Es geht nach wie vor hoch her beim Thema Valentino Rossi gegen Marc Marquez. Kaum ein Fakt ist unumstritten, besonders die Tatsache, dass Rossi in Valencia aus der letzten Reihe starten muss und Marquez ungestraft davonkommt, stößt vielen Rossi-Fans sauer auf. Deshalb ist es wichtig, sich einmal die Details dieser Strafe anzusehen, und zwar einerseits die rein legale Seite und andererseits die moralische Bedeutung.

Die legale Seite: Rennleitung musste handeln

Betrachtet man die Angelegenheit rein nach dem Regelbuch der FIM, ist die Lage eindeutig: Ein Fahrer drängt einen anderen von der Linie und wird immer langsamer, es kommt zur Berührung und zum Sturz. Das ist "irresponsible riding" und wird je nach Schwere mit einer Strafe belegt. So erhielt zum Beispiel Karel Hanika, der Juanfran Guevara in Jerez zu Sturz brachte, fünf Strafpunkte, Hector Barbera dagegen, der im Warm-Up von Sepang mit Pol Espargaro kollidierte, erhielt einen Penalty Point und musste von ganz hinten starten, weil er bereits drei Punkte auf dem Konto hatte.

Bei Rossis Strafe wurde ein möglicher Fußtritt nicht berücksichtigt, aber, dass er absichtlich weit ging, um Marquez abzudrängen, was Rossi selbst ja unumwunden zugab. Auch wenn er den Spanier nicht zu Sturz bringen wollte, sondern nur stören, waren daher drei Strafpunkte angemessen, weil der Yamaha-Star so einen Sturz mindestens billigend in Kauf nahm. Beide Seiten legten Einspruch ein: Honda fand das Urteil zu milde, Yamaha fand das Urteil zu hart, beide Einsprüche wurden abgewiesen. Daher ist das Urteil endgültig.

Anders sieht es aus, wenn ein Fahrer einen anderen blockiert, aus welchen Gründen auch immer. Solange es dabei nicht zu gefährlichen Szenen kommt, ist das regelkonform. Deshalb gibt es keine Strafe für Marquez. Allerdings wurde laut Mike Webb bei den drei Penalty Points für Rossi berücksichtigt, dass er sich provoziert fühlte. Dass Rossi damit auf vier Strafpunkte kommt und in Valencia als Letzter starten muss, ist dabei für das Urteil der Rennleitung unerheblich. Jegliche Anfeindungen gegen die Rennleitung sind unbegründet, sie ist an das Regelwerk gebunden und musste handeln.

Moralisch gesehen: Niemand hat sich mit Ruhm bekleckert

Von der moralischen Seite her betrachtet, stellt sich die Angelegenheit in einem etwas anderen Licht dar. Beide Parteien haben sich absolut nicht mit Ruhm bekleckert. Sie haben sich wie kleine Kinder gegenseitig immer weiter provoziert, bis ihnen der Druck über den Kopf gewachsen ist. Wenn man einen lebensgefährlichen Sport betreibt, sollte man sich soweit unter Kontrolle haben, dass das nicht passiert - und da nehme ich jetzt weder Rossi noch Marquez aus.

Die Situation hätte nach der Pressekonferenz am Donnerstag nicht so eskalieren müssen, Foto: Milagro
Die Situation hätte nach der Pressekonferenz am Donnerstag nicht so eskalieren müssen, Foto: Milagro

Egal, ob man nun einen Fußtritt gesehen haben will oder ob Marquez mutwillig in die WM eingegriffen hat, den Schaden trägt am Ende der Sport davon. Klar, Rossi und Marquez leiden beide nicht unter mangelndem Ehrgeiz oder Ego, ansonsten wären sie auch nicht die genialen Rennfahrer, die sie sind. Aber sie haben genug Leute um sich, die sie eigentlich einbremsen sollten, wenn sie über das gesunde Maß hinauszuschießen drohen. Warum posaunt Emilio Alzamora herum, dass Marquez glaubt, Rossi habe ihn in Assen die WM gekostet, anstatt ihm ins Gewissen zu reden? Warum verkündet Lin Jarvis, er wolle keine Psychospielchen zwischen seinen Fahrern, aber nimmt sie nicht ausreichend ins Gebet, als es doch damit losgeht? Irgendwann war eine Eskalation unvermeidbar, Marquez blieb dabei eben gerade noch im Rahmen des Erlaubten, Rossi nicht, und ist nun der Leidtragende.

