Die Saison 2010 war ein Reinfall. Daran kann Mercedes GP nichts mehr ändern. Als amtierender Weltmeister in die Saison gestartet, ging es schon bald nur noch um Schadensbegrenzung. Nach anfänglichen Erfolgserlebnissen wie den Podestplätzen von Nico Rosberg in Malaysia und China kam der Silberpfeil ins Stottern.

Rosberg klammerte sich etwas länger an den letzten Strohhalm als Michael Schumacher. Der jüngere der beiden Deutschen sah erst beim Auftaktrennen in Melbourne ein, dass Mercedes GP in dieser Saison wohl nicht um den WM-Titel mitfahren würde.

Schumacher hatte das schon beim zweiten Jerez-Test festgestellt. "Vor der Saison wollten wir natürlich um den WM-Titel kämpfen, aber mit dem letzten Test in Jerez wurde mir klar, dass dies ein schweres Unterfangen werden würde", so Schumacher. "Als wir verstanden haben, wie das Auto funktioniert, haben wir gesehen, dass wir keine Möglichkeit hatten."

Vor allem die nachträgliche Integration des angeblasenen Diffusors und des F-Kanals bereiteten dem Team starke Probleme. Gerade Schumacher klagte darüber, dass der F-Kanal bei ihm einige Male nicht richtig funktionierte und er so Abtrieb in den Kurven verlor. Erst gegen Jahresende wurde es besser, ironischerweise genau dann, als das Team die Entwicklung zugunsten der Saison 2011 eingestellt hatte. "Unsere Updates funktionieren jetzt doch sehr gut", verriet Schumacher. Ohne die ständigen Setupanpassungen für neue Teile konnte sich das Team besser darauf einschießen.

Ziele verfehlt

Kein Feuerwerk, keine Spice-Girls, kein Cirque du Soleil. Die neue silberne Ära begann bei der Präsentation des MGP W01 ohne Pomp. "Das Ziel ist denkbar einfach", sagte Daimler-Vorstandschef Dieter Zetsche damals. "Wir wollen Weltmeister werden." Vier Wörter, die sich in der Formel 1 schnell rächen können - fragen Sie einmal bei Toyota nach. "Das bedeutet ausdrücklich nicht, dass es im ersten Jahr klappen muss", vermied Zetsche den Toyota-Fehler. "Wir sind ein neues Team, also bitte geben Sie uns etwas Zeit."

Michael Schumacher hatte sich von der Saison 2010 mehr versprochen, Foto: Sutton
Michael Schumacher hatte sich von der Saison 2010 mehr versprochen, Foto: Sutton

Zeit ist in der Formel 1 Mangelware. Auf der Strecke wird unermüdlich jedes Tausendstel weggefeilt, daneben rückt mit jeder verstrichenen Sekunde ohne Erfolg das Scheitern einen Schritt näher. Im ersten Jahr der Rückkehr glänzten die Silberpfeile nicht. "Sie waren schweinelangsam", lautete das vernichtende Urteil von Christian Danner nach dem Rennen in Belgien - wo Michael Schumacher und Nico Rosberg noch ein vergleichsweise gutes Ergebnis einfuhren.

Mercedes GP konnte die hohen Erwartungen an das "deutsche Nationalteam" im ersten Jahr nicht erfüllen. Das gestand nach der Saison auch Zetsche: "Wir haben auf der einen Seite nicht erwartet und auch nicht gesagt, dass wir in diesem Jahr die Meisterschaft erringen werden. Wir hätten uns darüber aber auch nicht beklagt. Das wäre aber unrealistisch gewesen als neuaufgestelltes Team."

1. Konzentration auf 2011

Seit dem 25. Januar 2010 hat die F1-Welt wieder ein Silberpfeil-Team. Doch der erste echte Silberpfeil erblickt erst 2011 das Licht der Welt. Der W01 entstand noch zu Zeiten von Brawn GP - mit einem stark eingeschränkten Entwicklungsbudget und während sich das ums Überleben kämpfende Team mitten im Titelkampf befand. Ross Brawn hatte 2009 andere Sorgen als die Entwicklung für 2010. "Das kann man so betrachten", gesteht Motorsportchef Norbert Haug. "Aber so günstig wie die Übernahme war, wäre es eine kleine Wunderstory, wenn wir jetzt schon Erfolg hätten."

Im Leben und der Formel 1 gebe es eben nichts geschenkt. Stattdessen müsse das Team hart arbeiten, damit es 2011 besser läuft. Aber warum sollte es das? "Weil wir die Probleme verstehen, die wir dieses Jahr haben", glaubt Schumacher. "Wir müssen jetzt all die Fehler ausmerzen, die wir am diesjährigen Auto erkannt haben." Dabei setzt Rosberg auf genau jenen Faktor, der dem aktuellen Auto zum Verhängnis geworden sein dürfte: "Unsere Gegner kämpften bis zuletzt um die WM, wir hingegen nicht, somit haben wir einen Vorteil."

Tatsächlich hat Mercedes die Arbeiten schon sehr früh in diesem Jahr auf das neue Auto ausgerichtet. "Wir sind mit dem neuen Auto ganz gut unterwegs", verrät Haug. Das Team habe sich auf die wesentlichen Punkte konzentriert, um den Silberpfeil schneller zu machen. Haug weiß aber nicht, wie stark sich die Konkurrenz steigern wird. Schumacher hat trotzdem volles Vertrauen in seine Mannschaft. "Es stimmt, dass die gleichen Leute, die dieses [nicht konkurrenzfähige] Auto gebaut haben, auch das nächste bauen. Aber diese Leute haben auch das 2009er Auto gebaut, das die Weltmeisterschaft gewonnen hat."

