Sheldon van der Linde hat mit einer starken Leistung und Platz drei im Finalrennen seinen ersten DTM-Titel in einem Schubert-BMW M4 GT3 verdient gewonnen.

Zuvor durchlebte der Südafrikaner aber ein Wechselbad der Gefühle. "Ich habe seit Donnerstag kaum geschlafen, weil viele schon im Vorfeld erwartet haben, dass ich eh den Titel hole", beschrieb van der Linde seine Gefühlswelt, bevor es richtig ernst wurde.

Nach dem ersten Qualifying hatte der BMW-Werksfahrer nur noch acht Punkte Vorsprung auf seinen ärgsten Verfolger Lucas Auer, der den Winward-Mercedes-AMG GT3 zum zweiten Mal in dieser Saison auf die Pole Position gestellt hatte.

Nichtsdestotrotz war der BMW-Werksfahrer mit seinem sechsten Startplatz zufrieden, weil er glaubte, im Rennen eine Chance auf einen Podiumsplatz zu haben. "Mein Gefühl für das, was hier möglich ist, war schon nach dem Training am Freitag gut und deshalb bin ich auch erstaunlich entspannt an die schwere Aufgabe auf dem 4754 Meter langen Grand-Prix-Kurs in Hockenheim herangegangen.

Foto: DTM
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Doch zuvor musste der Tabellenführer einen bitteren Rückschlag in Kauf nehmen, als er von den Sportkommissaren um zehn Positionen (auf Startplatz 16) zurückversetzt worden war. Grund für die harte Strafe: An van der Lindes Schubert-BMW waren im Zeitraum zwischen einer Stunde und fünf Minuten vor dem ersten Qualifying Reifen montiert, was laut Artikel 35.1 des Technischen Reglements der DTM 2022 nicht erlaubt ist.

"Nach der Entscheidung dachte ich zuerst an einen Witz, bin dann aber schnell von der Realität eingeholt worden und deshalb in unserem Teamtruck explodiert. Ich bin nämlich der Meinung, dass die Strafe für einen Fahrer, der keinen Fehler gemacht hat, viel zu hart ist", meinte Van der Linde im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com und machte dabei direkt einen Vorschlag für das Regelwerk 2023: "Für solche Vergehen müssten die Teams bestraft werden, denen man beispielsweise Punkte für die Teamwertung streichen oder gegen die man eine Geldstrafe verhängen könnte."

Nach dem Wutausbruch habe ich mich zum Glück schnell wieder gefangen, auch weil mich in meinem Umfeld wichtige Menschen, beispielsweise meiner Familie und mein Management aufgebaut und toll unterstützt haben und dabei der Meinung waren, es sei noch gar nichts verloren. Das hat mir in der Tat geholfen - ich war zwar angespannt, aber ruhig." Für ihn gab es im Hinblick auf den Sonntag nur eine Devise: "Volle Attacke!" Dazu merkte van der Linde noch an: "Ich werde ein gewisses Risiko nehmen, will dabei aber nichts verlieren. Über alles andere habe ich keine Kontrolle."

Foto: DTM
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Diese Einstellung und das nötige Glück katapultierten ihn schon in der ersten Runde von Position 16 auf Platz acht nach vorne. "Das habe ich auf dem großen Bildschirm in der Sachs-Kurve wahrgenommen und konnte es kaum glauben, weil es mir nicht bewusst war", meinte van der Linde, der bei der Kollision zwischen Nico Müller (ABT-Audi) und seinem Schubert-Teamkollegen Philipp Eng einen Schreckmoment erlebte und soeben noch ausweichen konnte. Dann habe ich plötzlich den Reifen vom Audi meines Bruders Kelvin wegfliegen sehen und bin erschrocken, dass er auf meiner Windschutzscheibe gelandet ist und dabei Spuren hinterlassen hat."

Ehrlich gab der Glückspilz nach dem Rennen zu, dass er vom Zweikampf zwischen seinem Markenkollegen Marco Wittmann (Walkenhorst-BMW) und Lucas Auer (Winward-Mercedes-AMG) profitiert hat. "Ohne diese Auseinandersetzung hätte ich die Lücke zu den beiden wohl nicht schließen können."

