Esteban, im vergangenen Winter hast du uns gesagt, dass die Saison 2012 die beste deiner Karriere gewesen ist. Wie fasst du deine erste Saisonhälfte in der Formel 1 zusammen?
Esteban Gutierrez: Mit Blick auf die gemachten Erfahrungen war die vergangene Saison definitiv meine beste bislang. Wenn man sich solchen Herausforderungen gegenüber sieht, lernt man immer am meisten. Ich bin mental viel stärker geworden. Es war eine großartige Vorbereitung für die Formel 1. Meine erste Saisonhälfte in der Formel 1 war ebenfalls eine riesige Aufgabe, umso wichtiger war es, dass ich im vergangenen Jahr bereits wertvolle Erfahrung in der GP2 gesammelt habe. Mit diesem Wissen konnte ich viel besser mit schwierigen Situationen umgehen, die nun einmal Teil unseres Sports sind.

Du bist also auch ohne WM-Punkte glücklich mit deinem Formel-1-Debüt?
Esteban Gutierrez: Ich bin zufrieden, aber es ist klar, dass ich natürlich viel lieber in einer besseren Position gewesen wäre. Wir müssen aber realistisch bleiben und bedenken, dass unser Team sich in einer sehr schwierigen Situation befindet. Das macht die Herausforderung für mich natürlich noch größer, aber das ist gleichzeitig eine tolle Gelegenheit für mich, um als Rennfahrer viel Erfahrung zu sammeln und dem Team dabei zu helfen, diese schwierige Phase zu überwinden. So ist es nun einmal - wir können es nicht ändern und müssen einfach unser Bestes geben, um unser Potenzial voll auszuschöpfen und auf der Strecke alles aus unserer Performance herauszuholen. Wir müssen jede Gelegenheit, die sich uns bietet, ausnutzen.

Der Mexikaner ist mit seinem Debüt auch ohne Punkte zufrieden, Foto: Sutton
Der Mexikaner ist mit seinem Debüt auch ohne Punkte zufrieden, Foto: Sutton

Blicken wir zurück auf dein Formel-1-Debüt in Melbourne. Warst du etwas nervös?
Esteban Gutierrez: Ja, es war sehr spannend. Ich erinnere mich gut daran. Ich hatte mich mental sehr gut auf diesen Moment vorbereitet, um mich normal und selbstbewusst zu fühlen. Das ist mir gelungen und das war ein schönes Gefühl. Normalerweise ist man vor seinem ersten Formel-1-Rennen nervös und erlebt einige Überraschungen. Letztlich ist aber nur entscheidend, konzentriert zu sein und die richtige mentale Einstellung zu finden. Das ist keine einfache Aufgabe, aber ich habe es hinbekommen.

Was war für dich die größte Herausforderung in der Formel 1? Was war am schwierigsten zu lernen? Das Qualifying, die Rennstrategie, die Konstanz?
Esteban Gutierrez: Aus Fahrersicht ist es am schwierigsten, zu akzeptieren, dass man als Team nur ein bestimmtes Performance-Fenster besitzt. Auf uns übertragen bedeutet dies: Wir bewegen uns zwischen den Plätzen elf oder zwölf und sechzehn bis achtzehn. Als Fahrer muss man verstehen, dass dies unser Limit ist, über das man nicht hinausgehen darf. Wenn man über diese Grenze hinauspushen würde, macht man Fehler. Diese Tatsache zu akzeptieren, ist aus meiner Sicht die größte Herausforderung.

Es ist sicherlich nicht einfach, alles zu geben und dann zu akzeptieren, dass ein zwölfter Platz das Maximum ist, das du erreichen konntest...
Esteban Gutierrez: Richtig. Natürlich habe auch ich in der ersten Saisonhälfte Fehler gemacht, weil ich mich am Limit bewegt habe - dann versucht man, darüber hinaus zu gehen, doch irgendwie in die Top-10 im Qualifying hineinzugelangen und dann macht man Fehler. Aber das gehört zum Lernprozess dazu. Wichtig ist, dass ich mich gut eingelebt habe, mich im Team wohlfühle und die Kommunikation mit den Ingenieuren sehr gut ist. Jedes Mal wenn ich ins Auto steige, bin ich optimistisch. In dieser Hinsicht bin ich also sehr zufrieden. Jetzt möchte ich gemeinsam mit dem Team die nächsten Schritte machen.

Dein Teamkollege Nico Hülkenberg hat schon einige Jahre in der Formel 1 auf dem Buckel. Ist es für dich mental schwierig zu verkraften, dass er dich im Qualifying bislang immer geschlagen hat?
Esteban Gutierrez: Einmal war ich vor ihm! (lacht) Im Q1 in Malaysia war ich schneller als Nico. Aber es ist richtig, am Ende lag er immer vor mir. Es ist eine große Herausforderung, denn Nico ist eine exzellente Messlatte für mich. Er ist ein sehr guter Fahrer, sehr schnell und sehr konstant. Allein diesen Vergleich und diese Informationen zu haben, ist für mich sehr wichtig. Als Neuling kann ich so genau sehen, wo ich mich noch verbessern muss. Ich bin dankbar dafür, einen erfahrenen Piloten wie Nico an meiner Seite zu haben. Das treibt mich noch mehr an.

Esteban Gutierrez im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com, Foto: Sutton
Esteban Gutierrez im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com, Foto: Sutton

Nico ist für dich also eher ein Ansporn und eine Hilfe und setzt dich nicht zusätzlich unter Druck?
Esteban Gutierrez: Nein, absolut nicht. Ich gebe mein Bestes, leiste immer 120% Einsatz und bin sehr diszipliniert. Ich kenne meine Fehler, weiß aber auch, was ich richtig mache. Entscheidend ist, dies als Fahrer auch zu akzeptieren. Es geht nicht darum, was die anderen Menschen denken. Es geht darum, dass ich es auch umsetze. Denn ich möchte gute Ergebnisse erzielen und das richtige für meine Karriere machen.

In der Formel 1 wird viel über die geringen Testmöglichkeiten für junge Fahrer gesprochen. Wie siehst du die Situation?
Esteban Gutierrez: Es ist definitiv eine Herausforderung. Als Rookie möchte man so viel wie möglich im Auto sitzen und auf der Strecke fahren. Das ist das Wichtigste, um dich auf die kommenden Aufgaben vorzubereiten. Ich hatte vor Saisonbeginn nur sechs Testtage - drei davon waren verregnet. Das war auf jeden Fall nicht einfach. Aber ich lerne von Rennen zu Rennen dazu und es wird immer besser.

Verfolgst du aktiv, was im Internet oder in Zeitschriften über dich und deine Debütsaison geschrieben wird?
Esteban Gutierrez: Nur grundlegende Nachrichten. Ich verfolge nicht so sehr, was geschrieben wird. Ich konzentriere mich auf meine Aufgaben und die Beziehung zu meinem Team.

Blicken wir zum Schluss nach vorne: Denkst du manchmal über die Zukunft nach? Etwa auf einem langen Flug oder nachts, wenn du im Bett liegst...
Esteban Gutierrez: Ehrlich gesagt, denke ich nur an die Gegenwart. Klar, man setzt sich langfristige Ziele, aber eben auch kurzfristige Ziele. Das Wichtigste dabei ist, realistisch zu sein. Momentan möchte ich nicht an die Zukunft denken, sondern mich auf das Hier und Jetzt konzentrieren und das Beste daraus machen. Ich mache mir keine Sorgen.

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