auszufallen. Wir haben in gewisser Weise mehr zu verlieren als zu gewinnen."

In der Gesamtwertung der Teams lag Ferrari mit 147 zu 144 Zählern nur knapp vor BMW-Williams. Das britisch-bayrische Allianz mit Montoya und Teamkollege Ralf Schumacher hatte also beste Chancen, die Scuderia daran zu hindern, den Konstrukteurs-Titel zum fünften Mal in Folge nach Maranello zu holen. In Suzuka musste bei Ferrari also nicht nur auf Schumachers Seite der Garage alles passen, wenn die Italiener erneut beide Titel gewinnen wollten.

Was die Fahrer-WM anging, sah Räikkönen sich angesichts des Rückstandes nicht als denjenigen, der vor dem entscheidenden Rennen Grund zur Nervosität haben musste. "Ich fahre genauso wie immer. Ich werde versuchen zu gewinnen und schaue dann, was passiert. Ich spüre wirklich keinen Druck und es kümmert mich auch nicht, wenn wir die Weltmeisterschaft nicht gewinnen und den zweiten Platz noch verlieren. Für mich zählt nur der Sieg", so der McLaren-Pilot.

Weltmeister Schumacher hatte im Gegensatz zu seinem Konkurrenten viel Erfahrung mit WM-Kämpfen. Schon mehrfach hatte er Titel im Finale gewonnen und auch verloren. Er wusste, wie schnell sich Dinge ändern können. "Es wird viel vom Qualifying abhängen. Ich habe das Gefühl, dass es dort schon um alles gehen wird. Andererseits hat mir die Vergangenheit auch gelehrt: Egal, was du vorher denkst - wenn du im Auto sitzt, kommt es anders. Und dann musst du dich der Situation anpassen."

Beim Formel-1-Finale 2003 in Japan hießen die Titelkandidaten Michael Schumacher und Kimi Räikkönen, Foto: Sutton
Beim Formel-1-Finale 2003 in Japan hießen die Titelkandidaten Michael Schumacher und Kimi Räikkönen, Foto: Sutton

Qualifying: Regen sorgt in Suzuka für spannende Startaufstellung

Schumachers Befürchtungen hinsichtlich des Zeittrainings sollten sich am Samstag bewahrheiten. Beim damals noch in zwei Sessions ausgetragenen Einzelzeitfahren lief für den Ferrari-Piloten im ersten Qualifying noch alles nach Plan. Als Dritter hinter Jarno Trulli im Renault und Bruder Ralf war Schumacher der schnellste der drei Titel-Anwärter. Räikkönen und Montoya folgten auf den Rängen fünf und acht.

Das Qualifying-Format dieser Zeit wurde für Schumacher im zweiten Segment jedoch zum Stolperstein. Im Q1 wurde damals lediglich die Startreihenfolge für das Q2 ausgefahren. Die Piloten, die sich in der ersten Session weit vorne platziert hatten, sollten im zweiten und für die Startaufstellung entscheidenden Teil von einem späten Start und einer dementsprechend saubereren Strecke profitieren.

Ein Wetterumschwung sorgte im Q2 allerdings dafür, dass die schnellsten Piloten aus Q1 eine teilweise nasse Strecke vorfanden und den herausgefahrenen Vorteil nicht nutzen konnten. Trulli und Ralf Schumacher, die als letzte Fahrer im 20-köpfigen Starterfeld an der Reihe waren, fuhren ihre Runden gar nicht erst fertig. Der Regen war mittlerweile so stark, dass an eine konkurrenzfähige Zeit nicht zu denken war.

So kam es, dass sich Schumacher lediglich auf Platz 14 qualifizierte und Räikkönen nicht über Rang 8 hinauskam. Nutznießer war Montoya, der sich Startposition zwei an der Seite von Rubens Barrichello sicherte. "Dass Michael von Platz 14 startet, ist nicht das, was wir erwartet hatten. Und es ist auch nicht das, was unter normalen Umständen passiert wäre. Aber das waren keine normalen Umstände und jetzt müssen wir am Sonntag im Rennen das Beste daraus machen", so Ferrari-Technikdirektor Ross Brawn.

