"Motorsport ist gefährlich" - Das wissen wir alle, vergessen es aber doch immer wieder. Zu unterhaltsam, zu spektakulär können Rennen verlaufen, zu emotional können Siege gefeiert werden. Hin und wieder werden wir (leider) dann aber doch wieder daran erinnert. So auch am 5. September 2010, als die Motorrad-Weltmeisterschaft in Misano eines ihrer größten Talente verlor: Shoya Tomizawa. Motorsport-Magazin.com blickt exakt 15 Jahre später auf den tödlichen Sturz des Japaners zurück und gedenkt einem lebensfrohen und höchstbeliebten Menschen, der uns viel zu früh verlassen musste.

Chance auf Moto2-Bigpoints: Shoya Tomizawa kämpft in Misano um den Sieg

Eigentlich bot der San-Marino-Grand-Prix der Moto2 im Jahr 2010 alles, was das Fanherz begehrt. Gleich sieben Fahrer bekämpften sich auf dem engen und technischen Misano World Circuit leidenschaftlich um den Rennsieg, zahlreiche Überholmanöver und Angriffsversuche waren zu sehen. Wer gewinnen würde? Völlig unklar. Der Führende Toni Elias hatte ebenso gute Chancen wie seine sechs Verfolger Simone Corsi, Julian Simon, Alex de Angelis, Scott Redding, Jules Cluzel und Tomizawa, der nach elf von 26 Rennrunden aussichtsreich auf Platz vier lag.

Shoya Tomizawa (#48) mischte im San-Marino-GP ganz vorne mit, Foto: IMAGO / Gribaudi/ImagePhoto
Shoya Tomizawa (#48) mischte im San-Marino-GP ganz vorne mit, Foto: IMAGO / Gribaudi/ImagePhoto

Nach nur sechs Punkten aus den letzten vier Grands Prix hätte der talentierte Japaner ein Spitzenresultat mal wieder nötig gehabt, um nochmal in das Rennen um die Vizeweltmeisterschaft einzugreifen. WM-Leader Elias war mit 104 Punkten Vorsprung inzwischen uneinholbar enteilt, aber Andrea Iannone und WM-Rang zwei waren mit nur 37 Zählern Rückstand definitiv noch erreichbar - besonders, weil dem 'Maniac' in Misano ein Frühstart unterlaufen war. Während Tomizawa um den Sieg kämpfte, würde WM-Rivale Iannone an diesem Tag aufgrund der folgerichtigen Durchfahrtsstrafe nur wenige Punkte holen, wenn überhaupt.

Shoya Tomizawa: Folgenschwerer Sturz in Runde zwölf

Doch das Schicksal meinte es anders mit Tomizawa. Weiterhin auf Platz vier liegend, donnerte der Japaner in Runde zwölf wie üblich mit Highspeed durch 'Curvone', den besonders schnellen Rechtsknick von Turn 11 des Misano World Circuits. Eine wahre Mutkurve, wenn auch nichts Ungewohntes, waren die Moto2-Piloten doch schon das gesamte Wochenende mit weit über 150 km/h durch den Rechtsknick geschossen. Diesmal hatte Tomizawa aber wohl ein, zwei km/h zu viel durch die Kurve geschleppt. Denn am Ausgang von Kurve elf kam er mit dem Hinterrad von der Strecke ab, verlor das Heck seiner Suter MMX und ging zu Boden.

Ein kleiner Fahrfehler, der dramatische Folgen haben sollte. Denn Tomizawa rutschte nicht etwa von der Strecke, sondern schlitterte nach seinem Sturz auf Asphalt und Ideallinie weiter. Die nachfolgenden Redding und de Angelis hatten nicht den Hauch einer Chance. Sie trafen Tomizawa mit voller Geschwindigkeit, überfuhren den hilflos am Boden liegenden Technomag-Piloten. De Angelis sollte später berichten, dass er noch alles versucht habe, in das Motorrad Tomizawas zu krachen und nicht in den Japaner selbst, aber das gelang ihm leider nicht.

Während de Angelis die Unfallstelle auf eigenen Beinen verlassen konnte, wurden Redding und Tomizawa von den Marshals per Trage abtransportiert und zunächst ins Medical Center an der Strecke gebracht, nach dort erfolgten ersten Behandlungen aber schnell ins Krankenhaus von Riccione verlegt. Bei Redding folgte schnell Entwarnung, doch Tomizawas Zustand blieb kritisch. Die Berichte überschlugen sich, die Informationen im Paddock reichten von fünfminütiger Bewusstlosigkeit bis hin zum Koma. Das MotoGP-Rennen wurde um 14:00 Uhr Ortszeit dennoch gestartet. Und dann die Botschaft, die an diesem Tage niemand lesen oder hören wollte.

