Bist du überrascht, wie die Saison bislang gelaufen ist und wie konkurrenzfähig Ferrari ist?
Villeneuve: Nein, denn man hat es schon in Barcelona gesehen. Ich habe sie auf der Strecke gesehen und man konnte sagen, dass das Auto ein glückliches Auto ist, das es den Fahrern ermöglicht, sich selbst zu präsentieren. Ich denke, es fährt sich von allen Autos am einfachsten.

Du gehörst zu den größten Kritikern von DRS, im letzten Rennen haben wir tolle Überholmanöver auch ohne DRS gesehen. Glaubst du, die Formel 1 steht im Moment gut da?
Villeneuve: Ja, es sieht gut aus im Moment, aber für mich wird immer noch zu oft darüber gesprochen, wie man das Überholen verbessert. Hört damit auf und lasst die Fahrer einfach machen! Verändert nicht die Aerodynamik, denkt nicht darüber nach, die Aufhängung zu verändern, weil es beim Überholen hilft. Hört auf, ihnen beim Überholen helfen zu wollen. Gebt ihnen angemessene Motoren und lasst es sie auf der Strecke austragen.

Sebastian Vettel und Daniel Ricciardo lieferten sich in China ein Rad-an-Rad-Duell, Foto: Sutton
Sebastian Vettel und Daniel Ricciardo lieferten sich in China ein Rad-an-Rad-Duell, Foto: Sutton

Auf die Strategie können die Fahrer nicht mehr so stark hoffen.
Villeneuve: Man hat Boxenstopps eingespart in diesem Jahr, was müssen sie also tun? Sie müssen auf der Strecke überholen. Nun haben wir tolle Überholmanöver, über die man spricht. Das hatten wir seit fünf Jahren nicht. Und warum? Man hatte vier Boxenstopps, man hatte DRS - warum sollte ein Fahrer das Risiko eingehen, ein gutes Überholmanöver zu zeigen? Die ganze Runde dachten sie nur: Ich muss ins DRS-Fenster kommen. Ich muss ins DRS-Fenster kommen. Nun denken sie: Ich muss mein Manöver vorbereiten. Ich muss mein Manöver vorbereiten. Es geht zurück zu purem Racing. Und übrigens: Überholen war immer sehr schwer. Daran ist nichts falsch.

Reifeprozess bei Verstappen

Du sagtest oft, Max Verstappen ist ein großes Talent, hast ihn aber für einige Aktionen kritisiert. Wie siehst du ihn in dieser Saison bislang?
Villeneuve: Dieses Jahr ist er sehr gut. Er scheint reifer geworden zu sein. Das letzte Resultat [in China; Anm. d. Red.] war mehr, als was der Red Bull eigentlich konnte, definitiv. Er hat die feuchte Phase genutzt, ist auf der Außenbahn Risiko gegangen, aber es hat funktioniert. Im selben Moment spricht man dann aber weniger über ihn, weil er ruhiger ist. Man wird sehen, wohin es sich entwickelt, aber wenn es sich in diese Richtung weiterentwickelt, sieht es gut aus.

Letztes Jahr schien es so, dass er wusste, dass es ohnehin um nicht so viel geht. Dieses Jahr aber scheint er sich an die Situation angepasst zu haben, dass es vielleicht auch um die WM gehen könnte.
Villeneuve: Es sind erst zwei Rennen gefahren, aber klar ist: Er hat in diesem Jahr keinen Joker, keinen Freifahrtschein, keine Ich-komm-aus-dem-Gefängnis-frei-Karte. In diesem Jahr muss er die Punkte nach Hause bringen und das macht er. Er macht einen richtig guten Job.

Wer war für dich bislang die größte Überraschung?
Villeneuve: (überlegt lange) Die größte Überraschung ist für mich, wie wenig konkurrenzfähig Red Bull ist. Man hat es bei den Wintertestfahrten ja schon gesehen, aber das kam unerwartet. Sie haben sonst auf Regeländerungen gut reagiert, aber dieses Mal haben sie irgendetwas falsch gemacht.

Red Bull ist die negative Überraschung bsilang, meint Jacques Villeneuve, Foto: Red Bull
Red Bull ist die negative Überraschung bsilang, meint Jacques Villeneuve, Foto: Red Bull

Villeneuve: Man muss mit den Regeln spielen

Aktuell gibt es auch einige Diskussionen um den Unterboden von Ferrari, weil man deutlich sieht, dass er flexibel ist.
Villeneuve: Aber alles ist flexibel. Die Frage ist: Wie flexibel? Karbon ist nicht statisch. Karbon ist flexibel. Und dann ist es eine Frage, wie flexibel es ist. Das ist alles.

Ist es für dich okay, wenn man als Team mit dieser Flexibilität spielt?
Villeneuve: Man muss mit allem spielen, was man dafür nehmen kann. Es gibt eine Regel, und die Regel sagt auch, wie sie es kontrollieren. Und wenn du die Kontrollen schaffst, ist es gut für dich.

Red Bull meinte, immer wenn bei ihnen etwas flexibel war, hätte die FIA die Regeln geändert.
Villeneuve: Das gilt dann für Ferrari vielleicht auch. Man muss abwarten. Wenn man schaut, Mercedes hatte letztes Jahr auch einen großen Vorteil, den sie das ganze Jahr über behalten haben und niemand hatte sich beschwert. Es geht in die eine Richtung und im anderen Jahr geht es in die andere Richtung.