Champion Valentino Rossi macht es möglich: Wenn ein Fahrer viermal hintereinander Weltmeister wird, trägt dies eigentlich nicht zur Steigerung der Dramatik bei – doch der begnadete Italiener schafft auch dieses Kunststück.

Nach seinem unerwarteten Titelgewinn 2004 bezieht die MotoGP-Weltmeisterschaft nun viel Spannung aus den Fragen, ob der Yamaha-Michelin-Star sein Motorrad weiter verbessern kann, ob sein neuer Teamkollege Colin Edwards ins Titelrennen eingreifen wird oder ob die ehrgeizigen Honda-Haudegen Sete Gibernau und Max Biaggi endlich zum großen Streich ausholen können. Eines eint die Titelkandidaten: Alle sechs von den japanischen Zweirad-Giganten Honda und Yamaha ausgestatteten Rennteams setzen auf Michelin-Reifen – und damit auf einen Partner, der in 32 Jahren 24 WM-Titel in der Königsklasse des Motorradsports eroberte. Aber mit den frisch zu Bridgestone gewechselten Italienern von Ducati lauert bereits ein Konkurrenz, welcher nicht nur den Reifenkrieg beleben möchte.

Waren zutreffende Vorhersagen für die Saison 2004 nach Valentino Rossis Markenwechsel von Honda zu Yamaha schon schwierig, so erübrigt sich der Versuch für die bevorstehende MotoGP-Spielzeit vollends: Die Leistungsdichte an der Spitze der "Formel 1 auf zwei Rädern" nimmt erneut zu – nicht zuletzt, da Honda alles daran setzen wird, den "verlorenen Sohn" zu besiegen.

Der weltgrößte Hersteller schickt zu diesem Zweck sieben Piloten ins Rennen, Konkurrent Yamaha hält mit vier Zweiradartisten dagegen. Insgesamt treten 2005 in der schnellsten Motorrad-Rennserie der Welt bei 17 Grands Prix auf vier Kontinenten bis zu 24 MotoGP-Protoypen von acht verschiedenen Herstellern an – Yamaha, Honda, Ducati, Kawasaki, Suzuki, KR-KTM, WCM-Blata und Moriwaki. Die rund 240 PS starken Geschosse steuert die Crème de la Crème des Rennsports: Acht amtierende oder ehemalige Weltmeister drehen an den elektronisch geregelten Gasgriffen der pfeilschnellen Prototypen. Nicht weniger als elf Starter haben bereits MotoGP- oder Superbike-WM-Siege errungen, weitere sechs Piloten waren in der 250er-WM siegreich.

Allein die Stars im Michelin-Kader vereinen mit Valentino Rossi (6), Max Biaggi (4), Colin Edwards (2), Marco Melandri und Troy Bayliss (je 1) nicht weniger als 14 WM-Titel auf sich. Motorrad-Rennchef Nicolas Goubert versteht dieses erlesene Aufgebot als eine weitere Verpflichtung, auch in diesem Jahr perfektes Material zu liefern: "Unser Ziel lautet, weiterhin so viel wie möglich zu lernen und zu gewinnen. Wir wollen die Position von Michelin als weltweit führender Hersteller von High-Performance-Motorradreifen unterstreichen." Der europäische Reifenspezialist steht derzeit bei 323 Siegen in der Königsklasse.

Honda eröffnet die Jagd auf Valentino Rossi

An Anwärtern auf die Siege 324 bis 341 mangelt es nicht: Der amtierende Champion Valentino Rossi will beweisen, dass er gemeinsam mit Cheftechniker Jeremy Burgess die Michelin-bereifte Yamaha YZF M1 noch weiter verbessern kann. Alles andere als die Titelverteidigung kommt für den populären Italiener nicht in Frage. Zwar gibt "Vale" bei der Marke mit den drei Stimmgabeln eindeutig den Ton an, als Kollegen im Werksteam erhält er 2005 jedoch einen ebenso ehrgeizigen wie selbstbewussten Piloten. "Texas Tornado" Colin Edwards kehrt zu seinem langjährigen Partner Yamaha zurück und gedenkt nicht, ein weiteres Jahr auf MotoGP-Siege zu verzichten. Die Michelin-Pneus sind dem zweimaligen Superbike-Weltmeister aus seiner jahrelangen Entwicklungsarbeit in SBK und MotoGP bestens bekannt.

Eine interessante Paarung ergänzt das Yamaha-Aufgebot im Satellitenteam von Hervé Poncharal, das ebenfalls auf Michelin vertraut: Der Franzose sicherte sich die Dienste des spanischen Draufgängers Ruben Xaus, der im Vorjahr auf der Kunden-Ducati Highlights setzen konnte. An seiner Seite fährt Landsmann Toni Elias, der in der 250-ccm-Weltmeisterschaft trotz seiner Körpergröße oft brillierte, und sich folgerichtig in der Königsklasse noch bessere Chancen ausrechnet.

Bei Honda schrillten nach dem "Rossi-Schock" der Vorsaison die Alarmglocken. Der Motorrad-Gigant hat die Honda RC211V, das vielleicht ausgereifteste Motorrad der Königsklasse, weiter verbessert und sein Fahreraufgebot umstrukturiert. Selbst das Debüt eines völlig neu konstruierten Dreizylinder-Modells, das handlicher und weniger durstig ist, wird von Experten nicht ausgeschlossen. Im Werksteam ist der Römer Max Biaggi die neue Nummer eins. Der doppelte Beinbruch nach Saisonende störte zwar die körperliche Vorbereitung des vierfachen 250er-Champions, bei den Vorsaisontests saß Biaggi aber bereits wieder auf der Fünfzylinder-Honda. In seinem Windschatten soll US-Boy Nicky Hayden den Durchbruch zum Siegfahrer schaffen.

Ernsthafte Titelambitionen hegt der nunmehr zweifache Vizeweltmeister Sete Gibernau, der weiterhin im Gresini-Team antritt und Werksmaterial erhält. Für seinen neuen Teamkollegen Marco Melandri geht es vor allem darum, nach sieglosen Yamaha-Jahren die große Chance bei Honda zu nutzen. Die Honda-Mannschaft von Sito Pons stellt dagegen so etwas wie das Seniorenheim der MotoGP dar, denn Alex Barros und Troy Bayliss haben die 30 längst hinter sich. Ihr Biss steht aber außer Frage: Der Brasilianer ist in jeder Saison für einen Sieg gut, und der wegen seiner wilden Fahrweise beliebte Ex-Superbike-Champion Bayliss wurde 2004 unter Wert geschlagen.

Der Geheimtipp der Saison 2005 aber tritt als Einzelkämpfer an: Makoto Tamada – der im Vorjahr mit zwei Siegen auf einem Wettbewerbsprodukt die totale Dominanz von Michelin verhinderte – wechselte eigens auf die französischen Pneus, um der erste japanische MotoGP-Weltmeister zu werden. Mit einer Honda RC211V und Michelin-Reifen besitzt er auf jeden Fall die technischen Voraussetzungen dazu.