Geht es nach dem ursprünglichen MotoGP-Rennkalender der Saison 2024, hätte die Motorrad-WM an diesem Wochenende eigentlich zum erst zweiten Mal in ihrer Geschichte in Indien Station machen sollen. Doch der Grand Prix in Neu Delhi musste abgesagt werden, der vermeintliche Ersatz-GP in Kasachstan ebenso. Deshalb gastiert die MotoGP nun ein weiteres Mal in Misano, wo bereits vor zwei Wochen der San Marino GP und der achtstündige Misano-Test ausgetragen wurden. Damals kristallisierte sich Ducati schnell als Favorit heraus, wie schaut es diesmal aus?
Ein Blick auf das Klassement im Training enttäuscht zunächst jene, die auf ein verändertes Bild gehofft hatten: Wieder einmal landete Lokalmatador Francesco Bagnaia mit einem Rundenrekord auf Platz eins, nur einer der zehn besten Fahrer vom vorletzten Freitag schaffte es nicht erneut unter die Top Ten: Jack Miller verpasste den direkten Einzug als Elfter diesmal haarscharf, dafür rutschte Aleix Espargaro als Zehnter gerade so hinein. Kaum Veränderungen also im Vergleich zum Trainingstag des San Marino GPs.
Die MotoGP-Top-10 im Training in Misano
Fahrer | San Marino GP | Emilia Romagna GP |
---|---|---|
Francesco Bagnaia | 1 | 1 |
Marc Marquez | 2 | 3 |
Jorge Martin | 3 | 2 |
Franco Morbidelli | 4 | 6 |
Enea Bastianini | 5 | 4 |
Pedro Acosta | 6 | 8 |
Marco Bezzecchi | 7 | 9 |
Maverick Vinales | 8 | 7 |
Fabio Quartararo | 9 | 5 |
Jack Miller | 10 | 11 |
Aleix Espargaro | 12 | 10 |
Und selbst innerhalb der Top Ten gab es nur wenig Verschiebungen, einzig Fabio Quartararo konnte seine Platzierung um mehr als zwei Positionen verbessern. Trotzdem gibt es einen entscheidenden Unterschied. Konnten Franco Morbidelli, Marco Bezzecchi und Pedro Acosta vor 14 Tagen noch vorne mitmischen, wurden sie zum Emilia Romagna GP von den Top Vier der MotoGP-Weltmeisterschaft 2024 deutlich abgehängt. Zwischen Enea Bastianini auf Platz vier und Quartararo auf Rang fünf klaffte am Freitag eine Lücke von fast drei Zehnteln, die das Führungsquartett zu den klaren Favoriten für Qualifying, Sprint und Grand Prix aufsteigen lässt.
Der 100. MotoGP-Sieg von Ducati wird sich am Sonntag also kaum vermeiden lassen, Langeweile muss allerdings nicht erwartet werden. Denn dafür geht es an der Spitze zu eng zu: Zwischen Rekordmann Bagnaia und dem 'langsamsten' Verfolger Bastianini lagen lediglich 0,321 Sekunden, Jorge Martin und Marc Marquez verloren noch etwas weniger Zeit - und das, obwohl ihre jeweiligen Trainingsfreitage alles andere als perfekt verliefen.
Jorge Martin und Marc Marquez in Misano mit Luft nach oben
Martin musste in den Schlussminuten der Nachmittagssession nämlich noch einen Sturz in Turn 8 hinnehmen. "Ich bin gestürzt, obwohl ich genau das gleiche gemacht hatte wie in der Runde zuvor, gleicher Speed und gleicher Bremspunkt. Daher schätze ich, dass es passiert ist, weil ich Franco [Morbidelli] gefolgt bin", rätselt er und meint: "Ich hätte mich sonst noch etwas verbessern können." Das Bild an der MotoGP-Spitze hätte in Misano also auch noch enger ausfallen können, was Hoffnung für das restliche Wochenende macht. Seinen Sturz hat Martin jedenfalls gut verkraftet: "Ich bin schon einige Zeit nicht mehr gestürzt, da musste es irgendwann einfach wieder passieren. Aber ich stürze lieber am Freitag im Training. Jetzt weiß ich, wo das Limit ist."

Eine Strategie, mit der MotoGP-Superstar Marquez zu seinen Honda-Hochzeiten immer gut gefahren war. Am Freitag kam er jedoch gar nicht erst in diese Position, ein "kleines Problem" am Motorrad führte zu mehreren Bike-Wechseln während der Session. Dennoch bilanzierte der achtmalige Champion am Freitagabend zufrieden: "Ich habe mich gut gefühlt, hatte ein gutes Gefühl für das Motorrad. Es gab einfach zwei Fahrer, Pecco und Martin, die nochmal schneller waren und die Latte bereits sehr hoch gelegt haben."
