Es sah aus wie immer: Zwei Mercedes waren dem Feld beim Großen Preis von Kanada enteilt, fuhren vorne an der Spitze ihr eigenes Rennen. Doch dann das Drama: Vor dem zweiten Boxenstopp stiegen die Rundenzeiten der beiden Mercedes-Piloten plötzlich enorm an. In Runde 36 bei Hamilton, eine Runde später auch bei Rosberg.

Beide hatten mit dem gleichen Handicap zu kämpfen: Die MGU-K lieferte keine 160 Zusatz-PS mehr. "Bei Lewis führte dies nach seinem zweiten Boxenstopp zu einem Defekt der Hinterradbremsen, der eine direkte Folge des Ausfalls der MGU-K war", erklärte Paddy Lowe den Totalausfall des Briten. Doch wieso ist das das so? Motorsport-Magazin.com erklärt die Details.

Zuerst kam die Hitze

Grund dafür waren zunächst Überhitzungsprobleme. Unzählige Sensoren messen ständig die Temperaturen bestimmter Bauteile. Übersteigt sie bei einem einzelnen Teil eine individuell festgelegte Maximaltemperatur, wird das an das entsprechende Steuergerät weitergegeben.

Das Steuergerät gibt dann das Signal, das überhitzende Bauteil lahmzulegen, damit es nicht kaputtgeht. Weil das heiße Bauteil dann nicht mehr arbeitet, sinkt die Temperatur in der Regel wieder ab. Außer der Temperaturanstieg ist nicht durch die eigentliche Arbeit des Teils verursacht worden, sondern beispielsweise durch Abwärme einer anderen Komponente.

Defekt im Hochspannungs-Steuergerät

Pendelt sich die Bauteiltemperatur wieder in vertretbare Regionen ein, kann es seine Funktion eigentlich wieder aufnehmen. Allerdings gab im Fall von Mercedes das MGU-K-Steuergerät weiterhin die Anweisung, die elektronischen Motoren nicht arbeiten zu lassen. Auch ein Reset des Steuergeräts konnte den Befehl nicht aus dem System nehmen.

Somit fehlten über die restliche Renndistanz weiterhin 160-Zusatz-PS, obwohl das System eigentlich funktionstüchtig war. Doch nicht nur Leistung fehlte den Mercedes-Piloten. Lewis Hamilton und Nico Rosberg hatten von diesem Zeitpunkt an mit Bremsproblemen zu kämpfen, der Brite musste das Rennen deshalb sogar vorzeitig beenden.

Die Vorderbremsen sind nicht betroffen, Foto: Sutton
Die Vorderbremsen sind nicht betroffen, Foto: Sutton

Das Problem liegt in der Funktionsweise des kinetischen Energierückgewinnungssystems. Beim Bremsen wird an der Hinterachse nicht nur von den Bremsen selbst Energie aufgenommen. Zusätzlich schaltet sich ein Generator hinzu, der die Rotationsenergie in elektrische Energie umwandelt, die dann in der Batterie gespeichert wird.

Das war auch in der Vergangenheit mit KERS der Fall, am Funktionsprinzip änderte sich hier nichts. Allerdings ist die Menge der aufgenommenen Energie deutlich größer. Im letzten Jahr hatten die Piloten pro Runde 6,7 Sekunden lang rund 80 Zusatz-PS zur Verfügung. In diesem Jahr dürfen die Elektromotoren an der Hinterachse doppelt soviel Energie abgeben - und das für mehr als 30 Sekunden.

Nur ein Teil kommt von ERS-H, Foto: Mercedes-Benz/adrivo
Nur ein Teil kommt von ERS-H, Foto: Mercedes-Benz/adrivo

Somit wird insgesamt zehnmal mehr elektrische Energie benötigt, die teilweise vom neuartigen ERS-H-System, also vom Turbolader eingespeist wird. Die Hälfte der Gesamtenergie, also 2 Megajoule, wird aber rein durch Bremsvorgänge an der Hinterachse eingespeist. Somit muss an den Hinterrädern fünfmal mehr Energie gesammelt werden, als im Vorjahr.

Das bedeutet, dass die Bremswirkung des Generators an der Hinterachse enorm ist. Weil der Generator nicht bei jedem Bremsvorgang gleichviel Energie einspeist und somit die Bremswirkung variiert, wurde extra für diese Saison ein neues System eingeführt: Brake-by-wire. Das Bremssystem ist mit dem Generator verbunden und gleicht die Schwankungen der Bremswirkung aus, so dass der Fahrer auf der Hinterachse eine konstante Bremsleistung hat.

Fällt, wie bei den beiden Mercedes, die MGU-K aus, fehlt entsprechend auch die Bremswirkung auf der Hinterachse. Um das zu kompensieren, müssen die herkömmlichen Bremsen mehr Energie aufnehmen. Leichter gesagt, als getan: In der Formel 1 ist jedes einzelne Teil so minimalistisch ausgelegt, dass nicht eingeplante Belastungen nicht ohne Weiteres aufgenommen werden können. Zudem werden die Bremsen auf keinem Kurs so stark beansprucht wie auf dem Circuit Gilles Villeneuve.

Und so kam es dann auch: Durch die Mehrbelastung überhitzten bei beiden Piloten die Bremsen auf der Hinterachse. Während Lewis Hamilton aufgeben musste, konnte Nico Rosberg das Problem managen. "Ich konnte absolut nichts gegen unsere Schwierigkeiten unternehmen", klagte Hamilton. Dabei hatte der Brite den Nachteil, dass er fast das gesamte Rennen in Rosbergs Windschatten fuhr - was die Bremskühlung zusätzlich erschwert.

Um zusätzlich die hinteren Bremsen zu entlasten, verstellte Rosberg die Bremsbalance weiter nach vorne. Nicht ohne Folgen: In Runde 39 fuhr Rosberg gleich vier Sekunden langsamer als üblich. "Ich bin fast abgeflogen. Weil ich die Bremsbalance so künstlich nach vorne verstellt habe, musste ich mich ersteinmal daran gewöhnen. Als ich dann in den Rhytmus gefunden habe, habe ich aber richtig attackiert"