Großer Jubel bei Phoenix Racing nach dem Sieg beim 24h-Rennen Nürburgring 2022. Die Truppe von Teamchef Ernst Moser führte den #15 Audi R8 LMS GT3 nach einem dramatischen Rennen mit zahlreichen Unfällen im Favoritenkreis zum Gesamtsieg. Nach dem Zieleinlauf am Sonntag um 16:00 Uhr mit Schlussfahrer Kelvin van der Linde fiel bei der Mannschaft mit Teamsitz in Meuspath am Nürburgring aber noch nicht der komplette Druck ab.

Grund war eine Untersuchung der Sportkommissare rund um den finalen Boxenstopp des Phoenix-Audi in der viertletzten Runde des 159 Runden langen Rennens. Die Entscheidung wurde rund drei Stunden nach Rennende mitgeteilt: 32 Sekunden Zeitstrafe und 5.000 Euro Geldbuße für den #15 Phoenix-Audi, der damit den Sieg behält. Im neuen Ergebnis beträgt der Vorsprung der #15 noch 23,276 Sekunden anstelle von 55,276 Sekunden.

Der Boxenstopp sei nicht in allen Teilen mit Bestimmungen in der Ausschreibung erfolgt, hieß es im offiziellen Urteil. Der Motor sei wenige Sekunden vor dem Ende des Tankvorgangs auf Anweisung des Teamverantwortlichen gestartet worden. Nachdem dieser Fehler bemerkt wurde, wurde der Motor wieder ausgeschaltet.

Weiter: "Die Sportkommissare bewerten diesen Verstoß insoweit, dass da durch kein sportlicher Vorteil erzielt wurde und der Motor auch nicht zum Zweck des Erreichens eines vermeintlichen Vorteils gestartet wurde. Vielmehr sehen sie es als erwiesen an, das durch die Fehlkommunikation zwischen Teamingenieur und Fahrer dieser Fehler im Ablauf des Boxenstopps seine Ursache hat."

Die Zeitstrafe sei in Relation zu im Laufe des Rennens verhängten Strafen bei Unregelmäßigkeiten während Boxenstopps verhängt worden. Die 5.000 Euro Geldstrafe zusätzlich zur Zeitstrafe wurden von den Sportkommissaren als "notwendig" erachtet, weil die Hauptschuld beim Teamverantwortlichen gelegen habe. Der Fehler selbst habe aber keinen Wettbewerbsvorteil gebracht und nicht den Ausgang des Rennens beeinflusst.

Van der Linde: "Vielleicht ein Kandidat für Drama"

Während des Boxenstopps saß Schlussfahrer van der Linde am Steuer. "Vielleicht bin ich ein Kandidat für Drama, das folgt mir überall hin", sagte der 25-Jährige zu Motorsport-Magazin.com. "Der letzte Stopp war eine Schrecksekunde. Der Fehler ist passiert, der Motor ist angegangen beim Tanken. Der Call kam über Funk. Da ist jeder in Panik. Man muss auch sagen, dass da viel Druck dazu gehört. Als Außenstehender ist es immer einfach zu sagen, dass so etwas nicht passieren darf. Wenn du in so einem Moment aber das Rennen anführst, ist jeder extrem nervös. Dann passieren halt solche Sachen."

Van der Linde wusste schon in der fragwürdigen Situation, dass dem Team eine Strafe blühen könnte, schließlich ist dieses Prozedere auch in anderen Rennserien verboten. KVDL: "Ich habe gemerkt, dass das nicht richtig war. Die (das Team; d. Red.) haben gesagt: 'Mach aus, mach aus'! Ich habe einfach versucht weiterzufahren. Ich habe schnell mitbekommen, dass es eine Strafe geben könnte. Wie viele Sekunden oder so, das wusste ich nicht. Ich bin weitergefahren, habe gepusht und einfach versucht, die Lücke wieder aufzufahren. Mehr konnte ich nicht machen."

Die Ungewissheit über eine mögliche Strafe erklärt auch, warum van der Linde trotz eigentlich komfortablen Vorsprungs auf den Zweitplatzierten GetSpeed-Mercedes in den letzten Runden noch einmal angaste und Rundenzeiten im 8:12-Bereich fuhr. Im Angesicht einer potenziellen Zeitstrafe wurde van der Linde angehalten, einen 'Sicherheitsabstand' herauszufahren!

Foto: Audi
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Van der Linde: Hätte beinahe Unfall gebaut

Van der Linde: "Das Risiko, das ich in den letzten zwei Runden genommen habe, hätte beinahe zu einem Unfall geführt. Es hieß, dass wir eine Minute Lücke brauchen und dass ich pushen muss. Und ich wusste, dass ich fünf Sekunden Lücke in den zwei Runden brauche. Da war so wenig Verkehr am Ende und wusste, dass der Mercedes schnell ist. Fünf Sekunden aufzubauen, war fast unmöglich. Ich habe es trotzdem versucht, wirklich gepusht und zum Glück gab es keinen Unfall."

