Selten war ich vor einem MotoGP-Saisonauftakt so aufgeregt wie vor diesem. Das liegt aber nicht etwa an der aufgestauten Ungeduld der viermonatigen Winterpause, sondern den unzähligen Faktoren, welche diese Saison zu einen Krimi machen könnten.
Denn 2021 wird für die MotoGP zum Schicksalsjahr auf vielen Ebenen. Während es im Vorjahr um das nackte Überleben des Paddocks ging, so steht in den kommenden Monaten nicht weniger als die grundsätzliche Weichenstellung für die Zukunft der gesamten Weltmeisterschaft auf dem Spiel.
Diese Weiche hat zunächst eine sportliche Komponente. Marc Marquez wurde im Vorjahr entthront und setzte sich selbst durch Unglück und schlechte Entscheidungen für eine gesamte Saison außer Gefecht. Nun versucht er etwas, was noch kein großer Champion vor ihm vollbringen musste: Nach einer Abwesenheit von mehr als acht Monaten wieder auf seinem Motorrad Erfolge zu feiern.
Einen vergleichbaren Präzedenzfall gibt es nicht: Egal ob Mick Doohan, Valentino Rossi oder Wayne Gardner. Eine dermaßen lange Zwangspause musste keiner von ihnen je überstehen. Sollte Marquez' Comeback von Erfolg gekrönt sein, wäre er seinem Aufstieg zum größten Motorradfahrer aller Zeiten einen großen Schritt näher.
Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass die Geschehnisse der vergangenen acht Monate Marquez körperlich und/oder geistig so stark zugesetzt haben, dass er nicht wieder zum MM93 vergangener Tage wird. Dann würde sich die große Frage nach der Thronfolge stellen, die im sportlich abwechslungsreichen Vorjahr unbeantwortet blieb.
Zwar setzte sich Joan Mir am Ende solide im WM-Kampf durch, zum neuen Dominator der MotoGP stieg er aber nicht auf. Im "Übergangsjahr 2020" durfte beinahe jeder einmal ran. Designierte Kronprinzen wie Fabio Quartararo zeigten Schwächen, während Underdogs wie Franco Morbidelli oder Mir plötzlich konstant überzeugen konnten. 2021 werden sich die Machtverhältnisse nach dem chaotischen Vorjahr konsolidieren - davon bin ich überzeugt. An der Spitze ist dann aber nicht mehr für jeden der 15 Podestkandidaten aus dem Vorjahr Platz.
Strecken & Teams vor harter Prüfung
Neben sportlichen Belangen, geht es aber am Verhandlungstisch von Dorna, IRTA, FIM und diversen Sponsoren auch um organisatorische: Wirtschaftlich zeigt die Corona-Krise vielerorts erst jetzt ihre hässliche Fratze und bei vielen Unternehmen ist die Portokasse für den "Spielplatz Motorsport" auf Jahre leer. Ein Umstand, der neben den Fahrern auch Teambesitzer hart trifft. Vor allem in den kleinen Klassen könnte das für den einen oder anderen zum Überlebenskampf werden.
Doch auch lieb gewonnene Rennstrecken fallen der Corona-Krise zum Opfer. In Brünn musste bereits der Stecker gezogen werden, da in Tschechien kein Geld mehr für die notwendige Sanierung des Traditionskurses aufgetrieben werden kann. Mit acht Strecken aus dem aktuellen Kalender läuft der MotoGP-Vertrag mit Saisonende aus - darunter auch der Sachsenring. Wie viele Betreiber noch ein (oder gar zwei?) Jahr(e) mit keinen oder geringeren Zuschauereinnahmen über die Runde kommen, ist eine der wichtigsten Fragen dieser Saison. Kommt die Dorna angeschlagenen Veranstaltern entgegen oder muss man sich neuen GP-Events auf Retorten-Strecken ausliefern, um wirtschaftlich erfolgreich agieren zu können?
Neben dem Rennkalender könnten in den kommenden Monaten auch alte Teamstrukturen aufbrechen. Suzuki und Aprilia haben das neue Hersteller-Abkommen über eine verpflichtende MooGP-Teilnahme bis 2026 noch nicht unterschrieben. Weil noch unklar ist, ob man die Kundenteam-Pläne in diesen wirtschaftlich turbulenten Zeiten tatsächlich in die Tat umsetzen kann.
Noch ist aber nicht einmal klar, welche privaten Rennställe 2022 überhaupt mit dabei sein werden. Dem Gresini-Team kann man nach dem Tod seines Gründers Fausto Gresini nur alles Gute wünschen und die Daumen drücken, während der Avintia-Rennstall endgültig in das VR46-Imperium eingegliedert werden könnte. 24 Motorräder - je vier von sechs Herstellern - sind der Traum von Carmelo Ezpeleta für seinen kommenden Fünf-Jahres-Plan der Post-Corona-Ära.
Die schnellste MotoGP der Geschichte
Indes nimmt der technische Fortschritt in der Motorrad-Königsklasse munter seinen Lauf. 2021 sehen wir die wohl schnellsten MotoGP-Bikes, die es je in der Weltmeisterschaft gab. Aufgrund der eingefrorenen Motor-Entwicklung haben die Ingenieure die Aerodynamik als neues Hauptspielfeld entdeckt.
Das neue Wettrüsten führte bereits bei den Testfahrten dazu, dass in Katar Topspeed- und Runden-Rekord pulverisiert wurden. Die MotoGP ist 2021 somit ein absoluter Höllenritt - auf vielen Ebenen ins Ungewisse. Vielleicht schaut die Motorrad-WM am Ende des Jahres ganz anders aus als jetzt. Ich bin in jedem Fall gespannter als je zuvor. Ihr auch?
diese MotoGP Nachricht