Neun Rennen ist die MotoGP-Saison 2016 alt, neun Rennen sind noch auszutragen. Wir haben also Halbzeit in der Königsklasse. Höchste Zeit, um die aktuelle WM-Tabelle mal genau unter die Lupe zu nehmen und zu schauen, für den die Chancen auf den WM-Titel 2016 am besten stehen. Im Kampf um die Krone stehen: Marc Marquez, Jorge Lorenzo und Valentino Rossi.

Der Führende: Marc Marquez

Wirft man einen flüchtigen Blick auf den derzeitigen WM-Stand hat Marquez im Moment definitiv alle Fäden in der Hand. Er führt die Wertung mit glatten 170 Punkten an und liegt damit 48 Zähler vor Verfolger Lorenzo. Rossi hat er mit 59 Zählern sogar noch weiter hinter sich zurück gelassen. Kein Wunder, so oft auf dem Podium wie Marquez stand in dieser Saison noch keiner seiner Konkurrenten. Der direkte Vergleich: Rossi vier Podien, Lorenzo fünf und Marquez acht. Im Klartext bedeutet dass, das Marquez im Gegensatz zu seinen Konkurrenten jede Chance auf Punkte optimal genutzt hat. Von den Podien abgesehen, hat der WM-Führende außerdem noch in jedem Rennen Punkte gesammelt, und wenn es schmale drei nach dem Fiasko in Le Mans waren. Lorenzo hat bereits zwei Nuller kassiert, Rossi sogar drei. Am Ende der Saison kann der WM-Titel mit drei kleinen Punkten Stehen und Fallen. Das weiß auch Marquez selbst: "In zwei Rennen kann man viele Punkte verlieren, aber ich habe viele gewonnen. Ich war nicht immer der Schnellste auf der Strecke, aber der konstanteste."

Lag Marc Marquez zur Halbzeit vorn, wurde er bisher immer Weltmeister, Foto: Tobias Linke
Lag Marc Marquez zur Halbzeit vorn, wurde er bisher immer Weltmeister, Foto: Tobias Linke

Auch die Statistik spricht für Marquez. Zweimal wurde der 23-Jährige Weltmeister, zweimal verwandelte er dabei die Halbzeit-Führung in einen Titel. Jetzt ist ihm dieses Kunststück wieder gelungen. Doch auch wenn die Statistik eine nette Spielerei ist, gegen einfache Fakten kommt sie nicht an. "Ich werde natürlich versuchen, der Statistik zu folgen", lacht der WM-Führende deshalb auch. "Wenn man mit Vorsprung führt, ist man zuversichtlich, aber man muss auch vorsichtig sein." Als Beispiel führt der Honda-Pilot dann die Saison 2014 an, das Jahr seines zweiten WM-Titels. Die erste Hälfte dominierte er wie kaum ein anderer zuvor: zehn Rennen, zehn Siege. Doch danach war Schluss, es folgten zwei Stürze in Folge und nur eine schmale Punkte-Ausbeute. Auch wenn die knapp 50 Punkte ein gutes Polster für kleine Fehler sind, mit zwei Nullern sind sie dahin und die Konkurrenz vorn.

Trotz des Drucks nimmt Marquez die Sache aber mit Humor: "Wir müssen gut haushalten, aber 48 Punkte Vorsprung ist besser als 48 Punkte zurückzuliegen", erklärt er lachend. Haushalten ist das Stichwort für den Honda-Piloten. Noch ist er im Vorteil und den gilt es zu behalten, will er den dritten WM-Titel ohne vermeidbares Drama über die Bühne bringen. Es sind noch neun lange Rennen auszutragen, wenn Marquez seine erwachsene Herangehensweise an die Saison 2016 aufrechthalten kann, könnten die Chancen für ihn schlechter stehen.

Der Verfolger: Jorge Lorenzo

Die einen meinen, es ist die komfortabelste Position im WM-Kampf, für die anderen ist es die unangenehmste. Wie Lorenzo seine derzeitige Lage als Marquez' Verfolger einschätzt, ist schwer zu sagen. Seine Ergebnisse der letzten Rennen lassen auf letzteres schließen. In drei Rennen sammelte der amtierende Weltmeister gerade einmal sieben Punkte. In der Lage des Verfolgers ein Horror-Szenario, vor allem, wenn der Führende mit satten 45 Zählern nach Hause geht. Während Marquez fleißig Punkte hamsterte, ließ das Glück Lorenzo im Regen stehen. Im wahrsten Sinne des Wortes, denn die verregneten WM-Läufe in den Niederlanden und Deutschland waren mit Sicherheit nicht der Motivations-Schub, den man als Verfolger brauchen kann. Doch wo kein Antrieb von außen kommt, schafft Lorenzo ihn eben selbst: "Die Weltmeisterschaft ist für uns noch nicht beendet, bevor wir keine mathematische Möglichkeit mehr haben, zu gewinnen. Alles kann passieren, das haben wir am Sachsenring gesehen."

