Zugegeben: Der Freitag in Montreal war wegen der verregneten zweiten Trainingssession nicht ideal für eine Longrun-Analyse. Deshalb legen wir heute den Fokus nicht allzu sehr auf die Longruns - sondern blicken auf die generelle Performance der Teams. Und die Ergebnisse sind durchaus interessant. Motorsport-Magazin.com erklärt, warum sich Mercedes vor Ferrari fürchtet.

Auf den ersten Blick ist auch in Kanada alles beim Alten: Lewis Hamilton holte sich in beiden Trainingssitzungen die Bestzeit. Allerdings war der Vorsprung des Briten nicht beängstigend groß. Drei Zehntel fehlten Sebastian Vettel auf den Tagesschnellsten. Die Rundenzeit ist zwar eine der kürzesten des gesamten Jahres und Lewis Hamilton hat seine Runde nicht perfekt hinbekommen, trotzdem war der Abstand am Freitag schon Mal größer.

Hamilton: Ferrari hat bei Pace nachgelegt

Dass es kein Spaziergang für die Silberpfeile werden dürfte, zeigt auch Nico Rosberg. Der Deutsche sortierte sich hinter dem Ferrari-Duo ein. "Ferrari scheint auf jeden Fall eine Gefahr zu sein. Sie waren heute sehr schnell", weiß auch Rosberg. Hamilton fürchtet die rote Konkurrenz ebenfalls: "Ferrari scheint bei der Pace nachgelegt zu haben."

Ferrari fährt an diesem Wochenende erstmals mit einer Performance-technisch verbesserten Power Unit. Drei Tokens haben die Italiener investiert, um den Verbrennungsmotor stärker zu machen. Schon am Freitag war der neue Motor im Einsatz, allerdings dürfte auch Ferrari noch weit weg von der Maximalleistung gewesen sein. Die Topspeed-Werte sind einmal mehr stark: Kimi Räikkönen und Sebastian Vettel führen die Tabelle an - und das nicht zu knapp.

Topspeeds beim zweiten Freien Training in Kanada

Fahrer Team Motor Topspeed
Kimi Räikkönen Ferrari Ferrari 336,2 km/h
Sebastian Vettel Ferrari Ferrari 335,8 km/h
Nico Hülkenberg Force India Mercedes 333,6 km/h
Pastor Maldonado Lotus Mercedes 333,5 km/h
Sergio Perez Force India Mercedes 332,9 km/h
Marcus Ericsson Sauber Ferrari 332,5 km/h
Max Verstappen Toro Rosso Renault 332,2 km/h
Romain Grosjean Lotus Mercedes 331,3 km/h
Daniil Kvyat Red Bull Renault 331,1 km/h
Carlos Sainz Toro Rosso Renault 330,4 km/h
Lewis Hamilton Mercedes Mercedes 329,8 km/h
Felipe Massa Williams Mercedes 329,4 km/h
Felipe Nasr Sauber Ferrari 329,4 km/h
Valtteri Bottas Williams Mercedes 329,2 km/h
Nico Rosberg Mercedes Mercedes 328,3 km/h
Daniel Ricciardo Red Bull Renault 326,3 km/h
Roberto Merhi Manor Ferrari (2014) 322,7 km/h
Fernando Alonso McLaren Honda 322,1 km/h
Will Stevens Manor Ferrari (2014) 318,3 km/h
Jenson Button McLaren Honda 317,5 km/h

Dass Red Bull und Toro Rosso nicht ähnlich abgeschlagen sind wie die McLaren und Manor liegt nicht etwa an einem Sprung von Renault. Die beiden Bullen-Teams fahren mit extrem wenig Flügel. "Das ist schon weniger als Monza", kommentiert Dr. Helmut Marko gewohnt spitz. McLaren konnte trotz eines um zwei Tokens weiterentwickelten Honda-Triebwerks noch nicht überzeugen. Am Samstag soll aber die volle Leistung freigegeben werden.

Zurück zum Duell an der Spitze: Auf eine Runde ist Mercedes sicher schneller als Ferrari, aber die Italiener waren schon weiter weg. Wegen des verkürzten Programms stehen leider nicht gewohnt viele Longrun-Daten zur Verfügung. Was sich aber nach Monaco bestätigt: Der Supersoft-Reifen ist tatsächlich nicht weit vom Soft-Pneu entfernt. Der Reifenverschleiß war am Freitag so gering, dass Pirelli mit einem Einstopp-Rennen rechnet.

Räikkönen fährt Fabelzeiten auf Soft

Das könnte Ferrari entgegenkommen: Je länger die Stints sind, umso mehr kann Ferrari vom besseren Umgang mit den Reifen profitieren. Besonders die Hinterachse ist wichtig, weil auf dem Circuit Gilles Villeneuve viel Traktion gefragt ist. Zur Erinnerung: Beim Ferrari-Sieg in Malaysia waren ebenfalls die Hinterreifen der Schlüssel zum Erfolg.

Die wenigen Longrun-Daten, die zur Verfügung stehen, müssen mit Vorsicht genossen werden. Ferrari ging im zweiten Freien Training wegen der schlechten Wettervorhersage sofort auf Supersoft raus, die Mercedes-Piloten drehten noch ein paar Runden auf Soft. Weil das komplette Programm durcheinandergewürfelt wurde, könnten auch die Spritmengen stärker voneinander abweichen als sonst am Freitag.

Vielleicht erklärt es sich so, dass Ferrari im Longrun nicht nur auf Augenhöhe, sondern sogar stärker war als die Silberpfeile. Besonders auffällig: Kimi Räikkönens starke Zeiten - der Finne fuhr als einziger des Quartetts seinen Longrun am Nachmittag auf den Soft und nicht den Supersoft-Reifen.

Lotus dritte Kraft?

Auch hinter Mercedes und Ferrari ist das Kräfteverhältnis spannend. Für Red Bull und Toro Rosso sieht es auf der Power-Strecke weniger gut aus. Dafür dürfen Williams, Lotus und sogar Force India auf dicke Punkte hoffen. Williams erlebte in Monaco ein Wochenende zum vergessen, die langsamste Strecke im Kalender ist einfach nichts für die Charakteristik des FW37. Montreal sollte dafür gelegen kommen.

Die große Überraschung blieb aber bei Valtteri Bottas und Felipe Massa aus. Williams geht allerdings am Freitag oftmals etwas konservativer heran - gut möglich, dass der Traditionsrennstall noch eine Schippe nachlegen kann. Umso mehr überraschten dafür Lotus und Force India.

Das Downforce-Defizit des VJM08 kommt auf dem Circuit Gilles Villeneuve kaum zum Tragen. Es geht entweder geradeaus oder durch langsame Kurven. Da hilft Mercedes-Power. Genauso bei Lotus. Pastor Maldonado und Romain Grosjean profitieren ebenfalls von der Brixworth-Power. Der Lotus ist zudem noch das bessere Auto und sieht vor allem auf Longruns richtig stark aus.

Auch für Sauber sieht es in Kanada wieder besser aus. Für die Schweizer gilt das gleiche, wie für Force India: Das Downforce-Defizit wiegt hier nicht so stark. Dafür findet sich McLaren wieder ganz weit hinten. Auch Honda hat mit Entwicklungs-Token nachgelegt. Allerdings wurde am Freitag noch nicht wirklich Leistung freigegeben - das soll dann angeblich am Samstag kommen. Trotzdem: Mit Punkten aus eigener Kraft - wie noch in Monaco - wird es für McLaren in Kanada wohl nichts.