Das 24h-Rennen Nürburgring feierte am vergangenen Wochenende sein 50. Jubiläum. Beim Eifel-Klassiker, der erstmals seit 2019 wieder über die volle Distanz von 24 Rennstunden ausgetragen werden konnte, spielten sich wie üblich kleinere und größere Dramen ab. Motorsport-Magazin.com präsentiert die Gewinner und Verlierer der 24h Nürburgring 2022.

24h Nürburgring 2022: Die Gewinner

#15 Phoenix-Audi Natürlich unser erster Gewinner! Die Mannschaft um Teamchef Ernst Moser hielt sich größtenteils schadlos während der 159 Runden, während die GT3-Konkurrenz reihenweise abflog. Kelvin van der Linde behielt trotz seines Crashs im Schwesterauto die Nerven und seine ‘belgischen’ Teamkollegen Dries Vanthoor, Frederic Vervisch sowie Robin Frijns (Niederländer mit belgischer Rennlizenz) lieferten genauso stark ab. In der DTM war nach 2020 für Phoenix kein Platz mehr, doch mit dem sechsten 24h-Sieg haben die Mitglieder der Mannschaft aus Meuspath eindrucksvoll bewiesen, was in ihnen steckt.

Sportkommissare: Über die ‘SpoKos’ und die Rennleitung wird im Motorsport immer gerne geschimpft, doch in dieser nicht unheiklen Situation rund ums 24h-Rennende bewies die Truppe Weitsicht. Der Boxenstopp-Fehler (Motor während Betankung angelassen) von Phoenix beim #15-Audi sorgte für reichlich Wirbel und es gab Sorge, dass das Team den Sieg im Nachgang wegen einer Strafe verlieren könnte. Immerhin handelte es sich um ein Sicherheits-Thema. Das wäre allerdings ein sportliches wie mediales Debakel gewesen! Die 32-Sekunden-Zeitstrafe analog zu einer Boxendurchfahrtstrafe sowie 5.000 Euro Geldbuße bewerten Experten als faires Urteil.

GetSpeed-Doppelpodium: Beim 24h-Rennen Nürburgring erinnert man sich üblicherweise im Nachhinein nur an den Sieger. Die Leistung des Meuspather Team GetSpeed mit zwei Podestplätzen war allerdings ebenfalls herausragend. Der #3 Getspeed-Mercedes (Christodoulou/Götz/Schiller) verpasste den Sieg um knapp eine Minute auf der Strecke, dahinter folgte das #4-Schwesterauto (Engel/Gounon/Juncadella). Die Mannschaft selbst betrachtete das Resultat angesichts des möglichen Gesamtsieges mit gemischten Gefühlen: „Wir sind angetreten, das Rennen zu gewinnen und jetzt schwingt natürlich auch etwas Wehmut mit, denn wir waren ganz nah dran an diesem Sieg“, sagte Teamchef Adam Osieka.

Zuschauer I: Das 24h-Rennen Nürburgring hat auch ‘nach Corona’ nichts von seiner Anziehungskraft verloren. 230.000 Zuschauer reisten am Wochenende in die Eifel - genauso viele wie 2019 und etwas mehr als 2018. Dabei vermelden bedingt durch Corona-Nachwirkungen und Sorgen um den Russland-Krieg in der Ukraine derzeit einige Sport-Veranstalter sinkende Zuschauerzahlen. Das 24-Stunden-Rennen entlang der Nordschleife bleibt dank der treuen Fans und ihren tollen Zeltaufbauten aber die größte PS-Party der Welt!

Zuschauer II: Nicht nur vor Ort war es rappelvoll, auch das Interesse vor dem heimischen Fernseher und beim Livestream zum 24h-Rennen Nürburgring war überragend. TV-Partner RTL Nitro vermeldete einen neuen Sende-Weltrekord mit 27 Stunden Übertragung und bis zu 580.000 Zuschauern in der Spitze. Der Marktanteil von 4,3 Prozent in der Zielgruppe am Sonntag war hervorragend. Der Livestream zum Rennen von Rechtehalter und Promoter Sporttotal wurde enorme 2,1 Millionen Mal auf YouTube aufgerufen.

Pole-Setter Luca Ludwig: Es war schon ein emotionaler Moment, als Luca Ludwig nach seiner herausgefahrenen Pole Position merklich um Worte rang. Der 33-Jährige bugsierte den octane126-Ferrari 488 GT3 in beeindruckenden 8:09.469 Minuten über die Nürburgring-Nordschleife und bescherte den Italienern die erst zweite Pole nach 2011. Papa und Nürburgring-König Klaus Ludwig war stolz wie Bolle, sprach vom „schönsten Moment seit zehn Jahren“. Jetzt darf sich auch Luca in den Pole-Statistiken verewigen, die der erfolgreiche Vater mit sechs Pole Positions anführt. Im Rennen sah der Ferrari allerdings nicht die Zielflagge. Nach einem frühen Reifenschaden war in Folge eines Unfalls von Grossmann am frühen Sonntagmorgen Feierabend.

