Der Januar und Februar sind traditionell die Monate der Teampräsentationen und Car Launches. Und das bedeutet in erster Linie eines: In keinem anderen Monat titeln die Medien öfter "New car breaks cover" – es wurde also wieder ein neuer Bolide enthüllt. Beinahe ebenso häufig heißt es jedoch: "Das neue Auto ist eine Evolution des Vorgängers."

Doch was bedeutet das eigentlich? Rein biologisch gesehen bedeutet Evolution vom lateinischen evolvere abgeleitet eine "langsame, kontinuierlich fortschreitende Entwicklung". Oder allgemeiner ausgedrückt: "Evolution ist ein spezifischer Prozess, der Bestehendes einem ständigen Wandel unterwirft."

Genau einen solchen ständigen Wandel gibt es in der Formel 1 Welt – allerdings ist dieser keinesfalls "langsam", sondern wie alles in diesem schnelllebigen Business extrem rapide. Toyotas Technischer Direktor Mike Gascoyne bestätigt die Anwendung von Charles Darwins Evolutionstheorie auf die Fahrzeugentwicklung der Königsklasse: "Es klingt zwar gut, zu sagen, alles ist neu – aber es stimmt nicht", betont Gascoyne. "Letztlich arbeitet man in der Formel 1 immer mit Weiterentwicklungen, gerade bei den erfolgreichen Teams. Wer sein Auto ständig radikal ändert, der gewinnt nicht."

Und dies wiederum führt auch in der Ecclestone´schen F1 zu einer Selektion – einer natürlichen Auslese, welche zumindest hier durchaus noch mit dem nicht mehr so gerne verwendeten Vergleich des "Survival of the fittest" – dem Überleben der Stärksten oder in diesem Fall Schnellsten – untermauert werden darf.

Belegt wird diese These durch das Artensterben von Teams wie Arrows oder Prost. Schließlich müssen sich auch die F1-Boliden nicht nur der intraspezifischen Konkurrenz zwischen den Individuen derselben Art (also dem Teamkollegen im gleichen Auto), sondern auch der interspezifischen Konkurrenz mit den 18 anderen Rennwagen stellen. Wie sich das Artenspektrum der 2005er Generation auf die in der F1Welt gerne verwendeten – aber nicht ganz korrekten – Begriffe "Evolution" und "Revolution" verteilt, begutachten wir in den folgenden Zeilen.

Die Evolution in der 2005er Boliden-Generation

Viele der neuen Autos des Jahrgangs 2005 wurden schon kurz nach ihrer mehr oder minder feierlichen Enthüllung von ihren Konstrukteuren oder der Presse als "sanfte Evolution" beschrieben.

Ein Paradebeispiel hierfür ist der neue Toyota TF105, welchen man durchaus als "vollendeten TF104B" bezeichnen darf, selbst da er beim ersten Rennen in Melbourne bereits ein neues Aero-Kleid tragen wird. Immerhin haben die Japaner aus Köln-Marsdorf mit ihrem neuen weiß-roten Boliden schon ein Rennen gewinnen können – nämlich jenes um den ersten Launch des Jahres.

Dicht gefolgt wurde Toyota von British American Racing und Sauber, wobei vor allem der Bondwagen mit der Typenbezeichnung 007 als Evolution der so erfolgreichen "sexy Lady" 006 anzusehen ist. Und auch der neue Renault R25, den Chefdesigner Tim Densham als Verbindung der beiden Vorgänger R23 und R24 ansieht, stellt eine der vielen Evolutionen dar: "Im Vergleich zum Vorjahresauto stellt der Renault R25 eher eine Evolution denn eine Revolution dar", gestand Technikdirektor Bob Bell mit einem jener vielen Evolutionssätze der F1 ein.

Ähnliches muss auch über den neuen FW27 aus dem Hause BMW-Williams sowie den neuen Silberpfeil vom Typ MP4-20 gesagt werden. Denn abgesehen von der breiteren Frontpartie und einigen anderen Änderungen ist der von uns "Entenschnabel" getaufte Neuwagen aus dem McLaren Technology Centre eine kontinuierliche Weiterentwicklung des bei den Vorgängern nur teils erfolgreichen Konzepts einer kompakten Heckbauweise.

Ein Lehrbuchbeispiel für die Evolutionstheorie ist unterdessen der F2004 M. Denn dieser entwickelte sich in den Wintermonaten nicht nur aufgrund der veränderten Umweltbedingungen, sprich der neuen Regeln aus der viel genutzten Schreibmaschine von Max Mosley, sondern auch aufgrund einiger vorteilhafter Verbesserungen aus dem Windkanal weiter.

Obwohl dies perfekt unter den Deckmantel der Evolution passt, sieht motorsport-magazin.com-Experte Sven Heidfeld die Italiener aus Maranello dennoch in einer Ausnahmeentwicklungssituation: "Bei Ferrari ist ein modifiziertes Auto wahrscheinlich genauso neu wie bei den anderen ein komplett neues Auto."

Die Revolutionen in der 2005er Boliden-Generation

Dann wollen wir sehen ob Sven mit diesen Worten Recht behält. Denn auch die Evolutionen aus den Fabriken in Enstone, Hinwil, Brackley, Grove oder Woking haben einige Revolutionen zu bieten.

So zum Beispiel der neue 007, welcher der Konkurrenz praktisch die Zunge zeigt, da er als erstes mit einer u-förmig gewölbten Delle in der Mitte des Frontflügels debütierte. Eine ähnliche Lösung präsentierten später auch McLaren und Williams für ihre neuen Autos.