Schumacher kam in Suzuka nach Pech im Qualifying nicht über Startplatz 14 hinaus, Foto: Sutton
Schumacher kam in Suzuka nach Pech im Qualifying nicht über Startplatz 14 hinaus, Foto: Sutton

Aufholjagd der Schumacher-Brüder sorgt für Chaos

Als Polesitter hatte Schumacher-Teamkollege Barrichello eine klare Aufgabenstellung. Wenn er verhindern würde, dass Räikkönen das Rennen gewinnt, wäre Schumacher der Titel nicht mehr zu nehmen. Der Brasilianer konnte seine Führung am Start zunächst behaupten, machte Ausgangs der Haarnadel im Mittelsektor jedoch einen Fehler. Montoya nutzte in der darauffolgenden Spoon-Kurve seine Chance: "Ich denke Rubens hat versucht, seine Linie zu verteidigen und dabei die weiße Linie berührt. Er stellte sich quer und musste vom Gas gehen, also schlug ich zu."

Schumacher hingegen schlug in der ersten Runde nur bedingt zu und beendete sie als 12. Räikkönen hatte ebenfalls zwei Positionen gutgemacht. Die Pace von Spitzenreiter Montoya war in der Anfangsphase unantastbar und der BMW-Williams-Pilot hatte sich nach Runde drei bereits über vier Sekunden Luft nach hinten verschafft. Weiter hinten versuchten die Schumacher-Brüder sich durchs Feld zu arbeiten. Der vom letzten Platz ins Rennen gestartete Ralf machte in Runde zwei erstmals unliebsame Bekanntschaft mit der Casio-Schikane, als er sich hinter seinem Bruder drehte.

Die Schikane vor Start- und Ziel sollte auch wenige Umläufe später Schauplatz einer Schlüsselszene des Rennens werden. In der sechsten Runde startete Schumacher im Kampf um Platz neun einen Angriff auf Takuma Sato. Der WM-Leader verschätzte sich dabei und zerstörte am Heck des BAR Honda seinen Frontflügel. "Mit Michael war es in der Schikane richtig eng, aber ich hatte die Linie und er stach einfach innen rein", so der Japaner, der im Zweikampf oftmals selbst ungestüm zu Werke ging, in diesem Fall allerdings keine Schuld trug.

Schumachers Glück im Unglück: Er konnte gleich nach der Kollision in die Boxengasse abbiegen und war nicht gezwungen, noch eine volle Runde mit seinem beschädigten Ferrari F2003-GA zu drehen. Der frühzeitige Reparaturstopp warf ihn dennoch ans Ende des Feldes hinter Jos Verstappen im Minardi zurück, wodurch seine WM nun tatsächlich gefährdet war. "Ich musste natürlich Vollgas fahren, besonders nachdem ich die Nase beschädigt hatte", so Schumacher, dessen Meisterschaft dann durch den Ausfall des Führenden Montoya in Runde neun sogar mehr auf der Kippe stand.

Schumacher kollidierte in Runde sechs in der Schikane mit Lokalmatador Takuma Sato, Foto: Sutton
Schumacher kollidierte in Runde sechs in der Schikane mit Lokalmatador Takuma Sato, Foto: Sutton

Japan-Chaos geht weiter: Ralf kollidiert mit Michael

Nachdem der Williams ausgefallen war, befand sich Barrichello zwar wieder an der Spitze - doch zwischen ihm und Kimi Räikkönen lag lediglich Fernando Alonso im Renault. "Ich wusste, Montoya war draußen und die beiden McLaren waren gleich hinter Rubens. Wir wussten nicht, wie das Wetter spielen würde oder die unterschiedlichen Strategien", so Schumacher, der sich keinesfalls darauf verlassen konnte, dass der Teamkollege den Rivalen stoppen würde. "Ich musste wirklich auf eigene Faust sicherstellen, dass ich mindestens Achter bin", war die Aufgabenstellung für Schumacher klar.

