Das MotoGP-Projekt von KTM hat in den vergangenen Wochen so richtig Fahrt aufgenommen. Ende Oktober wagte man mit dem Prototypen RC16 das erste Rollout am Red-Bull-Ring in Spielberg, einen Monat später folgte der erste richtige Test in Valencia. Das Team spulte dabei mit den Testpiloten Alex Hofmann und Mika Kallio sowohl in Österreich als auch in Spanien ohne Probleme jeweils gut 500 Kilometer ab - eine überragende Bilanz, denkt man beispielsweise an die unzähligen Motorenplatzer von Suzuki oder Aprilia bei den Comebacks zurück.

"Das Rollout sieht in der Regel tatsächlich so aus, dass du aus der Box fährst und dann explodiert mal der erste Motor", schmunzelt KTM-Motorspotchef Pit Beirer im Gespräch mit Motorspot-Magazin.com. "Dann funktioniert die Elektronik nicht und du stehst die meiste Zeit in der Garage. Das ist noch nicht mal peinlich, sondern ganz normal. Wir sind beim Rollout direkt 500 Kilometer gefahren und bei den Testfahrten in Valencia noch einmal, haben sogar immer noch den ersten Motor drinnen. Wir sind daher echt sehr zufrieden und haben sogar einen kleinen Vorsprung gegenüber unseren eigenen Erwartungen."

Große Ungewissheit bei KTM

Selbst KTM, dass in der Vergangenheit noch jede Serie von der Motocross-WM bis hin zur Moto3 im Sturm erobert hatte, war mit Demut an das Projekt MotoGP herangegangen. "Wenn du so ein Bike baust, in einer Dimension, in der wir als Unternehmen noch nie waren und auch viele neue Leute im Team hast, bist du immer nervös", gibt Beirer zu bedenken. "Wir haben über ein Jahr an diesem Bike geplant und überhaupt nicht gewusst, was dabei herauskommt. Bei so einem Motorrad mit weit über 250 PS ist es nicht selbstverständlich, dass das Ding beim Beschleunigen wirklich gerade ausfährt und beim Einlenken auch stabil ist. Da steckt wahnsinnig viel theoretische Arbeit dahinter, bis das Baby auf eigenen Füßen steht. Dann siehst du erst, ob das Grundkonzept überhaupt stimmt."

Kallio bestätigte die Eindrücke von Hofmann, Foto: KTM
Kallio bestätigte die Eindrücke von Hofmann, Foto: KTM

Das scheint der Fall gewesen zu sein, zeigten sich doch sowohl Alex Hofmann als auch Mika Kallio nach ihren ersten Ausfahrten hochzufrieden mit dem Motorrad, was Beirer stolz bestätigt: "Ich traue mir zu sagen, dass wir 2017 in Katar ganz ordentlich aufgestellt sein werden. Wir haben jetzt ein fertiges Motorrad, mit dem wir uns auf die Elektronikabstimmung und die Sitzposition stürzen können. Das stufenlose Getriebe ist sehr aufwendig und funktioniert jetzt schon. Die Leistungsentfaltung des Motors stimmt. Wir müssen also nicht mehr in die Grundlagenforschung gehen, sondern können schon abstimmen."

Zwei Testteams mit Kallio und Hofmann

Diese Aufgabe werden vorerst noch Hofmann und Kallio - dessen Beinbruch vom Superprestigio in Barcelona bis zu den nächsten Tests im Februar verheilt sein sollte - übernehmen, die ab sofort in zwei getrennten Testteams arbeiten. "Mika geht mit seiner Truppe ganz bewusst in Richtung Performance, während ich mit meiner Truppe mehr im Hintergrund arbeite. Wir machen uns die Finger schmutzig", erklärt Alex Hofmann gegenüber Motorsport-Magazin.com. "Mika ist ja nach wie vor aktiver Rennfahrer und will in das Business auch wieder rein. Ich sortiere also im Vorhinein für ihn schon etwas aus und er kann beruhigt loslegen, weil er weiß, dass das Motorrad grundsätzlich funktioniert."

Den Größenunterschied von 14 Zentimetern zwischen ihm und Kallio sieht Hofmann dabei nicht als Problem. "Ich habe auch bei Aprilia schon erlebt, dass eine Maschine einem Leon Camier mit 1,86 Metern genauso passt wie Max Biaggi mit gefühlten 1,60. Es geht einfach darum, eine Basis zu haben, auf der sich jeder wohlfühlt."

Um das zu erreichen, werden Hofmann und Kallio im Testteam zukünftig weiteren Zuwachs erhalten. "Alex und Mika sind das Grundteam, wir haben aber auch den Plan, andere Piloten fahren zu lassen", verrät Motorsportchef Beirer. "Wenn wir beispielsweise drei Tage wo testen, kann am letzten Tag auf einem Bike Tom Lüthi oder ein junger, wilder Moto2-Fahrer, der das Messer zwischen den Zähnen hat, sitzen. Einfach um wachsam zu bleiben für andere Fahrstile, Vorlieben und Körpergrößen."

Kallio kitzelt die volle Leistung aus der RC16, Foto: KTM
Kallio kitzelt die volle Leistung aus der RC16, Foto: KTM

Diese Testfahrten mit externen Piloten sollen auch als eine Art Scouting für die Plätze als Einsatzfahrer in der Debütsaison 2017 dienen, wie Beirer erklärt: "Der Gedanke ist natürlich, im Test mal einen Moto2-Fahrer zu sichten, den man dann in die MotoGP mit hochnehmen kann. Mein Ziel wäre es, einen erfahrenen MotoGP-Fahrer und einen jungen, wilden Moto2-Fahrer unter Vertrag zu nehmen, um Routine und Tatendrang so zu kombinieren." Beirer bestätigt, bereits mit den Top-Five der abgelaufenen Saison, also Johann Zarco, Alex Rins, Tito Rabat, Sam Lowes und Tom Lüthi Kontakt aufgenommen zu haben. Der amtierende Weltmeister der mittleren Klasse hat es ihm aber besonders angetan: "Zarco ist sicher einer unserer Wunschkandidaten. Das können wir ganz offen sagen. Er entwickelt sich bei Aki Ajo im Team enorm und ist natürlich über unseren Dämpfungshersteller WP auch mit dem Konzern eng verbunden."

KTM noch in schlechter Verhandlungsposition

Logischerweise steht der Moto2-Champion aber nicht nur bei KTM ganz oben auf der Wunschliste. "Er wird auch von Top-MotoGP-Teams umworben", weiß Beirer. "Da kämpfen wir natürlich mit stumpfen Waffen, weil die anderen etwas vorweisen und wir nur in die Zukunft blicken können. Zwei Tests reichen wahrscheinlich nicht aus, um den bestmöglichen Fahrer zu kriegen. Die wollen nämlich echte Referenzzeiten aus Jerez oder Valencia sehen, die wir erst im Frühjahr liefern können. Deshalb ist es jetzt noch zu früh für uns, um sich auf einen Fahrer festzulegen. Da würden wir einen nicht so guten Piloten zu teuer einkaufen. Wenn wir noch mehr zeigen, haben die Fahrer auch mehr Vertrauen zu uns. Wir müssen sehen, wann wir den Sack zumachen können."