Obwohl mit Jorge Martin am Samstag ein Ducati-Pilot den ersten Sprint des MotoGP-Jahres 2024 gewonnen hatte, war die allgemeine Haltung im Fahrerfeld der Königsklasse, dass KTM und speziell Aprilia favorisiert in den Katar Grand Prix am Sonntag starten würden. Die Begründung: Sämtliche Ducatisti kämpften im Sprint mit Chattering-Problemen, während vor allem Aleix Espargaro in der zweiten Rennhälfte eine beeindruckende Pace mit gebrauchten Reifen an den Tag legte. Dieser hatte sich in der Schlussphase noch auf Platz drei nach vorne gekämpft und das Ziel lediglich 0,729 Sekunden nach Sieger Martin erreicht.

Nach einer dominanten Saison 2023 machte sich die Hoffnung breit, Ducatis Vormachtstellung in der MotoGP könnte bröckeln. Knapp 24 Stunden später muss festgehalten werden, dass sich diese Hoffnungen nicht bewahrheitet haben. Im Gegenteil: Mit Francesco Bagnaia gewann nicht nur ein Ducati-Pilot den Katar Grand Prix, die Italiener stellten nicht weniger als sechs der sieben besten Motorräder. Einzig KTM-Speerspitze Brad Binder hatte es geschafft, die Ducati-Armada als Zweiter zu durchbrechen.

Bagnaias Taktikkniff: Früh attackieren, dann kontrollieren!

Doch wie gelang Ducati dieser unerwartete Turnaround? "Nach gestern war es wichtig, die Strategie beim Start etwas zu verändern", erklärt Rennsieger Bagnaia. Der amtierende Weltmeister war am Samstag noch nicht über Platz vier hinausgekommen. "Ich musste aggressiver sein. Ich wusste, dass meine Pace gut genug wäre, um einen Vorsprung zu verwalten, wenn ich nach der ersten Runde führen würde. Der Sprint war eine große Lehre", berichtet er und ergänzt: "Ich musste am Start attackieren und führen, um frische Luft zu haben. Als ich gestern im Verkehr war, konnte ich zwei Runden im 1:52.0er-Bereich fahren, danach hatte ich Probleme mit dem Hinterreifen."

Ein Taktikwechsel bescherte Bagnaia also seinen 19. Grand-Prix-Sieg in der MotoGP. Von Startplatz fünf schoss der Ducati-Pilot noch vor der ersten Kurve auf Platz drei nach vorne und schnappte sich dann binnen weniger Meter mit konsequenten Überholmanövern auch noch Brad Binder und Jorge Martin. So beendete er die erste Runde in Führung liegend und kontrollierte fortan das Geschehen. "Ich habe den Hinterreifen im Kurveneingang so gut wie möglich gemanagt und habe versucht, konstant zu fahren. Das Bike hätte schneller gekonnt, aber es hätte nichts gebracht", beschreibt Bagnaia, der mit einer schnelleren Pace wohl erneute Chattering-Probleme riskiert hätte.

So aber entschied sich der 27-jährige Turiner nur dann zu pushen, wenn es wirklich nötig wurde, um den Hinterreifen nicht zu sehr zu strapazieren. "Wenn Brad zwei bis drei Zehntel näherkam, habe ich wieder angezogen, um den Vorsprung zu halten. Ansonsten habe ich einfach nur versucht, konstant zu sein", meint Bagnaia, der in Absprache mit seinem Ducati-Team auch noch eine weitere Schutzmaßnahme gegen das Chattering vorgenommen hatte: "Ich habe meinen Fahrstil leicht verändert. Dadurch hatte ich kaum Vibrationen, nur in den letzten beiden Runden in einer Kurve", verrät er und jubelt: "Wir wissen jetzt in welche Richtung wir gehen müssen, wenn wir nochmal mit Vibrationen zu kämpfen haben."

Francesco Bagnaia löste sich früh und verwaltete seinen Vorsprung anschließend, Foto: LAT Images
Francesco Bagnaia löste sich früh und verwaltete seinen Vorsprung anschließend, Foto: LAT Images

Martin und Bastianini verzocken sich: Anfangs zu konservativ!

Dass Bagnaias Weg am Sonntag der richtige war, zeigt ein Blick auf dessen Desmosedici-GP24-Kollegen, die im Katar Grand Prix einen anderen Ansatz gewählt hatten. "Ich bin in der Startphase etwas langsamer gefahren in der Hoffnung, zum Schluss schneller zu sein. Das war aber nicht die korrekte Entscheidung, weil der Drop am Ende nicht so stark war wie gestern. Es wäre besser gewesen, vom Start weg mein Maximum zu geben", analysierte Ducati-Teamkollege Enea Bastianini leicht angefressen. Trotz starker Pace in der Schlussphase hatte es ihm nur noch zu Platz fünf gereicht, nachdem er zuvor über weite Strecken auf Rang sieben unterwegs gewesen war.

Polesitter Jorge Martin ereilte ein ähnliches Schicksal. "Gestern hätte ich nicht gedacht, heute auf dem Podium zu stehen", erkannte er zunächst an, ergänzte dann aber: "Ich habe verstanden, dass ich zum Rennstart vorsichtiger mit den Reifen umgehen musste. Ich glaube aber nicht, dass das die richtige Entscheidung war, weil ich am Rennende zwar wirklich gute Reifen hatte, aber nicht mehr in Schlagdistanz kommen."

Jorge Martin konnte Brad Binder nicht mehr einholen, Foto: LAT Images
Jorge Martin konnte Brad Binder nicht mehr einholen, Foto: LAT Images

Martin hatte zunächst den Start zwar gewonnen und Platz eins verteidigt, ließ dann aber wie bereits beschrieben noch im Verlauf der ersten Runde Bagnaia passieren. Später schlüpfte dann auch Binder nach mehreren gegenseitigen Überholmanövern durch. In der Schlussphase näherte sich Martin zwar nochmal in großen Schritten an das zwischenzeitlich enteilte Führungsduo an, kam aber nicht mehr rechtzeitig in Schlagdistanz. Zu Binder und Platz zwei fehlten knapp 0,6 Sekunden, zu Rennsieger Bagnaia etwas unter zwei Sekunden. "Ohne Peccos Überholmanöver wäre es vielleicht ein anderes Rennen geworden, aber wir haben eben diesen Fehler gemacht", bilanziert der Pramac-Pilot.