Der Weg dorthin sollte jedoch genauso turbulent werden wie die Eröffnungsrunden des Rennens. In Runde 24 war Schumacher zurück auf Platz zehn - der Position, an der er sich zuvor beinahe das Rennen ruiniert hatte. Schumacher war nach dem unplanmäßigen Stopp auf einer Drei-Stopp-Strategie unterwegs, genau wie Barrichello an der Spitze. Dieser hatte beim ersten Boxenstopp die Führung an Räikkönen verloren, der versuchte mit zwei Stopps durchs Rennen zu kommen.

Nach seinem letzten Besuch bei der Ferrari-Crew in Runde 37 fand sich Schumacher auf Platz neun wieder. Einen Umlauf später stoppten seine direkten Konkurrenten Cristiano da Matta und Bruder Ralf, woraufhin ein erbitterter Kampf um den rettenden achten Platz begann. Letzterer schien zunächst das schnellste Auto des Trios zu sein und machte sogleich enormen Druck auf den Ferrari mit der Startnummer eins. Wieder sollte die letzte Schikane für eine heiße Szene sorgen.

"Der Kampf mit Cristiano und Ralf war wirklich hart. Ich musste einfach sicherstellen, dass ich für den Fall der Fälle diesen achten Platz und den Punkt hole", erklärte Schumacher. Zwar waren die Drei schon eine Runde später durch den Boxenstopp von Olivier Panis aufgerückt, sodass er auf den benötigten achten Platz aufgerückt war, doch der Dreikampf war im vollen Gange. In Runde 41 wäre Schumachers Rennen um ein Haar beendet gewesen.

Beide Schumacher-Brüder verschätzten sich beim Anbremsen auf die Schikane. Während Michael dem vor ihm fahrenden da Matta noch ausweichen konnte, rasselte Ralf seinem Bruder geradewegs ins Heck. Ralf steuerte wie schon Michael zu Beginn des Rennens gleich danach die Box an, um den Frontflügel wechseln zu lassen. Obwohl von hinten nun keine Gefahr mehr drohte, hatte Michael Schumacher nach der Aktion gleich zwei Probleme.

Michael und Ralf Schumacher lieferten sich in der zweiten Rennhälfte einen harten Zweikampf, Foto: Sutton
Michael und Ralf Schumacher lieferten sich in der zweiten Rennhälfte einen harten Zweikampf, Foto: Sutton

Schumacher trägt seinen Ferrari zum WM-Titel

Erstens hatte er sich beim Ausweichen den linken Vorderreifen ruiniert und zweitens bestand die Gefahr, dass sein Bolide bei der Kollision einen Schaden davongetragen haben könnte. "Ich hatte mich so stark verbremst, dass ich einen riesigen Bremsplatten hatte. Die Vibrationen waren so stark, dass ich auf den Geraden fast nichts mehr sehen konnte. Da machst du dir schon sorgen und außerdem hatte ich im Hinterkopf, dass mich Ralf am Heck getroffen hatte und ich nicht wusste, wie heftig es war", so Schumacher.

An der Spitze führte Barrichello mit 16 Sekunden Vorsprung auf Räikkönen. Der Teamkollege hatte damit alles in seiner Macht stehende getan, doch Schumachers Titelrivale wäre bei einem Ausfall des Brasilianers auf dem notwendigen ersten Platz. "Obwohl Rubens in Führung lag, fragst du dich in der Formel 1 immer, ob das Auto auch ins Ziel kommen wird. Du denkst immer an den schlechtmöglichsten Ausgang", so Schumacher. Er wagte deshalb nicht, einen Sicherheitsstopp einzulegen, um den beschädigten Reifen wechseln zu lassen.