Konrad-Lamborghini: Der von Konrad Motorsport - wohlgemerkt privat - eingesetzte GT3-Lamborghini präsentierte sich in den letzten Jahren immer wieder stark in den 24h-Qualifyings, so auch dieses Mal: Jordan Pepper führte den Huracan zu Startplatz drei. In den Rennen war die Truppe um den erfahrenen Teamchef Franz Konrad hingegen meist weniger glücklich unterwegs. Da muss der diesjährige zehnte Platz als ein Achtungserfolg angesehen werden. Tolle Geste: Schlussfahrer Pepper gratulierte Landsmann und Sieger Kelvin van der Linde noch während der Fahrt!

BMW-Legenden-Rennen: Sportlich gab es für BMW M Motorsport beim 50. Jubiläum der BMW M GmbH kaum Positives im 24h-Rennen Nürburgring zu vermelden. Abseits des Hauptrennens fuhr der Autobauer aus München allerdings groß auf und sorgte für beste Unterhaltung. Ein Highlight war das BMW Race of Legends, in dem es sich elf Haudegen aus der großen BMW-Motorsport-Historie wie zu besten Zeiten mit BMW M2 Cup-Autos gaben! Hinter Sieger Bill Auberlen (53) lieferten Johnny Cecotto (66) und Steve Soper (69) eine großartige Show und auch der Viertplatzierte Harald 'Nippel' Grohs (78) hat nichts von seinem Renn-Biss verloren.

Alle Klassensieger: Im Fokus stehen größtenteils die werksunterstützten GT3-Autos, die den Gesamtsieg unter sich ausmachen. Dabei muss die Leistung aller 135 diesjährigen Teilnehmer gewürdigt werden - der Eifel-Klassiker bringt Mensch und Material ans absolute Limit. Hervorheben wollen wir den #127 Krämer-Porsche (Krämer/Brück/Kranz/Veremenko), der die Cup2-Klasse mit zwei Minuten Vorsprung vor dem #123 Black-Falcon-911er gewann und im Gesamtklassement den starken 15. Platz belegte. Dazu den #830 Hyundai Elantra TCR (Lauck/Basseng/Azcona), der sich im harten Rennen schadlos hielt, P18 im Gesamt erzielte und die TCR-Klasse mit beeindruckenden vier Runden Vorsprung gewann.

24h Nürburgring 2022: Die Verlierer

Crash-Festival: Erfolgsdruck der Hersteller, immer schnellere Rundenzeiten und bei manchem Fahrer offenbar schlichtweg mangelnder Respekt vor der Nordschleife: Die 50. Auflage des 24h-Rennen Nürburgring entwickelte sich schnell zu einer wahren Unfall-Orgie. An allen Ecken und Enden krachte es in der SP9-Klasse der vergleichsweise teuren GT3-Autos. Die Zahlen sprechen für sich: Von 33 gestarteten GT3-Boliden erlebten 18 (!) nicht das Rennende. Die 24h sind längst zu einem Sprintrennen ausgeartet, aber derart viele Unfälle in den Anfangsstunden können nicht das Ziel sein. Erst nach dem Vanthoor-Brüder-Crash ging es allmählich etwas gesitteter zu.

BMW: Als Favorit auf den Gesamtsieg ins 24h-Rennen gestartet, erlebte BMW mit dem neuen M4 GT3 ein Debakel. Sechs der sieben von ROWE, Schubert, Walkenhorst und RMG (Junior-Team) eingesetzten Autos fielen vorzeitig durch Unfälle oder technische Probleme aus. Der einzig verbliebene, privat von Walkenhorst eingesetzte BMW M4 GT3 kam auf Platz 47 an. Der neue Top-Kundensportler hat sein Potenzial schon mehrfach gezeigt und Siege in DTM und ADAC GT Masters erzielt, doch der Eifel-Klassiker endete in einem sportlichen Debakel.