Einen dritten MotoGP-Sieg in Serie hält Marquez deshalb nicht gerade für realistisch, die Favoritenrolle spielt er seinen WM-Rivalen zu. Das Problem? Bagnaia und Martin scheinen in der Rennpace überlegen, konnten im Training in ihren Longrun-Simulationen im hohen 1:30er-Bereich fahren und damit knapp vier bis fünf Zehntel schneller als der Gresini-Pilot. Gänzlich abschreiben will sich Marquez aber noch nicht: "Ich komme Schritt für Schritt näher, mein Gefühl wurde immer besser. Es gibt noch ein paar Dinge, die ich verbessern kann." Hoffnung macht dabei ein Blick auf das vergangene Rennwochenende. Auch dort schien der Spanier seinen Ducati-Rivalen zunächst unterlegen, triumphierte im Grand Prix letztlich aber trotzdem. Zwar unter Mithilfe des kurzen Regenschauers, allerdings im Anschluss auch dank der besseren Pace im direkten Vergleich mit Bagnaia und Bastianini.
Francesco Bagnaia: Schmerzfrei zum Misano-Topfavorit?
Eine Wiederholung scheint nicht unmöglich, zumal Marquez auch 2021 nicht als Favorit in den Emilia Romagna GP startete und dennoch gewann. "Wenn ihn [Bagnaia, Anm.] jemand schlagen kann, dann entweder Marc oder ich", kommentiert auch Martin, der sich und seinen WM-Rivalen aus dem Ducati-Werksteam als favorisiert sieht. Bagnaia stimmt dem trocken zu: "Jorge und ich haben heute den Unterschied ausgemacht, wir waren schneller als die Anderen - in der 'Timeattack', speziell aber mit Blick auf die Rennpace. Dort waren wir mindestens vier Zehntel schneller als der Dritte."
Gute Voraussetzungen also, zumindest einen Zweikampf an der Spitze zu erhalten. Doch es gibt einen Faktor, der MotoGP-Fans stutzig machen sollte. Denn anders als vor 14 Tagen, als Bagnaia noch an den Folgen seiner Aragon-Kollision mit Alex Marquez litt, ist der Ducati-Star nun wieder vollständig genesen. "Mir geht es körperlich viel besser, ich kann mich ausschließlich auf das Fahren konzentrieren und das macht einen großen Unterschied. Ich konnte mich heute vollständig auf das Bike und auf das konzentrieren, was ich brauche, um schnell zu sein", verrät er.
Dass Bagnaia also schon am Freitag an der Spitze steht, ist folglich nicht das beste Vorzeichen für ein spannendes Rennen. Macht er an Samstag und Sonntag die bekannten Fortschritte, könnte sein Vorsprung über das restliche Wochenende hinweg noch anwachsen. "Ich kann noch mehr Potenzial aus mir herausholen", sagt auch der amtierende MotoGP-Weltmeister selbstbewusst und sollte bei seinen Kontrahenten damit für Sorgenfalten auf der Stirn gesorgt haben. Nach zwei Jahren Wartezeit scheint Bagnaia schließlich mal wieder fällig für einen Heimsieg in Misano.

Unbekannte 'Bastianini': Rechtzeitiger MotoGP-Turnaround in Misano?
Die große Unbekannte bleibt derweil Ducati-Teamkollege Bastianini. Dem Italiener gelang zwar trotz eines "kleinen Fehlers in Sektor 4" eine gute Rundenzeit, in Sachen Rennpace hapert es bei ihm allerdings noch etwas mehr als Marquez. Das Problem ist dabei kein Unbekanntes. "Ich habe immer noch Probleme mit dem Medium-Reifen, genau wie beim letzten Mal. Ich bekomme in den ersten Runden einfach keine Temperatur in die linke Reifenflanke. Dadurch verliere ich speziell im vierten Sektor viel Zeit", erklärt Bastianini. Findet das Ducati-Team bis zum Grand Prix noch eine Lösung, sollte auch mit ihm zu rechnen sein. Dass sich die 'Bestie' in Misano auf Augenhöhe mit Bagnaia bewegen kann, zeigte sie schließlich schon 2022 eindrucksvoll.
Eine Wiederholung dieses packenden Zweikampfs um den Sieg wäre ohne Zweifel gerne gesehen. Doch was glaubt ihr: Bagnaia, Martin, Marc Marquez oder doch Bastianini? Wer setzt sich in Misano durch? Gebt eure Tipps in den Kommentaren ab!
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