Nach dem Qualifying zum Großen Preis von Ungarn hatte Nico Rosberg nicht nur den Sieg vor Augen, sondern auch eine große Chance, die Führung in der Fahrerweltmeisterschaft um einige Punkte zu vergrößern. Rosberg startete von Platz eins, Teamkollege Lewis Hamilton musste nach einem kapitalen Feuer im Heck seines Silberpfeils das Rennen aus der Boxengasse aufnehmen.

Doch das Rennen lief von Anfang an gegen Rosberg: Erst der Regen, dann zwei Safetycar-Phasen zu taktisch unklugen Zeitpunkten. Später ignorierte Hamilton auch noch eine Teamorder. Doch wieviel kostete Rosberg Hamiltons mangelnde Kooperationsbereitschaft? Motorsport-Magazin.com macht die Analyse.

Die Ausgangssituation

Nach einem chaotischen Rennverlauf liegt Rosberg in Runde 31 nur vier Sekunden hinter dem Führenden Fernando Alonso und direkt hinter Jean-Eric Vergne auf Rang drei. Dem Deutschen wiederum hängt Sebastian Vettel im Getriebe, dem seinerseits von Hamilton Druck gemacht wird. Die ersten fünf liegen innerhalb von 5,5 Sekunden.

PositionFahrerRückstand (Runde 31)Reifen / letzter Stopp
1Fernando AlonsoSoft / Runde 9
2Jean-Eric Vergne+ 3.646Soft / Runde 8
3Nico Rosberg+ 4.230Soft / Runde 9
4Sebastian Vettel+ 5.083Soft / Runde 9
5Lewis Hamilton+ 5.521Soft / Runde 8
6Daniel Ricciardo+ 6.383Soft / Runde 8

Weil Rosberg keinen Weg an Vergne vorbeifindet, holt Mercedes den WM-Führenden schon in Runde 32 zum zweiten Mal an die Box. Zu früh, um durchzufahren. Zu diesem Zeitpunkt ist klar: Rosberg muss noch einmal zum Reifenwechsel kommen. Seine Taktik: In den verbleibenden zwei Stints auf den weichen Reifen die Pace des F1 W05 Hybrid voll ausschöpfen.

Rosberg fällt durch seinen Stopp nur sechs Runden nach der zweiten Safety-Car-Phase auf Rang 13 zurück, weil sich das Feld noch nicht weit genug auseinandergezogen hat. Er kommt in den Verkehr und kann die Pace seiner frischen Reifen nicht sofort nutzen. Rosberg muss sich durchs Feld kämpfen und gewinnt Positionen durch andere Boxenstopps.

Hamilton an Rosberg vorbei

Hamilton kommt in Runde 39 zu seinem zweiten und letzten Boxenstopp. Der Brite wechselt auf die Medium-Reifen, um bis zum Rennende damit durchfahren zu können. Auch wenn Rosberg nach anfänglichem Verkehr die Performance seiner weichen Reifen ab Runde 40 nutzen konnte, kommt Hamilton nach dem Stopp vor Rosberg wieder auf die Strecke. Zu viel Zeit hat der Deutsche in den Runden nach seinem Stopp verloren.

PositionFahrerRückstand (Runde 40)Reifen / letzter Stopp
1Daniel RicciardoSoft / Runde 23
2Felipe Massa+ 11.478Medium / Runde 23
3Kimi Räikkönen+ 14.079Soft / Runde 8
4Fernando Alonso+ 16.772Soft / Runde 38
5Lewis Hamilton+ 21.435Medium / Runde 39
6Nico Rosberg+ 24.374Soft / Runde 32

Doch Rosberg ist zu diesem Zeitpunkt extrem schnell unterwegs. Auch mit gebrauchten Softs ist er noch schneller als Hamilton mit frischen Mediums. Rund drei Sekunden trennen die beiden Mercedes-Piloten nach Hamiltons Stopp. Rosberg kann die Lücke relativ schnell zufahren. In den vier Umläufen zwischen Runde 41 und 45 verkleinert er den Rückstand auf Hamilton von 3,2 auf 1,1 Sekunden. Dann passiert nichts mehr: Rosberg kann oder will Hamilton nicht richtig unter Druck setzen.

Die Stallorder nimmt ihren Lauf

Mercedes will Rosberg schnell an Hamilton vorbeilotsen. Der WM-Leader könnte schneller, wird allerdings von Hamilton aufgehalten. Weil Rosberg bereits in Runde 32 seinen Satz weiche Reifen holte, Hamilton erst sieben Runden später auf die Mediums ging, steht zu diesem Zeitpunkt bereits fest, dass Rosberg noch einmal zum Stopp kommen muss, Hamilton nicht. Der Brite erhält vom Kommandostand zum ersten Mal die Aufforderung, seinen Teamkollegen passieren zu lassen:

Team: "Okay, Lewis: Der Abstand zu Nico beträgt eine Sekunde. Er ist auf den Option-Reifen. Er hat noch einen Stopp. Halte ihn nicht auf."

Doch Hamilton will Rosberg nicht einfach ziehen lassen. Er weiß: Lässt er seinen Titelrivalen jetzt vorbei, kann dieser nach dem Boxenstopp mit den frischen Reifen schneller wieder auf ihn aufschließen. Hamilton beginnt am Boxenfunk zu debattieren:

Hamilton: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass seine Reifen halten - nach 20 Runden."

Das Team erklärt Hamilton die Situation genauer:

Team: "Die Options hielten 24 Runden bei feuchten Bedingungen. Der Verschleiß sollte kein Problem sein. Hinter Nico ist die Strecke frei. Du musst die Reifen nicht aufbrauchen, indem du dich gegen Nico verteidigst."

