Versuche, das Regelwerk etwas optimistischer auszulegen sind so alt wie der Grand Prix-Sport selbst. Von plump bis genial reichte der Grad der Ausführung. Schade nur, dass wir die erfolgreichsten Tricks nie erfahren werden...

Die Atmosphäre in der Scrutineering-Box von Imola schwankte Sonntagabend mehrmals hin und her. Von entnervt bis verständnisvoll reichte wegen des mehrfachen Ablassens und Wiedereinfüllens von Flüssigkeiten die Palette. Presse und TV-Teams warteten gereizt auf eine Entscheidung, doch die Rennkommissäre schafften es auch in sechs Stunden nicht, einwandfrei zu klären, ob der B·A·R von Jenson Button nun legal war oder nicht. Solange die FIA kein anders lautendes Urteil gefällt hat, gilt für das Team selbstverständlich die Unschuldsvermutung.

Die Grenzen einer Sportart, die vom Verschieben technischer Grenzen in neue Dimensionen lebt, in Worte zu fassen ist schon ein Widerspruch an sich. Und etwas Kreativität bei der Interpretation des alljährlich von der FIA herausgegeben Klassikers "Wie baue ich ein Formel 1-Auto" hat in der Vergangenheit oft zu bahnbrechenden Neuerungen geführt.

Nicht auszudenken, wenn vor bald 100 Jahren nicht jemand auf die kluge Idee gekommen wäre, den damals üblichen Beifahrer durch einen schlichten Spiegel zu ersetzen, mit dem man ebenso gut den Verfolger ausmachen konnte, dafür aber viel Gewicht (und vermutlich auch zwei warme Mahlzeiten täglich) sparen konnte.

Kurios muten die zahlreichen Versuche an, das sportliche Regelwerk zu umgehen. Wie der Versuch eines gewissen Bernard E. im Jahre 1958, sich einen Startplatz in Monte Carlo zu erkaufen. Ein Anbieter war ob des finanziellen Offerts sogar schwach geworden, doch der Veranstalter wollte nicht so recht an das Talent des Käufers glauben (Der rächte sich auf seine Weise und kaufte später den ganzen Laden...).

Oder jener betuchte Bitumenfabrikant namens Hans Heyer, der sich für seinen Heim-Grand Prix in Hockenheim 1977 deutlich nicht qualifizieren konnte, am Sonntag aber seinen ATS trotzdem ans Ende der Startaufstellung schummelte, um wenigstens eine Runde in seinem Leben an einem Formel 1-Rennen teilgenommen zu haben.

Im technischen Bereich des Reglements war die Grenze zwischen Weiterentwicklung und vorsätzlichem Betrug oft verschwommen. Die rechtlichen Konsequenzen waren nicht zuletzt ein Spiegelbild der herrschenden Machtstrukturen.

Gordon Murray warf 1978 seinen revolutionären Staubsauger-Brabham in den Ring, der offiziell bessere Motorkühlung bringen sollte, in Wahrheit aber den Brabham wie einen Saugnapf auf die Strecke schraubte. Niki Lauda durfte während der allgemeinen Schrecksekunde einen Grand Prix damit gewinnen (vermutlich einhändig und mit einem Lied auf den Lippen...), dann stellte der damalige FIA-Alleinherrscher Jean-Marie Balestre das Ding eigenhändig ins Museum.

Zumeist waren es dumme Zufälle, die die Rennkommissäre auf die Fährte der Kreativ-Entwickler hetzte. Das Tyrrell-Team war 1984 als eines der letzten noch ohne Turbo-Power unterwegs. Stefan Bellof und Martin Brundle mussten die fehlenden PS mit extrem leichten Autos egalisieren, was so lange gut ging, bis jemandem auffiel, das die Tyrrells zu Rennende mit erstaunlicher Regelmäßigkeit zum Nachtanken an die Box kamen. Dass die ungewöhnlich große Menge an Bleikugeln im Gepäck jemandem in den 80er-Jahren auffallen könnte, stand nicht im Drehbuch! Tyrrell flog in diesem Jahr hochkant aus der WM raus.

Die manipulierten Tanksicherheitsventile bei Benetton hätte 1994 wohl kaum jemand bemerkt, wäre das Auto von Jos Verstappen bei einem missglückten Stopp in Hockenheim nicht zunächst reichlich in Benzin geduscht worden und anschließend zu einem Riesenfeuerball mutiert.

Und das mysteriöse zweite Bremspedal von McLaren wäre wohl ewig ein Geheimnis geblieben, wäre Mika Häkkinen nicht ausgerechnet punktgenau vor dem neugierigsten aller Formel 1-Fotografen ausgerollt. Der nutzte nur mal schnell die Gelegenheit, um das einsam am Grünstreifen parkende Auto auch im Cockpit aus aller Nähe zu fotografieren. Die Bilder gingen danach um die Welt!

Durchaus üblich war es auch immer wieder, unliebsame Gegner bei der FIA anonym oder ganz offen anzuzeigen. Möglich, dass es kein Zufall war, dass Ferraris Bargeboards in Malaysia 1999 gerade nachgemessen wurden, als sich das Blatt in der WM wieder zugunsten der Italiener zu drehen schien.

Auch die von Ferrari vor Monza 2003 geforderte Entscheidung, das Rillenprofil der Reifen nach (und nicht mehr vor) dem Rennen überprüfen zu müssen hatte ausschließlich WM-taktische Gründe.

Eines steht fest: Das Fahrzeuggewicht ist ein elementarer Baustein im Rennsport. Die Liste der Disqualifikationen würde Bücher füllen. Mein letztjähriger Co-Moderator auf TELE 5, Heinz-Harald Frentzen hat uns verraten, dass alle Piloten in der Auslaufrunde nach dem Rennen absichtlich auf den schmutzigen Stellen der Strecke fahren. Die heißen Rennreifen sammeln jede Menge "pick-up rubber", also Reifenabrieb und sonstigen Schmutz auf. So kommt jeder von der Ziellinie bis zum Parc Fermé auf gut und gerne 2-3 kg Ballastgewicht. Außerdem wirkt sich der Schmutz auf den Reifen manchmal auch ganz positiv auf die Wagenhöhe aus. Dass einige aktive Grand Prix-Piloten auf meine Nachfrage zunächst völlig erstaunt, dann aber eher unwirsch reagierten, bestätigt Heinz-Haralds Erklärung.

Spannend ist also vor allem die Frage, wer B·A·R. bei den Rennkommissären "angezündet" hat oder ob wieder der Zufall seine Finger im Spiel hatte...