Als amtierender WEC-Weltmeister zum künftigen Le-Mans-Neueinsteiger: Andre Lotterer wechselt nach seinem Abschied von Porsche zu Hyundais Edelmarke Genesis. Die Koreaner haben jüngst ihr LMDh-Auto für die WEC ab 2026 vorgestellt - mit dem dreifachen Le-Mans-Sieger Lotterer an Bord. Der 43-Jährige spricht im Exklusiv-Interview mit Motorsport-Magazin.com über das Ende bei Porsche, die neuen Aufgaben bei Genesis und er verrät uns ein bisher nicht bekanntes Toyota-Geheimnis.

Andre, wie erfüllend war der Gewinn der WEC-Weltmeisterschaft zum Abschied von Porsche?
Andre Lotterer: Der WM-Titel bedeutet mir sehr viel und lag mir wirklich am Herzen. Die Meisterschaft haben wir gegen die vielleicht stärkste Konkurrenz in der Geschichte des Langstreckensports geholt. Ich habe endlich den Erfolg, den ich mir mit Porsche immer gewünscht hatte - auch, wenn die Rechnung mit Le Mans, Porsche und mir nun offenbleibt. Seit meinem Wechsel zu Porsche im Jahr 2017 lief es nicht immer so, wie ich mir das vorgestellt hatte. Damals sind wir in Le Mans mit einem Motorschaden ausgefallen, und zum Saisonende wurde der Stecker gezogen. Ich bin der Marke und dem Haus Porsche stets treu geblieben und habe mich für einen Neustart in der Formel E entschieden, obwohl ich auf der Langstrecke weiter Gas geben wollte. Mit der letztjährigen Rückkehr in die WEC hat sich das Bild am Ende zusammengefügt.

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Andre Lotterer hat sich mit dem WM-Titel von Porsche verabschiedet, Foto: DPPI/WEC

Trotz des WM-Titelgewinns bist du 2025 nicht mehr Teil des verringerten Porsche-Aufgebots. Was war deiner Meinung nach der Grund?
Andre Lotterer: Leider wollte Porsche den Fahrerkader reduzieren, und mein Vertrag lief am Saisonende aus. Wenn man gewinnt und Titel holt, hofft man und wünscht sich, dass ein Hersteller das Siegerteam beisammenhält. Aber nichts ist für immer im Leben. Natürlich war ich nach der Mitteilung ein, zwei Wochen lang geknickt. Aber dann habe ich mir gesagt: 'Schau nach vorne.' Ich bin dankbar für die Möglichkeit, mit einem siegfähigen Auto noch einmal Weltmeister geworden zu sein. Als ich zu Porsche kam, dachte ich, dass wir 'zusammen alt werden' - auch wegen der Historie, die ich seit 2010 mit Audi hatte und die mich dazu bewogen hat, im Volkswagen-Konzern zu bleiben. Manchmal ändern sich die Dinge eben. C'est la vie.

Wärest du gerne weiter für Porsche in der WEC an den Start gegangen?
Andre Lotterer: Natürlich hätte ich gerne weitergemacht, denn wir waren ein echtes Dream-Team mit Laurens (Vanthoor) und Kevin (Estre). So etwas findet man selten: Jeder hat seine Rolle angenommen, und die Egos wurden beiseitegelassen. Ich bin dieses Jahr beispielsweise häufiger die Qualifying-Reifen in den Rennen gefahren, damit Kevin am Ende mehr pushen konnte. Wir haben kaum Fehler gemacht. Ich habe keine einzige Strafe bekommen und hatte keinen Kratzer am Auto - gar nicht schlecht, wenn man sieht, wie die GT3-Jungs heutzutage Rennen fahren. Das Zusammenspiel mit uns Fahrern, den Ingenieuren und den Mechanikern war einfach perfekt.