2. Neue Aero-Regeln

Die Aerodynamik wird 2011 überarbeitet, Foto: Sutton
Die Aerodynamik wird 2011 überarbeitet, Foto: Sutton

Das Weltmeisterauto von 2009 profitierte von drei Faktoren: einer langen Entwicklungszeit, dem nicht unerheblichen Budget von Honda und dem Geniestreich des Doppeldiffusors. Ab der Saison 2011 sind der Doppeldiffusor und der F-Kanal verboten. Die Karten werden durch die neuen Regeln neu gemischt. Es ist wieder Zeit für einen Geniestreich. "Vielleicht können wir die ein oder andere innovative Idee einfließen lassen, die uns einen Vorsprung bringt", sagt Schumacher und hofft auf seinen alten Weggefährten Brawn.

Offiziell muss Brawn den Rekordweltmeister enttäuschen. Noch sehe er kein Wundermittel, das wichtige Zehntel im WM-Kampf bringen könnte. "Aber das könnte es geben, wenn die Autos enthüllt werden - so läuft das Geschäft", sagt Brawn, der Schumacher im stillen Kämmerlein sicher schon mehr verraten hat, als er öffentlich zugeben möchte. Die Grundlagen für das neue Auto sind bekannt: ein niedrigerer Schwerpunkt, weniger Gewicht, mehr Downforce und die richtige Nutzung der neuen Pirelli-Reifen. "Dafür braucht man ein steifes Auto", weiß Brawn. "Die Basis zählt und ich kann anhand unserer Fortschritte an der Basis für nächstes Jahr erkennen, dass wir in diesem Jahr keine ausreichend gute Arbeit geleistet haben."

3. Neue Reifen

Es liegt an den Reifen. Die Konstanz und die Charakteristik der letzten F1-Reifengeneration von Bridgestone machte vielen Fahrern mehr zu schaffen, als ihnen lieb war. Vor allem Schumacher kämpfte mit dem untersteuernden Auto und den ihm unbekannten Pneus, deren Weiterentwicklung er in den letzten drei Jahren nicht mitgemacht hat und bei denen es seiner Meinung nach einige Qualitätsschwankungen von Reifensatz zu Reifensatz gab. Die große Hoffnung heißt Pirelli. "Es ist eine neue Herausforderung für uns alle, es erfordert ein neues Verständnis für die Reifen", so Schumacher, der nach dem ersten Pirelli-Testtag in Abu Dhabi mit den Pneus zufrieden war.

Brawn glaubt, dass vor allem die neuen Vorderreifen nicht so eigen sein werden wie die aktuelle Generation, die mit Blick auf KERS das Gewicht mehr aufs Heck verlagern sollte - das schmeckte dem Auto allerdings nicht, dessen Vorgänger schon 2009 so seine Probleme beim Aufwärmen der Reifen hatte.

Aber nicht nur bei den Reifen erbte Mercedes Probleme. "Wir haben dieses Auto in die Hände gedrückt bekommen, das ein Überbleibsel vom vorigen Jahr ist", betont Schumacher. Rosberg und er haben einen anderen Fahrstil als Rubens Barrichello und Jenson Button. Deshalb mussten sie viele Kompromisse eingehen. "Fakt ist, dass das Auto überhaupt nicht harmoniert; sowohl mit den Reifen als auch mit den Fahrern."

4. Kostensenkungen

Wohin führt der Weg von Mercedes GP?, Foto: Bridgestone
Wohin führt der Weg von Mercedes GP?, Foto: Bridgestone

Den Glauben an den Erfolg hat Rosberg nicht verloren. Brawn benötige einfach mehr Zeit, um alles so zum Arbeiten zu bekommen, wie er es sich vorstelle. "Er weiß, wie man ein Siegerteam aufbaut", erinnert Rosberg. Hinzukommt, dass Mercedes GP mit aktuell rund 400 Mitarbeitern die FOTA-Vorschriften für 2011 fast schon erfüllt. Ab dem nächsten Jahr darf jeder Rennstall nur noch 380 Mitarbeiter haben. Diesen Personalabbau hat Mercedes bereits hinter sich - was bei der Entwicklung für 2010 sicher nicht hilfreich gewesen ist. Immerhin wurde das Weltmeisterauto von 2009 mit gut 750 Leuten entwickelt.

"Das Team hatte mit dem Gesundschrumpfungs-Prozess und dem Gewinn der Weltmeisterschaft alle Hände voll zu tun. Da hat man den Nagel nicht auf den Kopf getroffen", bestätigt Haug. Rosberg wittert darin eine Chance: "Die anderen Teams müssen da jetzt durch und das wird nicht einfach." Mercedes versucht hingegen, alle Trümpfe auszuspielen: Das stärkste KERS, den stärksten Motor, den frühen Entwicklungsbeginn, die gewohnte Teamgröße und nicht zuletzt zwei gute Fahrer.

Aber Schumacher dämpft die Erwartungen zunächst: "Man muss aber mit Vorsicht davon sprechen, ob wir den Rückstand in dieser Zeit aufholen oder gar einen Vorsprung herausfahren können", betont er. "Wir sind auf einem deutlichen Aufwärtstrend, aber ob es für ganz vorne reichen wird, müssen wir abwarten." Ein paar Siege wünscht er sich in der Saison 2011 aber dennoch - immerhin soll es innerhalb seines Dreijahresplans ja auch mit dem achten WM-Titel klappen.

Mehr Hintergrundberichte, Exklusivinterviews und Fakten zu Mercedes GP und dem neuen Weltmeister Sebastian Vettel lesen Sie im Motorsport-Magazin - die aktuelle Ausgabe ist ab sofort im Handel erhältlich oder am besten gleich online bestellen: