Als einen "Roh-Diamanten" hatten wir ihn Ende 2018 bezeichnet, bevor wir wenig später exklusiv vermeldeten, dass Sheldon van der Linde ab 2019 mit BMW in der DTM starten würde. Mit dem damals erst 19-Jährigen hatte sich der Autobauer aus München eines der verheißungsvollsten Talente im GT-Sport gesichert - ausgerechnet direkt aus dem Kader von Audi Sport customer racing. Dass der Südafrikaner nur vier Jahre später die DTM-Meisterschaft gewinnen und BMW den ersten Titel seit 2016 bescheren würde, das hätten wir damals allerdings noch nicht geahnt.

Rückblickend ist es im Zuge des Triumphes immer einfach, zu behaupten, dass man ja immer gewusst habe, dass das mal ein Großer wird. Was uns damals an van der Linde am meisten beeindruckte - und geheim gehalten werden sollte - war sein erster Auftritt in einem BMW-Rennwagen. Im Dezember 2018 beim Young Driver Test in Jerez beeindruckte er nicht nur die Verantwortlichen, als er die drittschnellste Zeit aller Fahrer, die mit der V8-Generation der DTM-Autos unterwegs waren, erzielte und diese schon in der 18. seiner nur 42 Runden in den Asphalt brannte.

"Ich war damals in Jerez und habe schon auf seiner ersten Push-Runde gesehen, dass er auf einem ganz anderen Level unterwegs ist als alle anderen BMW-Fahrer", blickt Titel-Rivale, Kumpel, Mentor und Bald-Markenkollege Rene Rast heute mit Stolz zurück.

Und auch, dass der damals in der Öffentlichkeit noch ziemlich unbekannte Sheldon sogar drei Zehntelsekunden schneller fuhr als der erfahrene BMW-Werks- und Referenzpilot Philipp Eng! "Damals dachte ich noch: 'Scheiße, jetzt musst du Gas geben'", erinnert sich der Österreicher und Schubert-Motorsport-Teamkollege von van der Linde heute.

Foto: BMW M Motorsport
Foto: BMW M Motorsport

2019, als van der Linde mit nur 19 Jahren in den DTM-Werkskader von BMW aufgenommen wurde und in seiner ersten Saison gleich mit einer Pole Position aufhorchen ließ, sei er laut Markenkollege und Doppel-DTM-Champion Marco Wittmann zwar schon schnell gewesen, aber die Erfahrung habe noch gefehlt. "Du merkst jetzt den Unterschied zwischen ihm und einem vergleichbar jungen Fahrer, der nicht zu einem Werksprogramm gehört", schildert Wittmann, der BMW 2016 den bis dato letzten Fahrer-Titel beschert hatte.

An van der Lindes Grundschnelligkeit gab es nie Zweifel. Den Speed hatte er schon 2016 im Audi Sport TT Cup (P4), 2017 in der ADAC TCR Germany (P3) und 2018 zusammen mit Bruder Kelvin im ADAC GT Masters (P2) mehrfach unter Beweis gestellt. Auch mit dem kniffligen DTM-Turbo-Auto kam er 2019 und 2020 gut zurecht, war im letzten Jahr der kurzen Class-1-Ära sogar zweitbester BMW-Fahrer nach Timo Glock.

Foto: BMW M Motorsport
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Was uns in van der Lindes DTM-Meisterjahr am meisten beeindruckt, waren nicht seine drei Siege, sechs Podestplätze oder zwei Pole Positions in den 16 Rennen, sondern seine enorme Abgeklärtheit. Innerhalb kürzester Zeit ist Sheldon erwachsen geworden. Seine Reife zeigte sich bestens beim Saisonfinale in Hockenheim, als ihm eine schuldlos zugewiesene 10-Platz-Gridstrafe am Samstag nur zu leicht den Boden unter den Füßen hätte wegziehen können.

"Vor allem unter Druck hat Sheldon abgeliefert und deshalb auch verdient den Titel mit einer tollen Mannschaft gewonnen", zieht der zweifache DTM-Meister und TV-Experte Timo Scheider den Hut. Van der Linde reagierte wie ein abgeklärter Renn-Veteran, fuhr mit dem BMW M4 GT3 vom 16. Startplatz bis auf P2 nach vorne und machte sein Meisterstück im abschließenden Rennen mit einem weiteren Podestplatz perfekt. Und das unter dem enormen Druck der gestandenen Titel-Gegner wie Rast, Lucas Auer oder Mirko Bortolotti.

Foto: DTM
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"Das liegt vielleicht an meinem Bart", witzelte van der Linde noch, als wir ihn fragten, ob er selbst diesen Reifeprozess gespürt habe. Den Schalk im Nacken hat sich Sheldon nicht nehmen lassen. Und mit Bruder Kelvin, Manager Dennis Rostek, Dreifach-Champion Rast und seiner Familie das perfekte Umfeld, dass es für derart besondere Leistungen braucht.

"In der Stunde des Triumphs habe ich daran gedacht, was alles passieren musste, dass es zu diesem besonderen Tag gekommen ist", sagt uns Berater Rostek, der der neben Sheldon auch Bruder Kelvin, Rast und Nicki Thiim betreut. "Dazu gehörte auch der Wechsel von Audi zu BMW. Rene und ich haben seine Entwicklung vorangetrieben und heute kann Sheldon den größten Erfolg seiner Rennkarriere feiern."

Foto: DTM
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Van der Linde ist einer, der gute Ratschläge von den richtigen Leuten annimmt. Das ist keine Selbstverständlichkeit, sondern zeugt von einem starken Charakter.

Ebenso Sheldons Selbsteinschätzung, als er uns mit ernsten Worten und mit Blick auf die DTM-Saison 2021, wo bei ihm und Teamkollege Glock so gar nichts funktionieren wollte, erklärt: "Letztes Jahr hatte ich eine Katastrophen-Saison. Das war ein Wendepunkt und durch diese schwere Phase bin ich stärker geworden. Das war für mich als Person ein enorm wichtiges Jahr."

Echte Champions werden in harten Zeiten gemacht. Damals waren wir uns mit dem 'Roh-Diamanten' sicher, und heute wagen wir zu behaupten: Auf Sheldon van der Linde wartet eine ganz große Motorsport-Karriere.