Das Interview wurde von Laureus geführt.

Bei den Laureaus Awards in diesem Jahr ist Lewis Hamilton als Sportsmann des Jahres nominiert. Ist das aus ihrer Sicht angemessen?
David Coulthard: Ich möchte den anderen Nominierten nicht zu nahe treten. Aber als Motorsportler denke ich, dass Lewis erneut seine Qualitäten als Spitzensportler gezeigt hat. Er liefert konstante Leistungen ab, seit er 2007 zu McLaren kam. Er ist der Mann, nachdem man beim Qualifying schaut, um zu sehen, welche Zeit er schafft. Seine Rennen sind auf eine Art wie die von Senna. Es ist also keine Frage, dass er innerhalb eines qualitativ hochwertigen Feldes diese Auszeichnung verdient.

Außerdem sind Usain Bolt, Novak Djokovic, Stephen Curry, Lionel Messi und Jordan Spieth nominiert. Das ist eine beeindruckende Liste. Wer ist darunter aus Ihrer Sicht der Hauptkonkurrent von Lewis?
David Coulthard: Das ist wirklich schwierig, da jemanden herauszuheben. Die sind alle an der Spitze ihrer Disziplinen. Da kommt es immer auf die persönliche Meinung an. Ich bin Motorsportler, seit ich ein kleines Kind war. Ich kenne mich nicht in allen anderen Sportarten detailliert aus. Aber kein Sportler, der es an die Spitze schafft, erreicht das zufällig. Es ist viel Einsatz und harte Arbeit. Und jeder, der sich dort für eine gewisse Zeitspanne halt und verletzungsfrei bleibt - wobei Rennfahrer da weniger anfällig sind - hat die Nominierung verdient.

Für David Coulthard ein wahrer Champion: Lewis Hamilton, Foto: Sutton
Für David Coulthard ein wahrer Champion: Lewis Hamilton, Foto: Sutton

Mercedes ist als Team des Jahres nominiert. Was macht sie so gut?
David Coulthard: Sie achten auf das Detail. Es ist jetzt leicht, etwas in Richtung Ingenieurskunst und menschliche Leistung zu sagen. Aber ich war in deren Box am Sonntag des Bahrain GP und es geht dort wirklich um kleine Details, bei denen nicht jeder sofort verstehen würde, warum es sie einen Unterschied in der Leistung eines Autos oder Fahrers ausmachen. Das ist die Maßgabe für jedes einzelne Mitglied des Teams. Ihnen fällt auf, ob die Trinkflaschen in die richtige Richtung zeigen oder ob die Kabel hinter den Laptops einheitlich angeordnet sind. Kleine Details, die keinen direkten Einfluss auf die Leistung haben. Aber das ist eine Herangehensweise, die sich durch die ganze Organisation zieht. Dann macht man weniger Fehler und findet leichter Verbesserungsmöglichkeiten. Denn in einer Sportart mit Restriktionen für Ingenieure und Material gilt es, in allen Bereichen ans Limit zu gehen.

Es ist noch früh in der Saison, aber wird das Team wieder so dominieren?
David Coulthard: Ich erwarte, dass sie wieder die Weltmeisterschaft gewinnen. Dominanz wird mit den Hybrid-Regeln schwierig. Ferrari hat im vergangenen Jahr drei GPs gewonnen. Dabei hätten die Rundenzeiten 2015 auf eine noch größere Mercedes-Dominanz schließen lassen.

Ich denke, dass der Kampf um die WM in diesem Jahr zwischen den beiden Mercedes Piloten stattfindet. Ferrari hat eine Außenseiterchance, wird die Silberpfeile aber während der Saison auf Trab halten. Räikkönen schien mir in Australien und Bahrain im Vergleich zu Vettel starker als in den vergangenen Jahren. Das könnte bedeuten, dass das Team insgesamt starker ist und Mercedes herausfordern kann.

Nico Rosberg hat die ersten beiden Rennen dieser und die letzten drei der vergangenen Saison gewonnen, also fünf am Stück. Geben sie dem Deutschen dieses Jahr eine realistische Chance, Lewis zu schlagen?
David Coulthard: Ja, Nico ist ein schneller Fahrer und in den letzten Wochen gut in Form. Lewis Hamilton, der während seiner gesamten Karriere ein außergewöhnlich guter Rennfahrer war, hat alle Fähigkeiten, die man braucht. In der Vergangenheit sah es so aus, als könne Lewis mehr daraus machen.

Die ersten Rennen zu gewinnen und 17 Punkte in Führung zu liegen - bei noch 19 Rennen - gibt einem Fahrer Selbstbewusstsein und etwas Luft zum Durchatmen. Jeder Fahrer, der fünf Rennen gewonnen hat, vier in Folge, wurde Weltmeister. Nico hat, wie Sie richtig sagten, fünf in Folge gewonnen. Es wäre schade, wenn er diese Statistik zerstört.

