Wird die Formel 1 zur Formel Fitness? Fernando Alonso sagte die ersten Testfahrten in Jerez kurzerhand ab, um sich für die kommende Saison in Topform zu bringen. Und nicht nur das: Auch seine vielen Anhänger ließ der Ferrari-Star an der täglichen Tortur teilhaben. Über den Kurzmitteilungsdienst Twitter verbreitete er Schnappschüsse, die ihn beim Fahrradfahren, beim Langlauf oder im Kraftraum zeigten. Die Schinderei hat sich allem Anschein nach ausgezahlt. Ferrari bescheinigte seinem Vorzeige-Fahrer das körperliche Format eines Olympioniken. Und der Spanier ist bei weitem nicht die einzige Sportskanone im Fahrerfeld. Jenson Button und Nico Rosberg sind begeisterte Triathleten, Mark Webber steigt bei jeder freien Gelegenheit aufs Fahrrad und der dreimalige Weltmeister Sebastian Vettel stählt seinen Körper beim Badminton.

Aber woher kommt der plötzliche Körperkult in der Formel 1? Gibt es neben der Profilschärfung in sozialen Netzwerken auch eine rationale Erklärung für die Trainingsbesessenheit der Ausnahmekönner auf vier Rädern? Offenbar schon: Nach Meinung von Balbir Singh, dem langjährigen Physiotherapeuten und engen Vertrauten von Michael Schumacher, ist ein perfekt austrainierter Körper heutzutage Grundvoraussetzung, um bei der Vergabe von Titeln und Triumphen ein Wörtchen mitzureden. "Ohne die notwendige körperliche Verfassung hat ein Fahrer wenig Chancen, um die Weltmeisterschaft zu kämpfen", erklärte er bei Motorsport-Magazin.com. "Es gibt einige Rennstrecken, die verlangen eine enorme Fitness - wie zum Beispiel das Rennen in Malaysia oder in Singapur."

Macht Sinn: Das augenscheinlich Faible für Ausdauersportarten erklärt sich damit, dass die Piloten für die Strapazen im Cockpit bestens gerüstet sein wollen. Gerade Triathlon eignet sich hervorragend für die die Schulung des Schwerpunkts Ausdauer. Allerdings ist das publikumswirksame Konditionstraining nur einer von vielen Faktoren, die über die Leistungsfähigkeit hinterm Steuer entscheiden. "Kraft-Koordination und Konzentration sind ebenso wichtige Bausteine wie das Ausdauertraining", erklärte Mercedes-Pilot Nico Rosberg auf Nachfrage von Motorsport-Magazin.com. "Sie sind spezifischer auf die Anforderungen des Fahrens ausgerichtet."

Nico Rosberg beim Triathlon in Cannes, Foto: Nico Rosberg
Nico Rosberg beim Triathlon in Cannes, Foto: Nico Rosberg

Im Gegensatz zu anderen Profisportlern haben die Piloten außer in den Rennen nicht die Möglichkeit, ihre Sportart zielgerichtet zu trainieren. Aus diesem Grund bemühen sich die Fahrer im alltäglichen Training um eine möglichst vielseitige Ausbildung ihrer körperlichen Fähigkeiten - sie sind sozusagen Allrounder, die in vielen verschiedenen Disziplinen Höchstleistungen erbringen müssen. "Ja, das Allrounder ergibt sich aus der Tatsache, dass man unseren Sport nicht Sportart-spezifisch trainieren kann", bestätigte Rosberg. "Quasi nur, wenn man im Auto sitzt. Wenn nicht, kann man nur andere Sportarten trainieren. Da versucht man, es so abwechslungsreich zu gestalten."

Stichwort Abwechslung: Große Unterschiede gibt es auch zwischen den Programmen, die die Fahrer während des Winters und während der Saison absolvieren. In der rennfreien Zeit bestehen viel mehr Möglichkeiten hinsichtlich des Umfangs und der Intensität. In dieser Phase wird das Fundament für die kräftezehrende Saison gelegt, deshalb ist ein gewisses Übertraining durchaus sinnvoll. Während der Saison ist zu hartes Training dagegen möglichst zu vermeiden. Der Schwerpunkt liegt darauf, am Renntag zu 100 Prozent ausgeruht und konzentriert zu sein. Rosberg: "Vor allem bei back-to-back-Rennen und nach langen Flügen muss man die Intensität runter fahren."

Es gibt aber noch einen weiteren Grund für die neue Fitness-first-Mentalität in der Königsklasse. Für Singh ist die mentale Komponente des Trainings fast ebenso wichtig wie die physische. Gerade die Spitzenfahrer müssten im nervenaufreibenden Titelkampf kaum vorstellbare psychische Belastungen aushalten. "Die Formel 1 ist nicht mehr so wie früher. In der Zeit von Senna und Prost hatte das Training noch nicht die Bedeutung, die es heutzutage hat. Die Jungs haben alles easy genommen, Spaß gehabt und Partys gefeiert", erläuterte der Inder. "Der Druck ist heutzutage sehr viel größer. Die Fahrer müssen unbedingt ein gutes Ergebnis einfahren."

Und gerade Ausdauersportarten sind seiner Meinung nach sehr gut dazu geeignet, um mit diesem Dauerdruck klarzukommen. "Es ist ein Ausgleich. Gerade im psychologischen Bereich gibt das Training den Fahrern noch mal einen besonderen Kick. Es ist eine Abwechslung, bei der sie Spaß haben, lachen und Endorphine ausschütten", sagte Singh. "Während der Rennwochenenden haben die Fahrer riesigen Druck, da gibt es nicht viel zu lachen. Deshalb ist es gut, wenn sie mal abschalten."