Es war einmal in Australien…
Giancarlo Fisichella hatte das erste Saisonrennen gewonnen, und alle Experten waren sich einig: Endlich kann der Römer zeigen, dass er aus jenem Holz ist, aus dem man Champions schnitzt.

Szenenwechsel – 3 Monate später: Die gesamte Formel 1-Presse stürzt sich beim Renault-Medientermin auf Fernando Alonso. Während der spanische WM-Leader von Dutzenden Kameras und Mikrofonen wie ein wildes Tier gejagt wird, sitze ich etwa fünf Meter daneben, Auge in Auge mit Giancarlo Fisichella. Mein Kollege Kai Wißmann von TELE 5 und ich sind die einzigen im gesamten Formel 1-Fahrerlager, die sich hierher verirrt haben. Giancarlo scheint fast ein wenig dankbar dafür...

Dazwischen liegt ein Saisondrittel, das sich wie eine Anschlagsserie auf das Ego eines der unbestritten besten Racers liest:

In der Hitze von Malaysia sind die Reifen am Renault längst hinüber als er mit Mark Webber kollidiert – selbst für ganz kritische Beobachter der einzige Fehler von Fisichella in diesem Jahr.

In Bahrain geht ihm der Motor hoch, in Imola parkt er nach sechs Runden neben der Strecke, in Spanien reißen ihm Trümmerteile die Frontpartie auf, er wäre locker Zweiter geworden, doch die Renault-Mechaniker brauchen endlose 35 Sekunden an der Box. In Monaco liegt er lange auf Rang drei, bevor er durch die Safety Car-Phase unverschuldet zurückfällt und sich der Michelin-Gummi zudem als unbrauchbar erweist.

Auf dem Nürburgring gibt der Renault am Vorstart den Geist auf, aus der Boxengasse startend kämpft sich Fisichella in einem Rennen ohne Ausfälle bis auf Rang sechs vor.

Und jetzt Montreal! Auf seiner Lieblingsstrecke in Führung liegend kollabiert die Hydraulik. Macht unterm Strich 42 Punkte Rückstand auf Alonso und einen ziemlich frustrierten Fisichella, der in der Box so wütend aus dem Auto sprang und die Handschuhe auf den Boden knallte, dass Flavio Briatore seinen gefürchteten Zeigefinger erhob: "Wir bezahlen Dich, um Rennen zu fahren und nicht, um angepisst zu sein!"

Wem die Sympathien im Team gehören ist nicht nur aufgrund des Punktestandes klar. Auch im politisch korrekten Eiskasten des Fahrerlagers gibt es hin und wieder deutliche Signale. Wenn Flavio Briatore über seine Fahrer spricht, dann zumeist über "Fernando" und "Fisichella". Für den Spanier gibt es bei Erfolgen herzhafte Umarmungen und Liebkosungen wie für einen Sohn, dem Italiener reicht er anerkennend die Hand wie einem Geschäftspartner. Trotzdem schätzt das Renault-Bodenpersonal Fisichella über alle Maßen. In einer Hitliste der in der Zusammenarbeit beliebtesten Fahrer belegt er seit Jahren Platz 1.

Am ersten Arbeitstag bei Renault stand die Sitzprobe auf dem Programm. Manche Fahrer brauchen dazu Tage und benötigen schon bei den Wintertests mehrere Anpassungen. Giancarlo benötigte einige Stunden, und die Erstversion ist immer noch im Einsatz.

Bei Sauber schätzte man ihn als wahren Gentleman und Profi, bei Jordan hat er mit einer unfahrbaren Kiste wahre Wunderdinge vollbracht und nebenbei die Marotten seines exzentrischen Teamchefs geduldig ertragen. Bei Renault tut er im Moment allen nur noch leid mit seiner Pechserie.

Am Talent von Giancarlo Fisichella kann es keinen Zweifel geben. Im Laufe seiner Karriere ist er mit selten brauchbarem Material immer wieder für Überraschungen gut gewesen. Seine Teamkollegen hat er der Reihe nach abmontiert, von Ralf Schumacher über Alex Wurz bis zu Button, Sato, Firman und Massa.

Von den Kollegen wurde er als "drivers´ driver" ausgezeichnet und von Ralf Schumacher als "meistunterschätzter Pilot der Formel 1" bezeichnet. Ralf steht mit dieser Meinung wahrlich nicht alleine da.

Dass Flavio Briatore und Fisichella einander trotz gemeinsamen Urlaubs auf Sardinien und auf Flavios Yacht nicht immer grün sind ist aktenkundig. Sollte ihn der mächtige Clan-Chef nun fallen lassen, liefe ihm langsam die Zeit davon, sich seine großen Träume in der Formel 1 doch noch zu erfüllen.

Denn die Weltmeisterschaft zu holen ist seit diesem Wochenende noch ein Stück schwieriger geworden. Und als Nummer zwei im Schatten von Alonso wird wohl auch aus dem letzten großen Traum nichts mehr: Als Italiener bei Ferrari zu fahren.

Giancarlo Fisichella zieht seit jeher das Pech in der Formel 1 an. Eine irdische Erklärung gibt es dafür nicht. Er kennt mittlerweile alle Tiefen des Rennsports und wird langsam Zweifel bekommen, ob er sich fürs richtige Cockpit entschieden hat.

Denn die wenigsten wissen: Er hatte für 2005 auch ein Angebot von BMW-Williams und hat nach reiflicher Überlegung abgelehnt.