So ratlos hat man Marc Marquez zuletzt gesehen, als er noch auf dem 2015er-Rahmen saß. 0,884 Sekunden Rückstand sind eine mächtige Ansage. Selbst sein Teamkollege Dani Pedrosa war im FP2 schneller als der amtierende Weltmeister, doch auch sein Rückstand fällt mit 0,841 Sekunden auf die Bestzeit von Jorge Lorenzo astronomisch aus, obschon dieser eigenen Angaben zufolge in Aragon nie sonderlich gut gewesen ist. Valentino Rossi, den man normalerweise an Freitagen irgendwo am unteren Ende der Top-10 suchen muss, lag eineinhalb Zehntel vor Pedrosa und zwei Zehntel vor Marquez. Und schließlich tanzte auch noch Bradley Smith beiden HRC-Piloten auf der Nase herum.

Faktor 1: Reifen

Öffentlich macht sich Repsol Honda bislang keine Sorgen. In der Presseaussendung wird darauf verwiesen, dass weder Pedrosa noch Marquez am Ende des zweiten freien Trainings auf frischen mittelharten Reifen wie sämtliche Yamaha-Piloten rausgegangen sind, sondern auf ihren alten, harten Bridgestones das Qualifying zu Ende gefahren haben. Das stimmt durchaus, beide Fahrer konnten sich hinten heraus nicht mehr steigern. Während die Yamaha-Piloten ihre besten Zeiten im letzten Stint dreht, stammt Marquez‘ Zeit aus dem zweiten Versuch, Pedrosas gar aus dem ersten.

Das Uhrwerk: Jorge Lorenzo gab allen zu denken - auch Valentino Rossi, Foto: Yamaha
Das Uhrwerk: Jorge Lorenzo gab allen zu denken - auch Valentino Rossi, Foto: Yamaha

Faktor 2: Setup/Zeitfaktor

Trotzdem bestimmte Unzufriedenheit das Honda-Lager: "Wir hatten einige Probleme mit dem Basissetup und auch beim Bremsen, so dass ich lange in der Garage bleiben musste, um sie beheben zu lassen", klagte Pedrosa. Ein sehr ungewöhnliches Problem für das sonst top-vorbereitete Honda-Werksteam. Marc Marquez wurde in der Presserunde noch deutlicher: "Ich kann mit dem diesjährigen Motorrad nicht so fahren wie im letzten Jahr. Ich kann mit der Motorbremse in diesem Jahr nicht so schön sliden."

Aus diesem Grunde musste Marquez seinen Fahrstil komplett verändern: Sauberer in die Kurven hineinfahren und zügiger hindurch, eine Kopie der Herangehensweise von Jorge Lorenzo. Zwar sei er gut darin, seinen Fahrstil umzustellen, doch ein ganzes Rennen hindurch könne er das nicht durchziehen, schüttelte der 22-Jährige den Kopf. Hinzu kommt: Da Honda die Weltmeisterschaft 2015 bereits abgeschrieben hat, läuft die Vorbereitung für 2016. Marquez wurde wie schon in Misano zum Testen einer neuen Schwinge abkommandiert. Hinzu kam Pedrosas Zeitverlust durch das falsche Setup, so dass kaum mehr Zeit für Experimente blieb. Erst aus diesem Grund wurde auf den neuen Reifen verzichtet.

Faktor 3: Testvorteil

Es gab am Freitag also deutliche operative Vorteile auf Seiten Yamahas. Der Grund ist simpel: Testfahrten. "Wir haben uns für Aragon als Teststrecke entschieden, weil wir hier in der Vergangenheit immer große Probleme mit der Yamaha hatten", sagt Rossi. Daher habe er bereits ein Basissetup gehabt. Lorenzo geht sogar noch weiter: "Theoretisch war das sogar bislang die schlimmste Rennstrecke für Yamaha." Das Yamaha-Werksteam hat also den Rückstand in Aragon mittels Testfahrten wettmachen können und profitierte am Freitag von einem Erfahrungsvorsprung.

Satelliten-Teams: Irreführendes Bild

Redding hatte auf seiner schnellsten Runde Verkehr, Foto: MarcVDS
Redding hatte auf seiner schnellsten Runde Verkehr, Foto: MarcVDS

Ein Blick auf die Zeiten der anderen Honda-Piloten scheint Honda-Probleme zu bestätigen: Zwar startete Scott Redding stark in den Tag mit Platz fünf im FP1, doch am Nachmittag verlor auch er an Boden und kam nicht mehr über Platz zwölf hinaus. Der Moto2-Weltmeister von 2013 zeigte sich aber nicht enttäuscht und schob den Grund auf den Verkehr. Cal Crutchlow hingegen war deutlich frustrierter - über sich selbst. Nachdem er nicht über Rang 13 hinauskam, sagte er direkt: "Es liegt nicht daran, dass die Honda nicht auf diese Strecke passen würde." Seine schwache Position liege einzig und allein an ihm selbst, schließlich habe er dasselbe Material wie Dani Pedrosa.

Die Kunden-Yamahas hingegen funktionierten ausgesprochen gut. Tech-3-Star Bradley Smith machte nach seinem bärenstarken zweiten Platz in Misano gleich mit Rang drei weiter. Wo Marquez hadert, vermeldet Smith deutliche Fortschritte: "Wir haben bei der Motorbremse und der Traktionskontrolle einige Schritte nach vorn gemacht." Der Brite reitet momentan ohnehin auf einer Welle des Erfolgs.

Analyse: Honda nicht abgeschlagen

Doch wie groß ist der Abstand zwischen Yamaha und Honda wirklich? Ein Blick auf die Rundenzeiten des ersten Stints, als das Reifenmaterial dasselbe war, zeigt, dass er gar nicht so groß ausfällt - wenn überhaupt. Hinweis: Wir haben hier aufgrund von Jorge Lorenzos außergewöhnlicher Fähigkeit, die erste Runde gleich am absoluten Limit zu fahren, die Rundenzeiten des Mallorquiners eine Runde nach hinten verschoben. Er fuhr seine Rundenzeit, die wir hier in Runde zwei notiert haben, also in seiner ersten, die Zeit, die hier aus Runde drei vermeldet wird, in der zweiten usw. Das ermöglicht eine bessere Vergleichbarkeit mit den anderen Piloten, die sich Schritt für Schritt ans Limit tasten.

Rd.LorenzoRossiPedrosaMarquez
1(1:48.949)1:49.7841:49.8291:50.813
21:48.9491:49.3271:49.4851:49.705
31:48.6991:48.8841:48.6421:48.789
41:48.7491:50.8031:48.3581:48.703
5-1:49.140-1:48.884

Die HRC-Piloten sind durchaus in Reichweite, wie die Analyse zeigt. Dani Pedrosa drehte sogar im Eröffnungsstint die schnellste Runde aller Piloten. Marquez zauberte wie Lorenzo drei 48er-Zeiten hin, die dazu fast auf einem Niveau mit diesem liegen und schneller sind als diejenigen von Freitags-Muffel Rossi. Da die Honda-Piloten eigenen Angaben zufolge noch Luft nach oben beim Setup haben, wäre es sicherlich zu früh, die Repsol-Flinte ins Korn zu werfen. Zumal Yamaha hier bereits wegen der Erfahrungen aus den Testfahrten kaum mehr Spielraum nach oben hat.