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Porsches WEC-Weltmeister: Laurens Vanthoor, Andre Lotterer und Kevin Estre, Foto: DPPI/WEC

Wann hast du von der Entscheidung erfahren?
Andre Lotterer: Ziemlich früh. Kurz nach dem Rennen in Sao Paulo (14. Juli; d. Red.) erhielt ich einen Hinweis vom Management, dass sich Dinge ändern werden. Meine Teamkollegen wollten unbedingt, dass ich bleibe, und haben sich sogar beim Management für mich eingesetzt. Ich wurde fairerweise früh genug informiert, damit ich mich anders orientieren kann, wenn ich will. Ich hätte bei Porsche bleiben können - etwa im GT-Sport oder als Markenbotschafter. Aber das war für die nahe Zukunft nichts, was mich gereizt hätte. Und wer weiß, wie lange es mit Porsche in der WEC weitergegangen wäre? In meinem Kopf möchte ich jedenfalls noch ein paar Jahre Rennen fahren.

Kaum ein anderer Rennfahrer hat sich auch abseits der Strecke so sehr mit der Marke Porsche identifiziert wie du.
Andre Lotterer: Sich mit dieser Marke zu identifizieren, ist für einen Rennfahrer eigentlich nicht schwierig. Wir sind doch alle irgendwie Porsche-Fans. Ich aber habe Porsche gelebt. Ich sammle Porsche-Sportwagen, war immer ein stolzer Botschafter und gleichzeitig auch wirklich ein Fan. Ich habe es sehr geschätzt, für Porsche Rennen fahren und die Marke auf höchstem Niveau repräsentieren zu dürfen. Dafür bin ich sehr dankbar.

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Andre Lotterer zählte seit 2017 zum Porsche-Werkskader, Foto: DPPI/WEC

Wäre es für dich eine Option gewesen, deine bisherigen Teamkollegen als dritter Fahrer bei den langen WEC-Rennen in Katar, Le Mans oder Bahrain zu unterstützen?
Andre Lotterer: Wenn man etwas so Gutes am Laufen hatte und es wird dann auseinandergerissen, hinterfragt man, ob man selbst überhaupt bleiben möchte. Ich kam schnell zu der Erkenntnis, dass mich diese Situation nicht glücklich machen würde, und habe mich nach etwas Neuem umgesehen.

Würdest du die jetzige Porsche-Situation mit deinem Abschied von Audi vergleichen, nachdem die Ende 2016 ihr Le-Mans-Projekt eingestellt hatten?
Andre Lotterer: Das Audi-Aus war das Härteste, was ich in meiner Karriere schlucken musste. Die jetzige Situation mit Porsche ist damit nicht zu vergleichen. Mit Audis LMP1-Programm habe ich meinen Traum gelebt, das war einfach fantastisch. Als bei Audi Schluss war, hatte ich noch einige Jahre Vertrag und bekam einen Platz in der DTM angeboten. Ich hatte aber auch die Möglichkeit, für Toyota in einem dritten Auto weiter die 24 Stunden von Le Mans zu fahren. Hätte ich das damals angenommen, hätte ich heute vielleicht noch ein paar mehr Le-Mans-Siege auf dem Konto... (lacht)

Warum hast du es nicht gemacht?
Andre Lotterer: Die Aussicht, als deutscher Rennfahrer für das Porsche-Werksteam fahren zu können, hat mich einfach nicht losgelassen. Dass sie nach nur einer Saison aus der WEC aussteigen würden, hatte ich allerdings nicht auf dem Schirm. Vielleicht habe ich die politische Situation rund um die Diesel-Problematik damals noch nicht richtig einschätzen können. Aber so viele attraktive Möglichkeiten gehabt zu haben, das war schon ein Luxus-Problem für mich, das muss ich wirklich so sagen.