Noch extremer lebt Ferrari diese Idee aus. Die Scuderia verpasste ihrem F2004 M einen kleinen Vorflügel vor dem eigentlichen Frontflügel, welcher zwar alles andere als elegant aussieht, den durch die neuen Vorschriften verlorenen aerodynamischen Anpressdruck aber wohl genügend ausgleicht. Evolution ist eben nicht immer hübsch.

Und auch beim Heckflügel gingen die Italiener einen eigenen Weg, da sie als einziges Team die Heckflügelendplatte deutlich beschnitten haben (was sonst nur bei Sauber und Williams in minimalistischer Form und Ausführung anzutreffen ist).

Apropos Sauber: Die Schweizer zeigten sich dank eines in der F1-Evolution sehr wichtigen Instruments (des neuen hypermodernen Windkanals) besonders innovativ und entwickelten alles andere als eine Ferrari-Kopie in blau. Neben einem schon nach dem ersten Test von der natürlichen Auslese aussortierten mehrstöckigen Frontflügel, ließen die Hinwiler ihrer Fantasie vor allem bei den geschwungenen Seitenkästen und Lufteinlässen freien Lauf.

Ebenfalls interessant geformte Seitenkästen haben der neue MP4-20 sowie der R25 zu bieten. Bei letzterem fallen neben dem großen Kühlkamin vor allem die zusätzlichen "Kiemen" auf, welche nicht wie bei Sauber, Ferrari und Toyota in der Vergangenheit üblich nur an der Seite der Sidepods, sondern auch im hinteren Bereich der Chassisabdeckung untergebracht wurden.

Aber der R25 hat nicht nur die erstmals vom "roten Hai" aus Maranello eingesetzten "Kiemen", er besitzt auch die Delphinnase des MP4-18 respektive 19. Während McLaren sich also von der schlanken Frontpartie wegentwickelte, führte die Evolution bei Renault genau in diese Richtung. Dennoch gleicht der R25 in der Gesamtansicht phänotypisch stark seinem Vorgänger. Genotypisch (also unter der Haube) schlummern in den Erbanlagen des R25 allerdings einige Revolutionen.

Etwa das "Step 11" getaufte Elektroniksystem, das die Steuereinheiten für Chassis und Motor in einem Bauteil vereint und zu den rund 25 Prozent Gewichtsersparnis beiträgt. "Wir verfügen nun über eine vierfach höhere Prozessorkapazität", betont Technikchef Bob Bell, "und eine zehnfach größere Speicherleistung als während der Saison 2004."

Der neue gelb-blaue Renner betrat mit dem revolutionären V-Kiel aber noch eine weitere bedeutende Evolutionsstufe. "In den vergangenen Jahren haben sich zwei Systeme der Frontaufhängung entwickelt: Mit Einzel- und mit Doppelkiel", erläutert Bell die bislang üblichen Konzepte. "Das Prinzip mit zwei Kielen bringt dabei den Vorteil einer verbesserten Aerodynamik. Gleichzeitig können aber strukturelle Nachteile entstehen."

Die Evolution brachte Renault deshalb zum V-Kiel, welcher laut Bell "eine elegante Lösung für dieses Problem" darstellen soll. "Denn er verbindet die Vorteile beider Prinzipien. Bei einem minimalen Nachteil in der Struktur erhielten wir einen großen aerodynamischen Vorteil und konnten unsere bewährte Konfiguration der vorderen Aufhängung beibehalten."

Die Nachzügler

Nichts mit der Evolution, sondern mit der Philosophie oder schlichtweg dem Geld hat der Launch-Termin der vier Nachzügler Teams von Red Bull, Jordan, Minardi und Ferrari zu tun. Während Red Bull und Jordan ihre neuen Autos in dieser Woche in Silverstone und Jerez einem ersten richtigen Test unterziehen, werden Minardi und Ferrari ihre neuen Boliden erst beim vierten respektive fünften Saisonrennen einsetzen.

Dabei gilt es für die Designabteilungen abzuwägen ob es sinnvoller ist das Auto möglichst früh zu präsentieren und dadurch genügend Zeit für Testfahrten und Arbeiten an der Zuverlässigkeit zu haben oder ob es nicht besser ist noch länger im Windkanal an der Aerodynamik zu feilen und dafür einen späteren Debüttermin in Kauf zu nehmen.

Die finanziell weniger gut betuchten Teams wie Jordan oder Minardi wählen hingegen einen dritten Weg: Ein später Präsentationstermin ohne viele Tests und ohne Windkanalversuche.

Dennoch soll der neue Minardi PS05, der vom gleichen Cosworth-Aggregat wie der Red Bull RB01 angetrieben wird, "anders als alle bisherigen Minardi Boliden" aussehen. "Das neue Auto wird bis Imola fertig werden und ein radikaler Wechsel sein", kündigte Teamboss Paul Stoddart an. "Es sieht komplett anders aus als alles was wir bislang gemacht haben – und Sie werden Probleme bekommen etwas Ähnliches in der F1 zu finden."

Ähnliches befürchtet auch Williams-Teamchef Frank Williams schon seit geraumer Zeit – allerdings von Ferrari und nicht von Minardi. Denn laut Sir Frank könnte der Scuderia durch die längere Entwicklungszeit im Vergleich zur Konkurrenz ein neuerlicher "Quantensprung" gelingen.

Aber selbst dann werden die Ferrari-Jäger nicht die Flinte ins Korn werfen und fleißig weiterentwickeln und neue Teile produzieren. So wie Toyota und B·A·R mit ihren neuen Aerodynamikpaketen, welche die Autos schon beim Saisonstart in Melbourne optisch – und hoffentlich auch leistungsmäßig – stark verändern sollen. Und das ist auch gut so. Schließlich ist die Evolution ein "kontinuierlich fortschreitender Prozess" der niemals stoppt.