Eines der bedeutendsten Ereignisse des Saisonauftakts war der Alonso-Crash. Wir wissen, dass die Formel 1 relativ sicher ist. Dennoch: Kann man von diesem Unfall etwas lernen?
David Coulthard: Ich denke, dass die Formel 1 in den letzten 20 Jahren unglaubliche Fortschritte dabei gemacht hat, das Cockpit zum sichersten Ort bei einem Crash auszubauen. Motorsport impliziert gewisse Gefahren, wenn ein 700 Kilo-Auto mit 320 Stundenkilometern fährt. Wenn es mit einem anderen Fahrzeug in Kontakt kommt und dann abhebt, ist das eine große Wucht und der Fahrer muss geschützt werden.

Leider haben wir vor damals bei Jules Bianchi herausgefunden, dass es immer diese Zufälle gibt, bei denen der Kopf des Fahrers in Mitleidenschaft gezogen wird. Das ist ganz offensichtlich eine Schwachstelle im System. Ich bin für eine kontinuierliche Verbesserung der Sicherheit. Ich denke nicht, dass es eine unmittelbare Reaktion auf den Alonso-Crash geben wird, denn sowas kommt immer mal vor. Leider wurde an dieser Stelle vor einigen Jahren ein Marshal getötet. Ich hatte dort einen Unfall mit Alex Wurz 2007 und Martin Brundle fuhr mir dort 1996 übers Heck.

Schrecksekunde: Der Alonso-Crash in Melbourne, Foto: Sutton
Schrecksekunde: Der Alonso-Crash in Melbourne, Foto: Sutton

In der Auslaufzone wurde inzwischen dafür gesorgt, dass Marshals nicht mehr von Teilen getroffen werden können und dass das Auto mehr an Tempo verliert. Es ist ein plötzlicher Stopp, was für Insassen schlecht ist. Man kann die Gefahr nicht völlig aus dem Leben verbannen. Gerade jetzt rutscht jemand im Badezimmer aus und schlägt sich den Kopf an.

Wo möglich sollte man die Gefahr aus dem Motorsport nehmen, um in etwa auf ein Level mit Boxen zu kommen oder jedem anderen Sport, wo es plötzliche Stopps gibt. Aber es ist Teil unseres Sports. Ich denke, das F1-Management reagiert gut. Wir können das Leben nicht so steril machen, dass unsere Kinder nicht mehr laufen und fallen. Also können wir das auch nicht mit dem Motorsport der Erwachsenen.

Wie denken Sie über den Halo-Schutz? Darüber wurde ja viel diskutiert.
David Coulthard: Nehmen wir an, dass das etwas ist, was Schutz vor Frontaleinschlägen bietet und Verletzungen wie jene tödlichen von Senna und Bianchi vermeidet. Dann fände ich es schwierig, dagegen zu argumentieren. Wissen Sie, es gibt ein historisches Verständnis dafür, was ein F1-Auto ist. Es ein nicht geschlossener Open-wheeler. Wenn man es schließt und die Räder verdeckt, wird es ein Sportwagen, wie wir ihn traditionell kennen. Es geht also in diese Richtung.

Als die Sicherheitsgurte in der Formel 1 eingeführt wurden, mochten Leute wie Stirling Moss sie nicht. Sie wollten lieber aus dem Wrack geschleudert werden, als darin festgehalten zu werden, wegen möglicher Feuer. Heute erscheint es lächerlich, keinen Gurt in einem Rennauto zu haben. Ich denke, wenn etwas Neues eingeführt wird, dann gibt es verschiedene Optionen. Die Führung der Formel 1 muss das ausprobieren, aussieben und das Richtige tun.

Sie waren McLaren-Pilot und sie waren immer wettbewerbsfähig in diesem Auto. Denken Sie, dass Alonso mit dem Team die WM holen kann?
David Coulthard: Ungeachtet dessen, ob er Rennen oder den Titel gewinnt, ist er einer der Allergrößten dieses Sports: Sein natürlicher Speed, seine Fähigkeit zum Racing, seine leichten Manöver. Wenn er eine Qualifying-Runde startet, weiß man, dass man etwas Besonderes sieht, auch wenn er es in einem Auto tut, das nicht konkurrenzfähig ist.

Für mich ist das also keine Frage von Rennen, die er gewinnt oder Weltmeisterschaften, die er holt, um ihn in der Historie des Sports zu platzieren. Als er zu McLaren kam, waren sie nicht konkurrenzfähig und er musste - wie andere Fahrer in dieser Situation - helfen, sich zu entwickeln. Da hat man besser jemanden, der eine feste Größe ist und ohne Frage den Speed mitbringt. Dann kann man den Fokus auf Motor und Chassis legen.

