Am Samstag völlig überraschend im siebten Himmel, am Sonntag zurück auf dem harten Bo(P)den der Tatsachen: Zu behaupten, dass das Audi-Topteam Abt Sportsline beim vorletzten DTM-Rennwochenende in Spielberg ein Wechselbad der Gefühle erlebte, käme einer blanken Untertreibung gleich.
Vor dem Wochenende auf der absoluten Audi-Angststrecke namens Red Bull Ring noch als chancenlos abgestempelt, stürmte Kelvin van der Linde am Samstag vom zweiten Startplatz zu seinem ersten DTM-Sieg nach fast genau zwei Jahren. Noch spektakulärer gestaltete es Abt-Teamkollege Ricardo Feller, der mit seiner Aufholjagd vom 26. bis auf den dritten Platz den 1984 durch Hans-Joachim Stuck aufgestellten DTM-Überholrekord einstellte.
Äbte blühen im Regen auf
Es war der 75. DTM-Sieg der Äbte, die Podestplätze 250 und 251 in der Geschichte des Rennstalls aus Kempten und - als ob das noch nicht gereicht hätte - das alles pünktlich zum 46. Geburtstag von Abt-CEO und Teamchef Thomas Biermaier. Tränen flossen in der Abt-Garage ähnlich wie dieses Jahr in der Formel E, als die Äbte beim Heimspiel in Berlin eine niemals für möglich gehaltene Doppel-Pole durch Robin Frijns und Nico Müller eroberten.
Eine weitere Gemeinsamkeit: Nur dank regnerischer Bedingungen gelangen den Äbten in Spielberg sowie in Berlin derartige Paukenschläge. Beim trockenen Sonntagsrennen der DTM nach dem Doppel-Podium spielten Feller und van der Linde genauso wenig eine Rolle beim Kampf um den Sieg wie Frijns und Müller im ebenso trockenen Formel-E-Rennen inmitten der deutschen Hauptstadt.
DTM in Spielberg: Bester Audi auf Platz 15
Am Sonntag geriet vor allem der Südafrikaner van der Linde vom Regen in die Traufe: P17 im Qualifying auf trockener Strecke, dann ein früher Reifenschaden im Rennen nach einem Schubs von Porsche-Fahrer Tim Heinemann. Während 'KVDL' seinen Audi R8 LMS GT3 vorzeitig in der Garage parken musste, rettete sich Teamkollege Feller, von P13 gestartet, als 15. beim Zieleinlauf irgendwie auf den letzten Punkterang. Dass der Titelaspirant aus der Schweiz damit noch der bestplatzierte der fünf Audi-Piloten im Starterfeld war, ist bezeichnend.
Bei trockenen Verhältnissen waren die Audi-Vertreter auf dem Topspeed-lastigen Red Bull Ring ähnlich chancenlos wie in all' den Jahren zuvor. Wurden gerade den Äbten zahlreiche Beschwerden über die Balance of Performance sowie letzte Plätze in den Trainings und Testfahrten als geschickter Bluff ausgelegt, sollten sich die Befürchtungen unter 'normalen' Bedingungen bewahrheiten.
Dem Audi fehlten im Vergleich zur Konkurrenz wie Sonntagsieger Schubert-BMW (Rene Rast vor Sheldon van der Linde) gut fünf bis sieben km/h Spitzengeschwindigkeit. Den Berg hoch nach Turn 1 fuhren die R8 dem Rest des Feldes heillos hinterher.
Audi-Motorsportchef: "Klappern gehört zum Geschäft"
"Klappern gehört zum Geschäft", hatte Audi-Motorsportchef Rolf Michl am Samstag nach dem Abt-Coup zu Motorsport-Magazin.com gesagt, aber gleichzeitig gewarnt: "Man darf sich von diesen Bedingungen nicht täuschen lassen. Wir haben in dieser Saison oft genug erleben müssen, dass wir trotz nahezu perfekter Arbeit nicht ganz bei der Musik waren."
Bei Audi hatte man angesichts des erwarteten Performance-Nachteils auf einen größeren Restriktor in der BoP-Einstufung gehofft, ähnlich wie es zuvor am Sachsenring dem Porsche 911 GT3 R zugestanden worden war. Die reine Entnahme von Ballastgewicht würde nicht ausreichen, war man beim Autobauer in Ingolstadt sicher. Und so sollte es auch kommen, obwohl die BoP im Verlauf des Spielberg-Wochenendes dreimal geändert wurde und der Audi im Vergleich zur ersten Version am Ende 35 Zusatz-Kilo weniger an Bord hatte als etwa der BMW M4 GT3.