Beim Zieleinlauf betrug van der Lindes Vorsprung auf den #3 Mercedes 55,276 Sekunden. Er selbst hatte zu diesem Zeitpunkt keine Ahnung, ob es schon eine Strafe für den Boxenstopp-Patzer gegeben hatte: "Als ich übers Ziel gefahren bin, habe ich gedacht: Scheiße, wir haben verloren!" Aus Sicht von Phoenix Racing ging der Vorfall glimpflich aus, Teamchef Moser konnte den sechsten Sieg seiner Mannschaft beim 24h-Rennen Nürburgring feiern.

Drama rund um Phoenix-Team

Die Boxenstopp-Untersuchung war übrigens nicht das erste Drama, das die Phoenix-Mannschaft während des Rennens heimsuchte. Es ist durchaus bemerkenswert, welche Geschichten das Rennen für die Truppe schrieb - eine echte Achterbahn der Gefühle! Etwa für Dries Vanthoor, der seinen zweiten 24h-Sieg nach 2019 feierte, und schon am Samstag voll im Fokus stand. Seine Kollision ausgerechnet mit Bruder Laurens Vanthoor, die zum vorzeitigen Ausfall des Titelverteidigers #1 Manthey-Porsche führte, war eines der großen Gesprächsthemen bei Fans und im Fahrerlager.

Dries, der jüngere der beiden Vanthoor-Brüder, stand selbst nach der Zieldurchfahrt noch unter den Eindrücken des vorangegangenen Nordschleifen-Crashs mit Laurens. "Ich habe mich danach beschissen gefühlt, aber wir mussten noch unser Rennen fahren", sagte der 24-jährige Belgier. "Der Sieg ist auch ein bisschen für meinen Bruder." Laurens sprach im Laufe des Sonntags von einem "schwarzen Tag meiner Karriere" und einem "unprofessionellen" Vorgehen, nachdem er mit dem Manthey-Grello in die Leitplanken eingeschlagen und ausgefallen war.

Foto: Audi
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Van der Linde crasht Schwester-Audi

Van der Linde hatte schon vor dem späten Drama einen heiklen Moment: Der DTM-Pilot war als Doppelstarter unterwegs. Neben seinem Einsatz im #15 Phoenix-Audi war der Südafrikaner zudem auf dem #5 Audi R8 des Meuspather Rennstalls zusammen mit Frank Stippler, Ricardo Feller und Vincent Kolb gemeldet.

Das Schwesterauto sah die Zielflagge nicht im Gegensatz zum strahlenden Sieger. Ausgerechnet van der Linde crashte in der Nacht auf dem #5-Audi mit einem Porsche Cayman. Wegen der davongetragenen Schäden musste Phoenix das Auto später vorzeitig aus dem Rennen nehmen. Die Siegchancen waren ohnehin überschaubar und noch mehr nach einer 2:32-Minuten-Zeitstrafe, die DTM-Rookie Feller wegen eines Gelb-Vergehens kassiert hatte.

Van der Linde war der Crash trotzdem unangenehm. "Es war niemals Absicht, dass man mit Verkehr in der Nacht einen Unfall hat", so der nun zweifache 24h-Sieger. "Sorry an mein Team mit der Startnummer 5. Ich habe mir die Onboard-Aufnahmen oft angeschaut und viel hätte ich nicht anders machen können. Ich hatte das Glück, mit einer tollen Mannschaft weiterzufahren. Ein Traum-Team, es hat alles gepasst!"

Foto: Audi
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Frijns: Erinnerungen an 2017

Angespannt war mit Robin Frijns ein weiterer Fahrer aus dem Sieger-Quartett. Der Niederländer erlebte das Boxenstopp-Drama hautnah mit und fühlte sich an einen Vorfall beim 24h-Rennen Nürburgring im Jahr 2017 erinnert. Damals verloren Frijns und Co. im WRT-Audi den Gesamtsieg in letzter Minute, weil bei einsetzendem Regen die Konkurrenz von Land-Motorsport - unter anderem mit van der Linde am Steuer - rechtzeitig reagierte und den schon verlorengeglaubten Sieg eroberte.

Frijns, der dieses Jahr seinen ersten Sieg in der Eifel nachholen konnte: "2017 habe ich gegen Kelvin in der letzten Runde verloren. Dann war heute der Boxenstopp unter Beobachtung und ich dachte, dass jetzt noch mal was passiert! Jetzt ist der Druck weg. Ich wollte das Rennen hier schon lange gewinnen und bin happy, es jetzt geschafft zu haben."