Ich würde ihn gern eine weitere WM gewinnen sehen, den ich denke, er ist zu mehr als den beiden Titeln fähig, die er schon hat. Aber, so ist das Leben, Schicksal ist Schicksal. Wäre es anders, wäre die Welt ein anderer Ort und Laureus würde nicht das tun, was Laureus tut: Denen zu helfen, die weniger Glück hatten.

Was denken Sie, kann ihr ehemaliges Team in dieser Saison erreichen? Was wäre ein erfolgreiches Jahr für sie? Sie haben einen neuen Motor und stecken in einem Lernprozess.
David Coulthard: Ja, ich denke, realistischerweise werden sie - wenn nichts unvorhergesehenes passiert oder es kein signifikantes Update gibt - nicht um Podien fahren. Also, im Moment müssen sie sich darauf konzentrieren, konstant in die Punkte zu kommen, wie Stoffel Vandoorne in Bahrain. McLaren ist einer der wirklich großen Namen in diesem Sport. Daher ist es unvorstellbar, dass sie diese Phase durchmachen müssen. Aber dann denke ich, man kann sich Manchester United oder Chelsea anschauen in der englischen Premiere League. Es gab Zeiten, da schienen sie unbesiegbar und dann gewinnen sie mal wieder nicht die Liga.

Daran sollte man sich - im Leben wie im Sport - immer mal wieder erinnern: Du wirst überholt, bis Du Dich entwickeltst. Denn andere machen es genauso. Durch bestimmte Schlüsselentscheidungen, die das Team getroffen hat, haben sie nun ein weniger als konkurrenzfähiges Package. Das Management muss das auf seine Kappe nehmen, denn die Entscheidung wurde sicher nicht von den Teammitgliedern getroffen, die die Autos waschen oder die Handtücher auf den Toiletten wechseln. Das ist eine Erinnerung daran, die Dinge im Auge zu behalten.

War es seine gute Entscheidung von Alonso, zu McLaren zu wechseln?
David Coulthard: Man muss an einem glücklichen Ort sein, um sein volles Potential abzurufen. Er war Zweiter in der WM mit Ferrari und hat nie erreicht, was er sich vorgenommen hat, also den Titel. Ein anderer Fahrer der Scuderia hat das zu dieser Zeit aber auch nicht geschafft. Bevor Michael Schumacher diese Weltmeister-Serie mit Ferrari began, hatten sie - soweit ich mich erinnere - mehr als ein Jahrzehnt oder sogar noch länger nicht mehr die Weltmeisterschaft geholt. Man bekommt eben nicht immer das, was man will.

Aber Fernando liefert immer noch auf dem höchsten Level für sein Team. Er ist dorthin zurückgegangen. Momentan funktioniert es noch nicht, aber niemand hat die Kristallkugel, um in die Zukunft zu sehen. Aber harte Arbeit wird der Ausweg aus dieser Situation sein.

Können Sie uns etwas über den Charakter von Ron Dennis sagen?
David Coulthard: Ron hat eine große Vision und Sie brauchen nur zu schauen, was er in seinem Leben erreicht hat. Er hat sich von einem Mechaniker zum Gesellschafter und Geschäftsführer einer Unternehmensgruppe hochgearbeitet. Große Technik, hohes Niveau. Er ist ein unglaublich erfolgreicher Geschäftsmann. Das bewundere ich natürlich. Aber es ist keine Frage, Sie können nicht 100 Prozent in mehr als eine Sache investieren. Außerdem ist es von außen nicht leicht zu sagen, wie die Strukturen der Unternehmen sind.

Alte Kameraden: Ron Dennis, David Coulthard und Norbert Haug im Jahr 2000, Foto: Sutton
Alte Kameraden: Ron Dennis, David Coulthard und Norbert Haug im Jahr 2000, Foto: Sutton

Für mich sieht es so aus, als ob er an Go-Kart-Projekten und anderem gearbeitet hat, sodass das F1-Team nicht im primären Fokus stand. Ron hatte Erfolg in der F1. Aber aus irgendeinem Grund war die Struktur nicht auf einer Linie mit der Organisation, wenn es darum ging, der Beste zu sein.

Ron kann stolz sein, wenn er in den Spiegel schaut. Aber wie jeder Unternehmenslenker, der eine schwierige Phase durchmacht, muss er sich hinterfragen: Habe ich die richtigen Leute? Sind die langfristigen Investitionen so angelegt, dass sie Erfolg bringen? Vorausgesetzt, er fragt sich das, dann bin ich sicher, dass sie zurückkommen werden.