Absolut unnötig: Hasspostings und Verschwörungstheorien

Allerdings haben sich im Nachhall von Sepang auch nicht unbedingt alle Fans mit Ruhm bekleckert. Auf Social Media gibt es Hasspostings für jeden, der sich kritisch zu Rossis Manöver äußert. Gleichzeitig werden die spanischen Fahrer wüst beschimpft und mit schlechten Fotomontagen diskreditiert. Jemanden für seine Fahrweise oder sein Verhalten zu kritisieren, ist eine Sache - aber wenn ein Sportler mit homophoben Schimpfworten eingedeckt wird, ist eine Grenze überschritten. Im Übrigen sollten sich diejenigen, die derzeit mit unflätigen Beleidigungen um sich werfen, wohl einmal Rossis Äußerungen aus der Donnerstags-Pressekonferenz von Malaysia zu Gemüte führen:

Gleichzeitig werden auf Social Media die wildesten Verschwörungstheorien verbreitet. Sogar von einem spanischen Komplott gegen Rossi unter Federführung der Dorna ist die Rede. Dazu will ich zwei Punkte zu bedenken geben: Jeder wird mir zustimmen, dass es der Dorna primär um eines geht: Geld. Am meisten verdient der MotoGP-Promoter aber, wenn Fanliebling Rossi seinen zehnten Titel einfährt. Mit einer Verschwörung gegen Rossi würde sich die Dorna selbst ins Knie schießen. Im Übrigen wäre ein Masterplan, der darauf gründet, dass man Rossi so lange ärgert, bis er etwas Dummes tut und man ihn dann bestrafen kann, kein besonders cleverer Schachzug. Hätte Rossi sein Temperament im Zaum gehalten, wäre der gesamte Plan auch schon gescheitert. Völlig lächerlich ist die Hypothese, dass sich Marquez, gleich einer Schwalbe im Fußball, absichtlich hat fallen lassen. Jeder, der selber Motorrad fährt und sich schon einmal hingelegt hat, wird mir zustimmen, dass dieser Gedanke vollkommen abwegig ist.

Wie soll es nun weitergehen?

Nachher ist man immer klüger, das ist in diesem Fall nicht anders. Aber hätte, wäre, wenn, bringt jetzt nichts, es ist nun einmal so geschehen und die Strafe ist endgültig. Eine ganz andere Frage aber ist, was die Beteiligten nun daraus machen. Vielfach wird vorgeschlagen, Rossi solle doch in Valencia gar nicht erst antreten. Das aber halte ich für die absolut verkehrte Lösung und ich bin fest davon überzeugt, dass ein Champion wie Rossi das auch nicht ernsthaft in Erwägung ziehen wird.

So etwas darf sich in Valencia nicht wiederholen, Foto: Milagro
So etwas darf sich in Valencia nicht wiederholen, Foto: Milagro

Stattdessen hoffe ich, dass Rossi in Valencia starten und allen beweisen wird, dass er des zehnten Titels wahrlich würdig ist. Es wäre nicht seine erste geniale Aufholjagd. Wenn es jemand schaffen kann, dann der Doktor. Immerhin ist noch lange nicht gesagt, dass Lorenzo in Valencia siegt, da hat mindestens Honda auch noch ein Wörtchen mitzureden. Es bleibt zu hoffen, dass allen, und zwar wirklich allen, Beteiligten ins Gewissen geredet wurde, damit sich Szenen wie in Sepang auf keinen Fall wiederholen.

Auf längerfristige Sicht, egal, wie es nun in Valencia ausgeht, sind jedenfalls meines Erachtens zwei Dinge nötig: Erstens eine präzise Regelung, was erlaubt ist und was nicht. Ab wann ist das Abdrängen von der Linie "irresponsible riding"? Dementsprechend sollte auch genau definiert werden, wie viele Strafpunkte es für welche Aktion gibt, so dass nicht auf Präzedenzfälle ausgewichen werden muss. Zweitens müssen die Teamchefs - auf allen Seiten - ihren Fahrern klar machen, dass niemand Psychospielchen sehen will. Nicht unter Teamkollegen, aber auch nicht unter Konkurrenten. Was im Endeffekt jeder Fan sich wünscht, sind spannende, aufregende, aber faire Duelle, die rein auf der Rennstrecke ausgefochten werden.