Laurens Vanthoor: Mit den Tränen kämpfend, entschuldigte sich Laurens Vanthoor für den Crash des #1 Manthey-Porsche ausgerechnet mit Bruder Dries Vanthoor, der später mit Phoenix-Audi siegen sollte. Experten bewerteten die Kollision der beiden Brüder am Samstag als völlig unnötig, Laurens war am Boden zerstört, sprach von einem „schwarzen Tag“ in seiner Karriere und bezeichnete sein Vorgehen selbst als „unprofessionell“. Eine erfrischend ehrliche Einschätzung dieser blödsinnigen Aktion, die Manthey alle Hoffnungen auf eine mögliche Titelverteidigung zunichte machte.

Aston-Ausfall: Mit dem top besetzten und werksunterstützten #90 Aston Martin Vantage GT3 von TF Sport schickte sich ein ‘Exot’ an, der deutschen Konkurrenz die Hölle heiß zu machen und um den ersten Gesamtsieg eines nicht-deutschen Fabrikats seit 2002 (Zakspeed-Viper) zu kämpfen. Die Werkspiloten Nicki Thiim, Maxime Martin, Marco Sörensen sowie David Pittard mauserten sich schnell zu den Mit-Favoriten und führten das Feld in den Anfangsstunden mehrfach an. Das Drama dann kurz vor Mitternacht: Thiim rutschte auf der Nordschleife über eine Ölspur und schlug heftig in die Leitplanken ein. Der Däne war okay, der Vantage Schrott. Ein Aston im Fight um den Sieg bis zum Ende - das Potenzial war da - hätte dem 24h-Rennen eine besondere Würze verliehen.

Porsche: Nicht ganz so desaströs wie bei BMW, aber auch für Porsche gab es beim 24h-Rennen Nürburgring 2022 nichts zu holen. Sechs der acht 911 GT3 R sahen nicht die Ziellinie. Der bestplatzierte Vertreter, #33 Falken-Porsche (Evans/Müller/Pilet/Seefried), kam nicht über den neunten Platz hinaus. Der selbstverschuldete Ausfall des #1 Manthey-Porsche war ärgerlich, ebenso die unverschuldeten Kollisionen des #27 Toksport-WRT-Porsche (Andlauer/Campbell/Jaminet) nach Abschuss durch den #99 ROWE-BMW sowie die Karambolage des #44 Falken-Porsche (Bachler/Picariello/Pilet/Ragginger) durch den #22 Car-Collection-Audi. Dass der stark besetzte #18 KCMG-Porsche (Olsen/Burdon/Tandy/Bamber) aufgrund eines Fahrfehlers den Abflug probte, setzte der sportlichen Misere die Krone auf.

Nordschleifen-Lizenz weg: Das gibt es leider immer wieder beim 24h-Rennen Nürburgring, so auch diesmal: Ein Fahrer wurde noch während des laufenden Betriebes disqualifiziert und seine Nordschleifen-Permit entzogen. Amateur-Pilot Hans Wehrmann schaffte auf dem #125 Huber-Porsche (Cup2-Klasse) das ‘Kunststück’, am frühen Sonntagmorgen mit 220 km/h durch einen doppel-gelb geschützten Bereich (120 km/h) zu brettern - also mit 100 Sachen zu viel! Dabei lief die Slow-Zone-Phase in diesem Bereich schon über 20 Minuten.

Audis schwarzes Schaf: Mit dem Gesamtsieg und in der Breite präsentierte sich Audi bockstark: Sechs der sieben Audi R8 LMS GT3 Evo2 kamen ins Ziel, vier davon in den Top-6 des Gesamtklassements. Das ‘schwarze Schaf’ in der Audi-Familie war diesmal der #5 Phoenix-Audi (Kolb/Stippler/Feller/K. Van der Linde), bei dem so ziemlich alles schieflief. Youngster Ricardo Feller brockte dem stark besetzten Team durch ein kapitales Flaggen-Vergehen eine 2:32-Minuten-Zeitstrafe ein, eine weitere Strafe setzte es wegen Unterschreitung der Mindeststandzeit in der Box und zu allem Übel kollidierte auch noch der spätere Sieger auf dem Schwester-Auto und Doppelstarter, Kelvin van der Linde, mit einem Porsche Cayman.

WTCR-Rennen abgesagt: Das 24-Stunden-Rennen ist der Hauptakt am langen Nürburgring-Wochenende, doch Fans sind stets auch heiß aufs Rahmenprogramm. Da schmerzte die höchst kurzfristige Absage der zwei WTCR-Rennen am Sonntag vor dem 24h-Start doppelt. Beide Tourenwagen-Läufe abgesagt wegen beträchtlicher Sicherheitsbedenken aufgrund der Goodyear-Reifen - ein Debakel für den Tourenwagen-Weltcup und den Reifenhersteller! Ein juristisches Nachspiel in dieser Angelegenheit droht.