Aber ob es nun Ron ist, Frank Williams, jemand von Ferrari oder Red Bull, sie haben alle ihre eigenen Persönlichkeiten, die durchkommen, wenn sie interviewt werden. Wenn Sie mit ihnen arbeiten, sehen sie das Gute, das Schlechte und das Hässliche, wie es alle Menschen haben. Ich bewundere jeden, der in der Hochdruckblase Formel 1 Führung zeigt.

Denken Sie, dass McLaren sich wirklich noch einmal als eine bestimmende Kraft in diesem Sport neu erfindet?
David Coulthard: Sie müssen. Das ist die Basis, auf der die restlichen Unternehmen aufbauen. Die Marke McLaren ist verbunden mit den Erfolgen im Motorsport wie Ferrari. Letztere haben auch Autos verkauft, als sie nicht um die WM mitgefahren sind. Aber die DNA des Unternehmens besagt, für den Wettbewerb zu leben und zu atmen. Und die Produkte sagen das aus.

Ich kann nicht in die Zukunft schauen. Der Name über der Tür garantiert keinen Erfolg. Niemand kann für immer auf höchstem Niveau Leistung bringen. Sport ist ein perfektes Beispiel dafür, dass man Jahre hat, in denen man aufsteigt und Jahre auf dem Gipfel. Und dann - abhängig davon, wann man aufhört - endet es an der Spitze oder auf dem Weg nach unten. Das ist eine Frage von Bemühen und und körperlichen Fähigkeiten. Die Geschichte hat gezeigt, dass keine Person im Sport ihr Leben lang davon verschont bleibt.

Wie denken sie über Carlos Sainz und Max Verstappen? Verstappen ist nominiert für den Laureus Breakthrough Award. Können die beiden Weltmeister werden?
David Coulthard: Was ich zu der Art sagen kann, wie sie in der Formel 1 angekommen sind und geliefert haben, ist: Ich glaube, sie sind beide mindestens potentielle GP-Sieger der Zukunft. Abhängig von den Entscheidungen, die sie treffen, sind sie auch potentielle Weltmeister. Sie sind beide junge Fahrer mit hoher Qualität. Der Fokus der Aufmerksamkeit lag bislang stark bei Max, denn er ist der Jüngere der beiden. Aber Carlos hat absolut mitgehalten und geliefert. Es ist definitiv ein Dilemma für Toro Rosso, denn es kann immer nur ein Fahrer vorne sein und der andere geht dann meistens woanders hin, damit auch er ein Star sein kann.

Die Zukunft der F1: Carlos Sainz und Max Verstappen, Foto: Sutton
Die Zukunft der F1: Carlos Sainz und Max Verstappen, Foto: Sutton

Ich hätte kein Problem damit, einen der beiden in meinem Team zu haben, wenn nicht beide. Sie haben all die Charaktereigenschaften von potentiellen Champions. Sie sind beide fokussiert, hungrig und fahren auf der Rasierklinge. Sie sind in Motorsportfamilien aufgewachsen. Und mit Stoffel Vandorne ist ein neuer Mann in die gekommen und hat gleich am ersten Wochenende für McLaren geliefert. Die Zukunft der Formel 1 sieht gut aus und das ist wichtig.

Daniel Ricciardo war im vergangenen Jahr der Gewinner des Laureus Breakthrough Award. Er ist momentan Dritter in der Weltmeisterschaft. Wie bewerten sie ihn?
David Coulthard: Ja, er ist aktuell der Aufsteiger, keine Frage. Um wieder einen Namen aus der Vergangenheit zu bemühen: Auch er sieht manchmal wie Senna aus und er hat seine Chancen genutzt. Für mich ist er der Allround-Sportsmann, denn er hat verstanden, dass er auch ein Bezugspunkt und Vorbild für die nächste Generation ist. Er hat ein Lächeln, das einen Raum erleuchtet und Energie die er auf das ganze Team im Paddock überträgt.

Manche Fahrer machen tolle Sachen auf der Strecke, sagen anschließend nur das Minimum, gehen dann nach hause und man hört nichts mehr von ihnen, bis sie wieder fahren. Das ist ihr Recht und ihre Persönlichkeit. Daniel ist ein Multimedia-Sportsmann. Er ist schnell, fokussiert und hat kapiert, dass es ein Privileg ist, Profi-Sportler zu sein. Das wird man, weil man dafür bezahlt wird, sein Hobby auszuüben. Er hat das realisiert. Es kommt von den Fans, den Sponsoren, den TV-Sendern, den Medien. Er ist ein inspirierendes F1-Talent und wird zweifellos noch mehr Rennen gewinnen und um den Titel fahren.