Um 14:20 Uhr Ortszeit erlag Tomizawa im Krankenhaus von Riccione seinen schweren Verletzungen. Bei der Kollision mit de Angelis und Redding hatte er Traumata am Thorax, dem Abdomen und dem Kopf erlitten. Zu viel für den jungen Japaner, der erst 19 Jahre alt gewesen war. Die MotoGP-Welt stand unter Schock. Nach mehr als sieben Jahren ohne Todesfall hatte sie wieder einen der Eigenen verloren. Getroffen hatte es ausgerechnet einen Landsmann des letzten Todesopfers der MotoGP: Daijiro Kato, der sein Leben Anfang 2003 in Suzuka verloren hatte und mit dessen Startnummer 74 Tomizawa bis zum Schluss im Andenken an Kato auf seiner Lederkombi unterwegs gewesen war.

In Motegi trauerte die Motorrad-WM um Shoya Tomizawa, Foto: IMAGO / Insidefoto
In Motegi trauerte die Motorrad-WM um Shoya Tomizawa, Foto: IMAGO / Insidefoto
Foto: IMAGO / Gribaudi/ImagePhoto
Foto: IMAGO / Gribaudi/ImagePhoto
Foto: IMAGO / Insidefoto
Foto: IMAGO / Insidefoto
Foto: IMAGO / Insidefoto
Foto: IMAGO / Insidefoto

MotoGP-Welt trauert um Shoya Tomizawa, Tod sorgt für Diskussionen

Nun war es Tomizawa selbst, um den die MotoGP trauerte. Nach einem unauffälligen Rookiejahr 2009 war dieser eigentlich eine der Entdeckungen der Saison 2010 schlechthin gewesen. In Katar schrieb Tomizawa als Sieger des ersten Moto2-Rennens überhaupt WM-Geschichte, drei Wochen später holte er in Jerez seine erste Pole Position und einen weiteren Podiumsplatz. Nach der Dutch TT Ende Juni war der Technomag-Pilot als WM-Zweiter noch immer voll im Titelkampf, durfte von einer rosigen Zukunft in der Königsklasse träumen. Denn in die Notizbücher zahlreicher MotoGP-Teams und -Hersteller hatte er sich trotz des kleinen Formtiefs im Spätsommer mit nur sechs Punkten aus vier Rennen längst gefahren.

Shoya Tomizawa bejubelt seinen einzigen Grand-Prix-Sieg beim Moto2-Debüt 2010 in Katar, Foto: IMAGO / Insidefoto
Shoya Tomizawa bejubelt seinen einzigen Grand-Prix-Sieg beim Moto2-Debüt 2010 in Katar, Foto: IMAGO / Insidefoto

In die MotoGP sollte es Tomizawa aber nie mehr schaffen und sein tragischer Tod sorgte für hitzige Diskussionen. Zum einen rückten Marshals und Rennleitung in den Mittelpunkt. Erstere hatten womöglich überstürzt gehandelt, wollten Tomizawa schnellstmöglich von der Unfallstelle entfernen und agierten dabei nicht vorsichtig genug. Beim Abtransport wurde die Trage mit dem schwerverletzten Japaner einmal auf den Boden fallen gelassen, weil einer der Marshals stolperte oder den Tragegriff noch nicht fest genug umschlossen hatte. Ob dies zu Tomizawas Ableben beitrug, ist bis heute unklar. Sicher ist jedoch, dass schwerverletzte Fahrer zweifellos mit mehr Vorsicht behandelt werden müssten und dazu hätte auch die Rennleitung beitragen sollen. Diese brach das Moto2-Rennen nämlich nicht ab, ließ trotz der Horrorkollision bis zur Zielankunft weiterlaufen und gab den Marshals damit nicht die nötige Unterstützung, Tomizawa sicher und ohne Zeitdruck zu bergen. Zudem entbrannte eine Diskussion über das sogenannte Astroturf, den Kunstrasen hinter den Kerbs. Auf diesem war Tomizawa möglicherweise weggerutscht. Einige Fahrer forderten daher eine Rückkehr zu echtem Gras und Kiesbetten, fanden jedoch kein Gehör.

Was bleibt ist das Andenken an einen hochtalentierten Motorradfahrer, der wohl noch eine große Zukunft vor sich gehabt hätte. Tomizawa war aber viel mehr als nur ein Moto2-Pilot, er war ein fantastischer Mensch. Er war ein Strahlemann, seine freundliche und gutmütige Art war ansteckend. Er hatte immer ein Lächeln auf den Lippen, war nett und zuvorkommend und er konnte nicht böse schauen. Selbst wenn es im Rennen oder Training einmal nicht nach seinen Vorstellungen lief, winkte er noch fröhlich in die Kameras. Er war im Fahrerlager trotz seines jungen Alters von 19 Jahren hoch angesehen, beliebt und respektiert. Und er ist bis heute unvergessen. Ruhe in Frieden, Shoya Tomizawa!