Eigentlich war Stefan Bradl als Experte für ServusTV zum MotoGP-Rennwochenende an den Sachsenring gereist. Nach dem ersten Freien Training der Königsklasse am Freitagvormittag sollten sich Bradls Pläne aber schlagartig ändern. Franco Morbidelli hatte nach seinem Sturz vor zwei Wochen in Assen, bei dem er sich einen Mittelhandknochen brach, FP1 bestritten, musste aber einsehen, dass ein weiterer Einsatz beim Deutschland-GP keinen Sinn macht.

Somit war sein Platz im Marc-VDS-Honda-Team frei und Bradl als Hondas MotoGP-Testpilot natürlich erste Wahl. Er bekam den Zuruf von HRC und bestritt nur wenige Stunden später im zweiten Freien Training erstmals seit 2016 eine MotoGP-Session. Bradl schlug sich gut, wurde 21. und verlor nur gut anderthalb Sekunden auf die Bestzeit.

"Es war wirklich ein Sprung ins kalte Wasser", schmunzelte Bradl nach dem Training. "Alles ist sehr schnell gegangen. Ich musste noch einige Formulare ausfüllen und Dinge bezüglich der Lizenz und mit der Dorna klären, um überhaupt hier fahren zu dürfen. Ich hatte gerade noch Zeit ein paar Nudeln zu essen und dann ging es direkt los. Es ist eine kuriose Aktion, aber ich freue mich sehr darüber."

Zumindest eine kleine Vorwarnung hatte Bradl schon, wie er zugibt. "Die Umstände waren natürlich klar", spielt er auf die immer noch übel mitgenommene Hand Morbidellis an. "Alberto (HRC-Renndirektor Puig, Anm.) hat mich informiert, dass ich meine Sachen mitnehmen soll, falls ich sie brauche. Dass es jetzt tatsächlich so gekommen ist, ist natürlich verrückt, aber so läuft es hier manchmal. Solche Situationen kommen nicht oft, dementsprechend habe ich keine Sekunde gezögert und sofort zugesagt."

Bradl übertrifft eigene Erwartungen

Bradl wirkte nach dem Training dann auch überaus glücklich, wieder Rennen anstatt Testfahrten bestreiten zu können. "Ich habe mich nicht auf die Zeiten konzentriert, wollte einfach Spaß haben. Es war auch wirklich lustig da draußen", bestätigt er. "Vor deutschem Publikum zu fahren ist immer ein tolles Gefühl."

Zuletzt bestritt Bradl 2016 ein MotoGP-Rennwochenende am Sachsenring, Foto: Aprilia
Zuletzt bestritt Bradl 2016 ein MotoGP-Rennwochenende am Sachsenring, Foto: Aprilia

Ganz ausblenden konnte Bradl die Zeitenliste aber freilich nicht. "Sonst wäre ich ja kein Rennfahrer geworden", lacht er. "Mein Ziel war es, das Motorrad nicht in den Kies zu werfen und Zeiten im Bereich von 1:23.5 zu fahren. Das ist mir schon im ersten Run gelungen." Am Ende stand für Bradl eine 1:22.457 zu Buche, womit er nur 0,152 Sekunden langsamer war als Repsol-Honda-Pilot Dani Pedrosa und über drei Zehntel schneller als Teamkollege Tom Lüthi. "Ich habe es anscheinend noch nicht verlernt. Das freut mich natürlich", resümierte Bradl zufrieden.

Bradl: Sachsenring-Punkte wie ein Sieg

Allzu große Erwartungen will Bradl dennoch nicht aufkommen lassen: "Wir wissen alle, dass das Level in der MotoGP unheimlich hoch ist. Ich will hier deshalb nicht Superman spielen und die Top-Ten anvisieren. Das Ergebnis ist mir wirklich egal. Wenn am Sonntag ein Punkt rausspringt, ist das wie ein Sieg für mich, ansonsten fahre ich halt mit uns genieße es. Für mich ist es Training, eine Vorbereitung auf meine Wildcard in Brünn - nichts anderes."

Erstmals seit 2016 wieder im Rennbetrieb MotoGP zu fahren, ist für den ehemaligen Moto2-Champion nämlich eine beträchtliche Umstellung. "Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung, wie ich das Rennen überstehen soll", schmunzelt er. "Es strengt schon sehr an, wenn du keine Routine mehr hast. Dir fehlt einfach die Konstanz. Ich muss so aufpassen, dass ich überhaupt die Bremspunkte erwische. So etwas muss man normalerweise gar keine Aufmerksamkeit schenken, das läuft alles automatisch ab. So kostet es sehr viel Energie. Wir können aber natürlich noch am Setup arbeiten. Jetzt haben wir einfach ein bisschen was zusammengewürfelt, aus Dingen die ich gerne mag und Sachen, die das Team verwendet."

Ein Spaziergang wird das Rennen am Sonntag für Bradl mit der 2017er-Honda des Marc-VDS-Teams aber auf keinen Fall. "Das ist kein einfaches Motorrad, so viel steht fest", weiß er. "Es ist eine Honda und fühlt sich auch so an. Die Bremsstabilität ist gut, das Turning dafür schlecht."