Leider ging dieses 'Alles' für den Yamaha-Piloten eher nach hinten los. Im vergangenen Jahr schien das Glück eher auf Lorenzos Seite. Vier Siege in Folge von Jerez bis Barcelona, acht weitere Podien im restlichen Laufe der Saison. Der 29-Jährige war einfach nicht zu schlagen. Auch der große Knatsch zwischen Rossi und Marquez hat Lorenzos WM-Kampf sicher nicht geschadet. In diesem Jahr hat sich das Glück jedoch verabschiedet. Sicher waren es die Wetter-Umstände der letzten Rennen, die Lorenzo so aus der Bahn geworfen haben, konnte er doch bisher schon drei Siege einfahren. Doch wo Marquez im Regen brillierte, ist der Yamaha-Pilot nach seinem schweren Sturz in Assen einfach zu verkopft, sobald Tropfen auch nur in die Nähe seines Visiers kommen. Um Weltmeister zu werden, muss man aber auch mit solchen Bedingungen umgehen können.

In den Niederlanden und Deutschland lief es nicht optimal für Jorge Lorenzo, Foto: Yamaha
In den Niederlanden und Deutschland lief es nicht optimal für Jorge Lorenzo, Foto: Yamaha

Lorenzos Hoffnungen liegen nun in den letzten neun Saison-Rennen. 48 Punkte Rückstand sind keine Kleinigkeit, aber auch nicht unmöglich aufzuholen. Kleine Fehler können in der Königsklasse schon fatale Folgen haben und zumindest die Statistik sagt, dass es Marquez keine Saison ohne Nuller halten kann. Ergreift Lorenzo diese Chancen, kann er die Lücke auf den Führenden schneller schließen, als Marquez lieb sein dürfte. "Man hat schon in anderen Weltmeisterschaften gesehen, dass der Führende mit großem Vorsprung die WM verloren hat", erinnert Lorenzo, als wolle er die Welt nochmal daran erinnern, dass 48 Punkte kein unüberbrückbares Hindernis sind und Marquez eben doch nicht perfekt ist. Im Gegensatz zu ihm, wenn die Bedingungen stimmen. Denn bei Sommer und Sonnenschein führt auch 2016 immer noch kein Weg am Präzisions-Uhrwerk Lorenzo vorbei.

Der Unberechenbare: Valentino Rossi

Den schwierigsten Stand in Sachen WM-Titel 2016 hat sicher Rossi. Während Marquez noch verteidigt und Lorenzo zumindest in Schlagdistanz ist, ist der Doktor mit 59 Zählern Rückstand eher der Underdog im WM-Kampf. Doch wenn die MotoGP-Welt in den Jahren nach Rossis Yamaha-Comeback eines gelernt hat, dann das man den GOAT einfach immer auf der Rechnung haben muss. Gerade, wenn alles hoffnungslos verloren scheint, schlägt Rossi zu und belehrt die Welt eines Besseren. Eine bessere Motivation wird Rossi auch nicht kriegen können, gibt er nach dem GP von Deutschland doch selbst zu: "Ich habe Fehler gemacht. Die ersten neun Rennen, habe ich nicht alle Punkte gesammelt, die möglich gewesen wären."

Die größten Fehler waren vor allem Austin und Assen, in denen der Yamaha-Pilot aus dem Rennen kegelte. Den Motorschaden in Mugello kann man Rossi natürlich kaum ankreiden. Auch wenn ihm dadurch wieder 25 Punkte flöten gegangen sind, während Marquez ebenso viele und Lorenzo immerhin 20 Zähler sammelte. "Es ist sehr schwer. Der Abstand zu Marc ist hart", seufzt Rossi deshalb. Auch ein Blick in die Vergangenheit lässt die Gegenwart nicht rosiger aussehen. In den letzten zwei Jahren war Rossi bis zuletzt Titelanwärter - und zweimal blieb es beim Titel des Vize-Weltmeisters. An mangelnder Motivation, Siegfähigkeit oder ähnlichem liegt es beim Doktor nicht - was ist es also dann?

Valentino Rossi will die WM noch nicht verloren geben, Foto: Yamaha
Valentino Rossi will die WM noch nicht verloren geben, Foto: Yamaha

Ist es Pech oder sind es die Nerven, die bei der scheinbar ewig währenden Jagd auf den zehnen WM-Titel einfach blank liegen? Wirklich wissen kann es nur Rossi selbst. Doch wie in so vielen Momenten vorher, stehen die Chancen nicht schlecht, dass der Maestro alle wieder eines besseren belehrt, wenn die Welt ihn schon lange abgeschrieben hat. Nach neun Rennen gibt er sich jedenfalls kämpferisch: "Man muss alles geben und dann wird abgerechnet", schickt er eine Warnung Richtung Marquez und Lorenzo. Dieser Kampf ist noch lange nicht zu Ende.