Doch Hamilton reagiert nicht, macht keine Anstalten, für Rosberg vom Gas zu gehen. Für den Deutschen geht es nicht nur um den Zweikampf mit Hamilton. Er muss versuchen, die Pace seiner Soft-Reifen so gut wie möglich auszuschöpfen. Er muss den Vorsprung auf die Piloten hinter sich vergrößern, damit er nach seinem Boxenstopp vor ihnen zurück auf die Strecke kommt.

PositionFahrerRückstand (Runde 44)Reifen / letzter Stopp
1Daniel RicciardoSoft / Runde 23
2Felipe Massa+ 14.571Medium / Runde 23
3Fernando Alonso+ 15.984Soft / Runde 38
4Lewis Hamilton+ 18.437Medium / Runde 39
5Nico Rosberg+ 20.189Soft / Runde 32
6Valtteri Bottas+ 31.871Medium / Runde 23
7Kimi Räikkönen+ 38.896Soft / Runde 41
8Sebastian Vettel+ 40.942Medium / Runde 33

Auf Räikkönen hat Rosberg knapp 19 Sekunden Vorsprung. Der Finne muss nicht mehr zum Reifenwechsel kommen. Ein Boxenstopp kostet gut zwanzig Sekunden. Rosberg muss sich also noch ein kleines Polster herausfahren, um nach dem Boxenstopp wieder vor Räikkönen auf die Strecke zu kommen. Mit der Pace, die er hinter Hamilton fährt, funktioniert das nicht. Rosberg will nun endlich vorbei am Teamkollegen.

Rosberg: "Warum lässt er mich nicht durch?"

Nach Rosbergs Frage wird Hamilton nochmals vom Kommandostand dazu aufgefordert, ihn vorbeizulassen. Ein Dialog entwickelt sich.

Team: "Lewis, lass Nico bitte vorbei. Lass Nico auf der Start/Ziel-Geraden vorbei."

Hamilton: "Ich mache nicht langsamer für Nico. Wenn er nah genug zum Überholen herankommt, dann kann er überholen."

Weil Hamilton Probleme macht, will Mercedes, dass Rosberg an einer anderen Stelle vorbeigeht, nicht mehr auf der Start/Ziel-Geraden. Somit soll Hamilton bei der Aktion weniger Zeit verlieren.

Team: "Bleib am Gas, Lewis. Und lasse Nico in der Bremszone vorbei."

Doch der Brite macht noch immer nicht den Weg für Rosberg frei. Der Deutsche fragt nochmals beim Team nach:

Rosberg: "Warum lässt er mich nicht vorbei?"

Team: "Er hat die Nachricht bekommen, Nico. Er hat die Nachricht bekommen."

Bis Runde 56 kommt Rosberg nicht an Hamilton vorbei. Dann steht sein letzter Boxenstopp an, er geht für die letzten 14 Runden noch einmal auf die weichen Reifen. 14 Qualifying-Runden soll er hinlegen, um wieder auf die Kampfgruppe an der Spitze aufzuschließen. Doch durch den Boxenstopp fällt er hinter Räikkönen und auch hinter Massa zurück. Massa wiederum fuhr vor seinem Boxenstopp in Runde 45 nur wenige Sekunden vor Rosberg. Das reichte aber, um vor Räikkönen wieder auf die Strecke zu kommen. Bei Rosberg nicht.

Rosberg musste Räikkönen und Massa auf der Strecke überholen, Foto: Sutton
Rosberg musste Räikkönen und Massa auf der Strecke überholen, Foto: Sutton

Also muss der Mercedes-Pilot ersteinmal an Räikkönen und Massa vorbei, um die frischen Reifen nutzen zu können und die Lücke auf das Führungstrio wieder schließen zu können. Erst in Runde 60 kann er Räikkönen überholen, eine weitere Runde später Massa. Somit bleiben nur mehr neun Runden, um die mehr als 20 Sekunden große Lücke zur Spitze zu schließen. Das gelingt ihm zwar, doch zum Überholen reicht es nicht mehr.

Was hat Rosberg hinter Hamilton wirklich verloren?

Die Frage lautet nun, ob Rosberg auch auf Platz vier gelandet wäre, hätte Lewis Hamilton bereitwillig Platz gemacht. Rosbergs Rundenzeiten im dritten Stint stiegen stark an, als er auf Hamilton auflief. Das ist nicht nur mit einem Abbau der Reifen zu erklären, sondern mit der Fahrt in der verwirbelten Luft. Auch Überrundungen ließen die Rundenzeiten etwas steigen. Im Rundenzeitenverlauf lässt sich der Knick gut erkennen.

Der Knackpunkt ist: Wäre Rosberg sofort an Hamilton vorbeigegangen, wäre er nach seinem Boxenstopp mit großer Wahrscheinlichkeit vor Massa und Räikkönen rausgekommen. Hinter dem Williams und dem Ferrari konnte er die Pace der frischen Soft-Reifen vier Runden lang nicht nutzen. Vier Runden lang verlor er dadurch rund zwei Sekunden pro Umlauf. Addiert man zu diesen acht Sekunden jene Zeit dazu, die er hinter Hamilton verlor, kommen wohl mehr als 10 Sekunden zusammen.

Es sind viele Unbekannte in der Rechnung, doch Rosberg wäre in diesem Fall definitiv deutlich früher auf das Spitzentrio aufgelaufen. Ob er dann Hamilton, Alonso oder sogar Ricciardo geknackt hätte, ist die nächste Unbekannte. Die Chance, zumindest Platz zwei zu holen, wäre aber sicherlich da gewesen.