Auf die Frage der Redaktion, ob Markenkollege Wittmann ihm auf dem Weg zu Platz zwei hinter Auer geholfen hätte, antwortete van der Linde zu dem unspektakulären Überholmanöver vielsagend und ohne zu zögern: "Ich würde sagen, dass ich zu diesem Zeitpunkt schneller war. Mein BMW und die Reifen waren nach dem Pflichtboxenstopp perfekt. Ich bin wie auf Wolke sieben gefahren. Unglaublich, dass einige in meinem Umfeld genau daran geglaubt haben..."

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Obwohl sein Kumpel und Mit-Titelkandidat Rene Rast (beide werden von der Management-Agentur Pole Promotion betreut) den ABT-Audi im zweiten Qualifying auf den besten Startplatz gestellt hatte, war van der Linde nicht beunruhigt, weil er selbst in der dritten Startreihe auf Platz sechs, aber sein ärgster Widersacher Auer noch fünf Positionen weiter hinter ihm stand.

Damit war die Ausgangslage für das entscheidende Finalrennen klar: Er musste den Österreicher bestenfalls hinter sich halten und durfte nicht schlechter als auf Platz fünf ins Ziel kommen - vorausgesetzt, Rast gewinnt und fährt zudem die schnellste Rennrunde.

Weil wegen der vielen Unfälle nur 19 Piloten das zweite Rennen in Angriff nahmen, war das Starterfeld ebenso überschaubar wie die am Tag zuvor deutlich sichtbare Aggressivität. "Wir haben früher gestoppt als eigentlich geplant, weil ich mit dem ersten Reifensatz null Performance hatte. Nach dem Reifenwechsel fühlte es sich dann an wie ein anderes Auto", erklärte van der Linde, der fast völlig unbehelligt seine Runden drehen konnte und zudem unfreiwillige Schützenhilfe von einigen Konkurrenten bekam, die vorzeitig ausfielen. Dass nennt man nicht nur in der Sportbranche das Glück des Tüchtigen!

Foto: DTM
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Mit der besten Bilanz aller 29 eingeschriebenen Teilnehmer der Saison 2022 sicherte sich Sheldon van der Linde verdientermaßen den ersten DTM-Triumph in seiner vierten DTM-Saison seit 2019 - mit elf Punkten vor Auer und 15 vor Rast.

Das einzige Problem an seinem Auto an diesem besonderen Wochenende bei herrlichem Herbstwetter und vor zehntausenden Zuschauern war der vor dem Rennen vereinbarte Funkverkehr mit dem TV-Livesender ProSieben nach der Zieldurchfahrt, der zunächst nicht zustande kam. Ähnlich erging es 2017 Rene Rast, als der seinen ersten DTM-Titel erobert hatte und ebenfalls zunächst Funkstille im Cockpit herrschte. "Es war todstill", erinnerte sich Rast in der heutigen Pressekonferenz nach dem Rennen mit einem Grinsen im Gesicht.

Zu Motorsport-Magazin.com sagte der erst 23 Jahre alte Sheldon van der Linde noch völlig überwältigt im Parc Ferme: "Meine Gefühle für das, was heute geschehen ist, sind noch nicht bei mir angekommen. Ich kann aber versichern, dass mir 300 Kilogramm Last von meinen Schultern gefallen sind", betonte der elfte ausländische Champion in der über 30-jährigen DTM-Historie: "Wichtig war auf dem Weg zu diesem Erfolg, dass ich versucht habe, den großen Druck nicht an mich herankommen zu lassen. Das ist mir, so glaube ich, ganz gut gelungen."

Foto: DTM
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Es war also die richtige Wahl, mit seinem Management nicht auf eine Formel-Karriere zu setzen, sondern in einem Auto mit Dach über dem Kopf auf Titeljagd zu gehen. "Definitiv war mein Ziel immer die DTM und nicht die Formel 1! Heute hat sich gezeigt, dass es die richtige Entscheidung war..."

Mit dem großartigen Erfolg bescherte Sheldon van der Linde seinem Arbeitgeber BMW M Motorsport den insgesamt sieben Fahrertitel seit 1984 und den ersten seit Marco Wittmann 2016 sowie auf Anhieb den Teamtitel für die sympathische Mannschaft Schubert Motorsport aus Oschersleben mit dem erfolgreichen Teamchef Torsten Schubert.