Mit 21 Punkten Vorsprung auf Jorge Martin ist Francesco Bagnaia in das MotoGP-Saisonfinale in Valencia gegangen. Für Martin war damit klar, dass wohl nur Siege in Sprint und Grand Prix noch für eine Wende im WM-Fight reichen könnten. Gleichzeitig muss er aber auf Patzer von Rivale Bagnaia hoffen. Und einen solchen leistete sich der Titelverteidiger bereits am Freitag. Bagnaia kam im Training nicht über Rang 15 hinaus und muss somit am Samstag bereits in Q1 ran.

Martin war nicht unbeteiligt daran, dass Bagnaia diesen Umweg gehen muss. Selbst bereits mit einer guten Rundenzeit ausgestattet, verfolgte Martin in der gesamten Schlussphase des Trainings seinen Widersacher. Der stieg auf die Spielchen voll ein. Beim Verlassen der Box konnte er sich ein sarkastisches Signal in Richtung des an seinem Hinterrad klebenden Martin nicht verkneifen: Bagnaia drehte sich zu Martin um und klopfte gegen das Heck seiner Ducati. Im Motorradsport ein traditionelles Zeichen an andere Fahrer, sich in den Windschatten zu hängen.

Am Ende der Boxenausfahrt krachte Martin beim Versuch, möglichst nah an Bagnaia dran zu bleiben, beinahe in das Heck von Bagnaias Maschine. Der versuchte auf der Strecke alles, um seinen Gegner abzuschütteln, doch der folgte ihm sogar in den asphaltierten Notausgang. Martins Taktik ging schließlich auf: Bagnaia verlor kostbare Zeit und konnte sich in einer hektischen Schlussphase mit vielen Stürzen und Gelben Flaggen nicht mehr steigern.

Von Martins Spielchen verärgert, versuchte sogar die Führungsebene des Ducati-Werksteams in das Geschehen auf der Strecke einzugreifen. Team-Manager Davide Tardozzi stellte sich in den Weg Martins, als dieser hinter Bagnaia die Box verlassen wollte. Martin raste nur wenige Zentimeter am Ex-Rennfahrer Tardozzi vorbei.

Davide Tardozzi stellt sich in den Weg von Jorge Martin
Davide Tardozzi machte die Mauer für seinen Fahrer, Foto: Screenshot/MotoGP

"Ich glaube, dass sie sich etwas entspannen sollten", bemerkte Martin angesprochen auf diesen Vorfall süffisant. "Sie waren wohl etwas verärgert über diese Situation, aber das ist das Einzige, was wir machen können. Ich habe ihn ja nicht von der Strecke gedrängt, sondern bin ihm einfach gefolgt. Schön ist das natürlich nicht, aber auf ein weiteres Level würde ich das nicht heben. Ihm eine Runde zu zerstören - das wäre unfair."

Bagnaia selbst sah die psychologischen Spielchen seines Rivalen naturgemäß ganz anders: "Dass mir viele Fahrer folgen, bin ich ja gewohnt. An den letzten Rennwochenenden hat Jorge nun auch damit begonnen. Ich glaube, dass es für ihn besser wäre, wenn er sich auf sich selbst und seinen Job konzentriert. Er hat gemeint, dass er hier beide Rennen gewinnen will. Momentan ist er aber nicht der schnellste Fahrer (Maverick Vinales führte das Training an, Anm.), also sollte er lieber darüber nachdenken, wie er sich steigern kann."

Zuspruch erhält Martin hingegen von einem Fahrer, der sich im Vorjahr in einer ganz ähnlichen Situation befand: Fabio Quartararo kam 2022 mit 23 Punkten Rückstand auf Bagnaia nach Valencia. "Ich glaube, dass es Jorges Job ist, Pecco auf den Sack zu gehen. Mehr als das sogar. Genau das macht er und er macht es perfekt. Er weiß, dass es für ihn sehr schwierig, aber nicht unmöglich ist, den WM-Titel noch zu holen. Da muss er solche Dinge machen", meinte der Franzose am Freitagabend.

Und auch Marc Marquez stufte Martins Taktik nicht als verwerflich ein: "Was er macht, ist vom Reglement gedeckt. Es wird sicher einige Leute geben, denen das nicht gefällt, aber wenn du um eine Weltmeisterschaft kämpfst, dann musst du das auf jede erdenkliche Art und Weise machen. Jorge liegt in der WM zurück, also muss er versuchen, Pecco aus der Fassung zu bringen. Genau das hat er gemacht und es hat funktioniert, denn Pecco muss jetzt am Samstag in Q1 zusätzliche Arbeit leisten."