"Mir gingen so viele Gedanken durch den Kopf und ich habe einfach nur versucht, das Auto so sicher und sanft wie möglich bis zur Zielflagge zu bringen", so Schumacher, der sich nach seinem nervenaufreibenden Rennen auch durch die finalen zwölf Umläufe des Rennens zittern musste. Nach 53 Runden war es vollbracht. Barrichello gewann den Grand Prix mit einem sicheren Vorsprung von zehn Sekunden vor Räikkönen, während Schumacher den anvisierten achten Platz weniger als eine Sekunde vor Nick Heidfeld im Sauber ins Ziel rettete.

Schumacher holte nach einem chaotischen Japan GP den rettenden WM-Punkt, Foto: LAT Images
Schumacher holte nach einem chaotischen Japan GP den rettenden WM-Punkt, Foto: LAT Images

Schumacher: Gemischte Gefühle nach WM-Titel durch Platz acht

"Ich fühle mich leer und ausgelaugt nach diesem Rennen. Es war ein schwieriges Jahr, ein hartes letztes Saisondrittel und heute war mein härtestes Rennen", sagte Schumacher. Ihm fiel es schwer, sich nach diesem chaotischen Rennen ausgelassen zu freuen. "In erster Linie fühlt es sich sehr seltsam für mich an, denn meine meisten Titel habe ich mit Siegen gewonnen und heute gewinne ich eine Weltmeisterschaft mit einem achten Platz - der letzten Position in den Punkten. Bei einem solchen WM-Titel habe ich schon gemischte Gefühle."

Schumacher entthronte mit seinem sechsten Weltmeistertitel an diesem Tag Juan Manuel Fangio. Neben der Fahrerweltmeisterschaft sicherte sich Ferrari dank des Sieges von Barrichello auch ungefährdet die anvisierte Konstrukteurs-WM. Nach zwei Jahren der totalen Dominanz hatte die Scuderia für diesen Titel einige Rückschläge wegstecken müssen. Die Tatsache, am Ende doch wieder ganz oben zu stehen, war für Schumacher die größte Genugtuung.

"Was das Team erreicht hat, ist einfach fantastisch. Nachdem wir dieses Jahr von so vielen Leuten abgeschrieben wurden, sind wir wieder da. Wir sind zurück. Wir geben niemals auf und sind immer da. Wir kämpfen immer und das ist eine der größten Stärken von Ferrari. Jeder bei Ferrari ist aus diesem Holz geschnitzt. Es ist eine große Familie und wir sind alle sehr stolz darauf, ein Teil davon zu sein", so Schumachers Lobrede auf die Mannschaft rund um Teamchef Jean Todt.

Ferraris fünfte Konstrukteurs-WM in Folge war außerdem ein neuer Rekord. "Es war ein historischer Tag. Rubens hat eine fantastische Performance abgeliefert, während Michael den Punkt nach Hause gebracht hat, der ihm den WM-Titel garantieren würde. Wir haben beide Weltmeisterschaften gewonnen und die nächste Seite in den Geschichtsbüchern des Sports geschrieben. Enzo Ferrari wäre stolz auf das, was wir erreicht haben", freute sich Todt.

Herausforderer Kimi Räikkönen hatte an diesem Sonntag alles in seiner Macht stehende getan, doch der WM-Titel, der ihn zum zu diesem Zeitpunkt jüngsten Champion aller Zeiten gemacht hätte, entwischte ihm um zwei WM-Zähler. "Natürlich bin ich ein bisschen enttäuscht, die Weltmeisterschaft nicht gewonnen zu haben. Wir hätten etwas Glück gebraucht, um es zu schaffen. Wir waren nah dran, aber leider nicht nah genug. Aber zumindest haben wir den Kampf bis ins letzte Rennen gebracht", so der Iceman, der vier Jahre später selbst in den Farben von Ferrari die WM gewinnen sollte.