Ein Überhol-Festival war der Australien GP keinesfalls, vor dem anstehenden Rennen in Shanghai stellt sich daher die Frage: Erleben die Zuschauer erneut eine Prozession, oder darf man sich auf einige Positionswechsel freuen? Statistisch gesehen spricht einiges dafür, dass Überholmanöver in China keine Mangelware sein werden.

Die Probleme von Melbourne

Doch was war überhaupt das Problem in Melbourne? Einige Faktoren sorgten für wenig Zweikampfaction. Da wäre zum einen eine lineare Aufreihung des gesamten Feldes. Das Qualifying ergab eine Startaufstellung, die im Großen und Ganzen dem aktuellen Leistungsvermögen der Fahrer und Autos entsprach. Ein überlegenes Auto, das sich durch das Feld pflügt, war nicht vorhanden. Daniel Ricciardo als Zehnter der Qualifikation hätte Potential für ein solches Festival gehabt. Doch der Australier musste nach einem Sensoren-Problem sein Heimrennen mit zwei Runden Rückstand aufnehmen.

Ein weiterer Faktor, der sich bemerkbar machte, waren die neuen Reifen. Pirelli hatte nach der Kritik der vergangenen Jahre reagiert und die Mischungen widerstandsfähiger und haltbarer gebaut. Abgesehen von Lewis Hamilton, der keinen Unterschied feststellte, bestätigten quasi alle Fahrer die Veränderung. So konnte es sein, dass man selbst mit alten Reifen noch sehr gute Rundenzeiten fahren konnte. Bilder, in denen die vorausfahrenden Piloten mit stumpfen Waffen gegen die neu-bereiften Verfolger kämpften, blieben aus. Auch, weil fast alle Fahrer auf eine Ein-Stopp-Strategie setzten.

Überholmanöver gab es in Australien kaum, Foto: Sutton
Überholmanöver gab es in Australien kaum, Foto: Sutton

Das wohl wichtigste Kriterium aber ist die Strecke im Albert Park. Diese war noch nie ein Paradies für Überholmanöver. Es gibt nur zwei relativ kurze DRS-Zonen, Stellen, an denen man den Gegner klassisch ausbremsen kann, fehlen komplett oder benötigen einen deutlichen Geschwindigkeitsüberschuss. Und natürlich tragen auch die neuen Autos mit ihrer ausgefeilten Aerodynamik dazu bei, dass das Hinterherfahren erschwert wird. "Es ist jetzt wahrscheinlich schlechter als je zuvor", meinte Hamilton.

Alles anders in China?

Mit dem Shanghai International Circuit wartet nun aber eine komplett andere Strecke auf die Fahrer. Besonders die lange Gerade im letzten Sektor findet man in dieser Form in Australien überhaupt nicht. "Es liegt auch an der Strecke. In China mit der langen Gerade wird es viel besser sein", glaubt Max Verstappen an mehr Überholmanöver als beim Saisonauftakt.

2016 gab es insgesamt 181 Positionswechsel, die jedoch begünstigt wurden durch eine chaotische erste Runde, eine Safety-Car-Phase und den Durchmarsch von Lewis Hamilton vom Ende des Feldes. 2015 war der China GP deutlich ruhiger, insgesamt gab es damals 28 Überholvorgänge. Eine Zahl, die für die Formel 1 2017 der Maßstab sein sollte.

Auf dem Kurs in China gibt es eine sehr lange Gerade, Foto: Sutton
Auf dem Kurs in China gibt es eine sehr lange Gerade, Foto: Sutton

Hier stellt sich jedoch wieder die Frage nach der Attraktivität der Überholmanöver. Die lange Gerade hinab zur Haarnadelkurve bietet eine extrem lange DRS-Zone mit einer klassischen Ausbremszone. Für den Vordermann ist es meistens unmöglich, sich wirklich zu wehren, wenngleich der Bremsweg 2017 enorm abgenommen hat. Hinzu kommen die im Zuge der neuen Regeln deutlich größeren Heckflügel, die den DRS-Effekt verstärken. Ein weiteres Thema ist der Windschatten. Dieser ist 2017 noch ausgeprägter, da die Autos insgesamt breiter sind.

Damit wird das Überholen mit DRS wohl insgesamt einfacher, wenn es entsprechende Zonen gibt. China oder Bahrain verfügen gleich über jeweils zwei Bereiche, in denen der Heckflügel geklappt werden darf. Auch die Start- und Zielgerade in Shanghai ist eine DRS-Zone, wenngleich der Effekt deutlich geringer ist, als ein paar Hundert Meter vorher. Es spricht also einiges dafür, dass zumindest die Quantität der Überholmanöver zunehmen wird.

Vergleich: Shanghai International Circuit vs. Albert Park

ShanghaiMelbourne
Anzahl normale Überholmanöver 2016 84 23
Anzahl DRS-Manöver 2016 6316
Gute ÜberholmöglichkeitenKurve 1, 6 und 14Kurve 1 und 3
Höchstgeschwindigkeit Rennen 2016349,9 km/h315,6 km/h

Doch DRS ist umstritten. Echte Zweikämpfe gibt es keine, für den Verfolger besteht kein Bedarf, Risiko einzugehen. Er wartet schlicht bis zum Punkt, an dem er den magischen Knopf drücken darf. Die User von Motorsport-Magazin.com halten das Drag Reduction System nur zu 10 Prozent für einen guten Kompromiss. Die klare Mehrheit von 45 Prozent sieht in Überholmanövern eine Besonderheit, die fahrerisches Können erfordern sollte. Doch Prozessionen wie in Australien sind auch nicht erwünscht. Nur eine Minderheit von zwei Prozent hält Überholmanöver in der Formel 1 für unwichtig.

Überholen ist also ein schwieriges Thema. Valtteri Bottas hält selbst DRS-Manöver für schwer umsetzbar. "Wenn man in den Kurven nicht folgen kann, ist es schwer, einen Windschatten zu bekommen", argumentiert der Finne. In China gibt es vor der langen Gerade eine sich öffnende Rechtskurve, die mit zunehmender Dauer immer schneller wird. Grip ist also vonnöten. Wer in der Kurve zu viel verliert, könnte also auch trotz langer DRS-Zone Probleme bekommen, zu überholen.