Kelvin van der Linde: "Wir hatten wirklich Probleme"
"Viele haben nach dem Rennen am Samstag gesagt, dass wir die ganze Woche gepokert und deshalb jetzt den Sieg geholt hätten", sagte van der Linde zu Motorsport-Magazin.com. "Aber der Sonntag hat gezeigt, dass wir in den Trainings ehrlich waren und wirklich Probleme hatten. Probleme, die seit Jahren bekannt sind am Red Bull Ring. Wir haben es nur wegen der gemischten Bedingungen und einer guten Strategie geschafft. Im zweiten Rennen war Ricardos 15. Platz das Maximum für das Auto. Und ich mit meinen 20 Kilo (Erfolgsballast wegen Samstagssieg; d. Red.) konnte gar nicht mithalten, das war einfach brutal."
Feller sah im Gegensatz zu seinem Teamkollegen am Sonntag zwar den Zielstrich, holte mit dem einen Punkt für P15 aber zu wenig Zählbares, um mit einem hoffnungsvollen Gefühl zum Saisonfinale nach Hockenheim (20.-22. Oktober) reisen zu können. Sein Rückstand auf den neuen Spitzenreiter Thomas Preining (Manthey-Porsche) beträgt 31 Zähler - exakt der Abstand, mit dem er an den Red Bull Ring gereist war.
"Wenn man Audi fährt, muss man ein bisschen mehr riskieren"
Aufgegeben wird freilich nicht bei den Äbten, die seit Timo Scheiders zweitem und letztem Triumph anno 2009 auf den nächsten Fahrer-Titelgewinn in der DTM warten. "Aufgeben tut man bei der Post, nicht in der DTM", feixte Feller. "In Hockenheim kann jedes Auto gewinnen, wenn die BoP einigermaßen fair ist. Deshalb Attacke auf die großen Punkte! Wir werden natürlich etwas mehr riskieren müssen. Den Rückstand holen wir nicht auf, indem wir brav hinterherfahren. Wenn man einen Audi fährt, muss man eh immer ein bisschen mehr riskieren..."
Am Samstag kaschierte der Rennstart auf Regen-Reifen den BoP-Nachteil der Audi-Phalanx. Bei abtrocknenden Bedingungen und auf Slick-Reifen profitierte Sieger van der Linde von seiner Fahrt an der Spitze in 'Clean Air', während Feller entgegenkam, dass es faktisch nur eine trockene Fahrlinie gab. Die passenden Luftdrücke, gut getimte Boxenstopps und etwas Glück durch eine Safety-Car-Phase taten ihr Übriges.
"Wenn die Strecke gestern überall trocken gewesen wäre, hätte ich Rene (Rast, P4 am Samstag) niemals halten können", meinte Feller. "Das hat man heute gut gesehen. Es ist ja nicht so, dass ich da rumgeeiert wäre. Die Porsche, Ferrari und Mercedes um mich herum sind alle weggefahren, der Abstand wurde massiv größer."
Tomczyk: "Nicht die sportliche Fairness, die wir uns wünschen"
Nachdem die Balance of Performance in Spielberg eine größere Rolle einnahm als es sich wohl alle Beteiligten gewünscht hätten, ruhen die Hoffnungen nun auf dem Hockenheimring. Wegen seines abwechslungsreichen Streckenlayouts mit mittelschnellen und langsamen Ecken sowie der Parabolika-'Geraden' gilt hier üblicherweise keines der Fahrzeugkonzepte als stark bevorzugt oder benachteiligt.
Abt-Motorsportdirektor Martin Tomczyk schickte gleichzeitig einen Gruß in Richtung der BoP-Verantwortlichen von SRO, die als Dienstleister auch für den ADAC arbeiten: "Das ist nicht die sportliche Fairness, die wir uns wünschen. Ich kann nur hoffen, dass es für das Finale in Hockenheim, wenn es für uns um beide Titel geht, wirklich eine faire BoP gibt. Wenn es am Samstag in Spielberg nicht geregnet hätte, wären wir an diesem Wochenende ohne eigene Schuld aus dem Titelrennen geflogen."
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