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Lotterer gewann dreimal die 24 Stunden von Le Mans mit Audi, Foto: WEC/DPPI

Jetzt wartet bei der Hyundai-Tochter Genesis ein neues Langstrecken-Kapitel auf dich. Wie kam es dazu?
Andre Lotterer: Ich habe selbst den Kontakt aufgenommen, und es hat sofort gepasst. Genesis hat einen erfahrenen Piloten wie mich gesucht, um ein Fundament für das neue Hypercar-Projekt zu errichten. Ich habe bei Porsche gesehen, wie enorm sich ein Auto selbst ohne große Hardware-Updates innerhalb von zwei Saisons entwickeln kann. Deshalb denke ich, dass ich Genesis gut weiterhelfen kann. Jetzt mit einem großen und international agierenden Hersteller noch einmal eine neue Herausforderung zu starten - zu diesem Zeitpunkt meiner Karriere hätte mir eigentlich nichts Besseres passieren können! Das eröffnet mir eine langfristige Zukunft.

Wie sehen deine Aufgaben konkret aus?
Andre Lotterer: Ich freue mich schon darauf, die Entwicklungsarbeit bei Genesis mit voranzutreiben. Dieses Projekt ist total spannend und eine großartige Motivation für mich, weil ich meine gesamte Erfahrung in ein Team einbringen kann, das mit Top-Leuten neu aufgebaut wird. Genesis hat wirklich ehrgeizige Pläne. Sie treten nicht an, um nur mitzufahren. Ich habe dort eine dynamische Rolle, die mich motiviert hat, noch einmal etwas Neues in Angriff zu nehmen. Und ich werde mit ihnen auf jeden Fall auch Rennen fahren.

Start im Langstrecken-Rennsport für Genesis Magma Racing mit Unterstützung von Hyundai Motorsport
Hyundai-Tochter Genesis kommt 2026 nach Le Mans, Foto: Genesis Magma Racing

Genesis plant sein Renndebüt mit dem neuen Hypercar ab 2026. Wirst du nächstes Jahr also keine Rennen fahren?
Andre Lotterer: Wahrscheinlich nur in Goodwood! (lacht) Ich denke, wir werden mit dem Aufbau dieses Projekts ausreichend beschäftigt sein. Darauf möchte ich mich voll fokussieren und mich der Marke widmen. Möglicherweise wird mir das Rennfahren fehlen, aber nach so vielen Jahren tut es sicherlich auch mal gut, sich für ein Jahr auf etwas anderes zu konzentrieren. Ich sehe das positiv.

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Erste Genesis-Fahrer: Andre Lotterer und Pipo Derani, Foto: Genesis Magma Racing

Hast du auch mit anderen Herstellern gesprochen? Dein früherer Porsche-Markenkollege Frederic Makowiecki ist zu Alpine gewechselt.
Andre Lotterer: Nein, nur mit Genesis. Gleich beim ersten Gespräch haben wir uns sofort verstanden und eine gemeinsame Richtung gefunden. Danach hatte ich direkt ein gutes Gefühl, das Richtige gefunden zu haben. Und es gibt noch eine Sache, die eigentlich nur eine Randnotiz ist, mich aber dennoch etwas freut: das neu formierte Genesis-Team wird seine Zelte in Südfrankreich aufschlagen, unweit der Rennstrecke von Paul Ricard. In nur eineinhalb bis zwei Stunden bin ich von meiner Wahlheimat Monaco dort. Wenn ich mich diesbezüglich an meine Japan-Jahre zurück erinnere - damals war ich zeitgleich bei Audi und Toyota unter Vertrag - werden sich meine Anreise-Zeiten zu Terminen beim Team und diversen Funktionstests drastisch reduzieren... Ich freue mich darauf!

Bis Genesis in die WEC einsteigt und Andre Lotterer sein Comeback in Le Mans geht, dauert es noch eine Weile. Schon jetzt ist aber klar, wer 2025 in der Langstrecken-WM an den Start geht - und wer neu dabei ist und welche Marke sich verabschiedet hat. Die WEC-Starterliste für die Saison 2025 findet ihr in diesem Artikel: