Klar, die Pizza schmeckt in Italien einfach besser. Cappuccino auch. Pasta sowieso. Motorrad fährt in Bella Italia auch jeder. Warum? Tja, gute Frage. Bessere und mehr MotoGP Fahrer als wir Deutschen haben die Italiener auch. Und zwar nicht nur den Herren in Gelb, wie man am Dreifach-Podest der Italiener in Silverstone gesehen hat.

An der besseren Organisation der Italiener im Vergleich zu uns Deutschen kann es auf jeden Fall nicht liegen. Das hat der niedliche Verkehrsstau am Sonntag nach dem Misano-Rennen deutlich gezeigt. Überhaupt Misano: 92.000 Menschen am Rennsonntag auf den Tribünen, dazu unglaubliche 6.000 Fahrerlager-Karten im kleinsten Paddock des MotoGP-Kalenders. Man muss Chaos gut finden, um das zu mögen.

Derartige Begeisterung ist aber kein Wunder: Nicht nur Rossi kommt aus der Gegend, auch viele andere. Enea Bastianini zum Beispiel aus Rimini. Der gewann am Sonntag zum ersten Mal einen Weltmeisterschaftslauf. Diese Gegend produziert WM-Fahrer wie sonst kein Landstrich auf der Welt. Weil alle der Gallionsfigur, dem Doktor, nacheifern. Das tat auch Marco Simoncelli. An den leider Verstorbenen erinnern etliche Monumente und Gedenkstätten. Und auch die wohl MotoGP-verrückteste Pizzeria der Welt.

Kult-Pizzeria im Simoncelli-Stil

In Misano Adriatico ist mittlerweile das Restaurant Hochey zu einer Kult-Pilgerstätte für MotoGP-Fans aus der ganzen Welt geworden und erklärt uns ordnungsliebenden Deutschen ganz gut, was uns zu einer MotoGP-Supermacht fehlt. Der große Vale hat hier in jungen Jahren gerne Pizza gegessen und eben auch Marco Simoncelli. So bildet eine Art Bike-Schrein den Mittelpunkt des Restaurants (siehe Video).

Direkt neben der Küche thronen drei Bikes. Fahrfertig! Zwei Zweitakt-Raketen und eben eine Fireblade älteren Baujahrs im Marco-Simoncelli-Design. Dazu unzählige Fotos des Wirtes Paolinio mit alten und jüngeren Zweiradhelden, sowie Devotionalien von allen möglichen Fahrern. Alvaro Bautista hatte in diesem Jahr zum Beispiel mindestens zweimal am Nachmittag benutzte Knieslider im Gepäck, um sich im stets überfüllten Lokal einen Platz zu organisieren.

Unsere Erklärungsversuche, warum in Misano die MotoGP den so boomt, hätten auch in erster Linie um Marco Simoncellis Gedenkstätten gehen können. Oder wir hätten über Tavullia berichten können. Diese kleine Gemeinde, nur zwölf Kilometer von Misano entfernt, ist mittlerweile ein begehbares Museum geworden. Weil Valentino hierher kommt und weil seine Trainingsranch dort steht. Ebenfalls richtig crazy.

Im Rossi-Mekka Tavullia steppt der Bär

Tavullia war am Wochenende der MotoGP oftmals wegen Überfüllung geschlossen. Wer in den Fanshop wollte, wusste über Wartezeiten von über einer Stunde zu berichten. Nur um einen Fanartikel des Großmeisters zu erstehen! Die gelbe 46 ist mittlerweile ein Markenzeichen und produziert Merchandising-Artikel mit 13 Millionen Jahresumsatz. Nur für Rossi. Nebenbei produziert VR46 auch die Shirts, Kappen und was sonst noch so anliegt für die härtesten Konkurrenten. Wie Marquez. Und auch Lorenzo. VR46 ist also auch eine Wirtschaftsmacht. Da kommt kein Fußballer, ja noch nicht einmal Ferrari ran.

Rossis Fans haben ihr Territorium auch in Tavullia markiert, Foto: Edgar Mielke
Rossis Fans haben ihr Territorium auch in Tavullia markiert, Foto: Edgar Mielke

Verrückt. Wie Paolino im Hochey in Misano. Bei ihm schmecken Pizza und Pasta extrem gut. Und sind auch noch günstig. Besagter Paolino trägt mittlerweile seinen Wohlstandsbauch voller Stolz und Inbrunst. Weil er durch seine Kultpizzeria ein heimlicher Star der MotoGP geworden ist. Denn auch wenn man sich fragt, wie Paolinos Crew in all dem Chaos den Überblick beim Servieren behält: Das Essen schmeckt und die Getränke sind günstig. Auch das Birra de Paolino mit dem Konterfei des Hausherren auf den Flaschen und Krügen. Einfach Kult.

Und einfach der beste Erklärungsversuch für die Begeisterung einer ganze Region und ihrer nirgendwo sonst zu findenden Verrücktheit für MotoGP. Die schönste Nebensache der Welt? Nein, weit gefehlt! MotoGP ist Lebensmittelpunkt. Was deutlich wird, wenn es langsam in Richtung 22.20 geht. Die Massen, die vor dem Restaurant auf einen Tisch warten, vermischen sich langsam aber sicher mit Motorrad-Pilgern aus der ganzen Welt.

MotoGP-Begeisterung auf Italienisch

Wer zum ersten Mal da ist, versteht die Welt nicht mehr. Dann Auftritt Paolino: Applaus. Nicht im edlen Zwirn, sondern in Turnhose und T-Shirt besteigt der Zampano seinen Motorrad-Schrein. Und startet die mit offenen Auspuffen ausgestattete Honda. Staunen über so viel Verrücktheit bei Neulingen. Die Simoncelli-Replica brabbelt im Standgas vor sich hin. Der Laden und das Publikum sind schon auf Betriebstemperatur, der Motor der Honda nach zirka fünf Minuten auch. Pizza und Pasta werden weiter serviert. Unzählige Handys und Kameras werden gezückt.

Die Fan-Massen sind nirgendwo frenetischer als in Misano, Foto: Edgar Mielke
Die Fan-Massen sind nirgendwo frenetischer als in Misano, Foto: Edgar Mielke

Paolino tritt auf. Kleiner Gruß zum Himmel, ja, Marco kriegt das dort oben sicher mit. Und dann Vollgas... Wahnsinn der Sound. Offene Auspuffanlage mit Flammen bis zum Pizzaofen! Eine MotoGP-Sinfonie mit einem Könner am Gasgriff. Das gibt es doch gar nicht, mitten im Lokal. Paolino gibt Gas und die Honda singt, nein kreischt. Die Menge johlt und applaudiert. Die Flammen, die aus dem Auspuff schlagen, lassen die Temperaturen steigen.

Ein Traum für einen MotoGP-Fan. Gutes Essen, garniert mit echtem Racesound. Und das jeden Abend um 22.20. Siehe auch unser kleines Wackelvideo. Wer so durchgeknallt sein darf wie Paolino, der liebt MotoGP. Ein Land, welches solche Verrücktheiten erlaubt, bringt auch verrückte Rennfahrer hervor. Denn Paolinos Pizzeria Hochey liegt direkt neben der örtlichen Polizeiwache. Und keinen stört es. Im Gegenteil: Alle feiern mit, wenn einer der ihren gewonnen hat. Alle fiebern mit, wenn MotoGP gefahren wird - egal wo auf der Welt.

Und wer verstehen will, warum es aus Bella Italia immer wieder MotoGP-Champions geben wird, der sollte einfach nur nach Misano Adriatico fahren und bei Paolino im Hochey eine Pizza bestellen. Am besten abends um 22.20 Uhr. Gänsehaut inklusive und bei uns nicht vorstellbar. In diesm Sinne: Bon Appetito.