Schmerzen, Krämpfe, Taubheit, der Fahrer kann seine Maschine nicht mehr kontrollieren. "Der Druck beim Bremsen ist unglaublich", erklärte es Cal Crutchlow. "Dieses Problem zerstörte mein Rennen", beschwerte sich Stefan Bradl darüber. Casey Stoner beschrieb es 2010: "Die schnellen Wechsel sind das größte Problem, beim Bremsen war es dann nicht mehr so schlimm, aber aus den Kurven heraus hatte ich einfach nicht genug Kraft beim Umlegen. Man kann das schwer erklären, es ist als ob man etwas extrem straff um den Arm wickelt, sodass man ihn nicht wie gewohnt belasten kann."

Jeder kennt es, jeder hasst es: das chronische Belastungs-Kompartment-Syndrom, besser bekannt als Arm-Pump. Ein weit verbreitetes Phänomen im Motorradsport und durch die schweren Maschinen besonders in der MotoGP ein Problem. Stoner, Crutchlow, Bradl, Toni Elias, Chris Vermeulen, John Hopkins, Nicky Hayden und zuletzt Dani Pedrosa mussten sich bereits damit herumplagen. Während Stoner eine Operation ablehnte, legte sich Bradl sogar schon mehrfach unters Messer.

Stoner wollte einst nicht auf den OP-Tisch, Foto: Milagro
Stoner wollte einst nicht auf den OP-Tisch, Foto: Milagro

Was ist Arm-Pump?

Arm-Pump ist ein Kompartment-Syndrom, das durch eine Überbeanspruchung herbeigeführt und zur Verletzung wird. Damit bildet es im Motorradrennsport eine Ausnahme, schließlich sind die meisten Verletzungen traumatischer Natur. Eine komplexe Koordination von Händen und Handgelenken ruft das Syndrom beim Motorradfahren hervor: wenn ein Fahrer mit seiner Hand am Lenker zugreift, ziehen sich die Muskelgruppen unter- und oberhalb des Unterarms zusammen. Für einen stärkeren Griff wird das Handgelenk automatisch verlängert. Diese Anspannung führt zu steigendem Druck im Muskelgewebe. Dadurch kann das Blut nur schwer zirkulieren. Dazu kommt auf dem Motorrad der Griff ans Gas, an Kupplung oder Bremse, wodurch die Muskelkontraktion verstärkt wird.

Oft wird das Syndrom auf technisch anspruchsvollen Kursen, auf denen häufig beschleunigt und abgebremst wird, verstärkt, da auf Hochgeschwindigkeitsabschnitte viele enge Kurven folgen und die Hand damit kaum zur Ruhe kommt. In den kurzen Beschleunigungsphasen hat der Unterarm kaum Zeit, sich zu entspannen. Ergonomie spielt dabei eine sehr große Rolle, die Positionen von Lenker und Hebeln sind entscheidend. Auch der Druck auf Kupplung und Bremse ist wichtig: bei Karbon-Scheibenbremsen ist die benötigte Bremskraft beispielsweise geringer.

Arm-Pump tritt hauptsächlich bei harten Bremsmanövern auf, Foto: Aprilia Racing
Arm-Pump tritt hauptsächlich bei harten Bremsmanövern auf, Foto: Aprilia Racing

Um die Muskeln befinden sich Faszien, weiße dünne Knorpel, die jeden Muskelstrang umfassen, wie die Haut um eine Bockwurst. Die Faszien sorgen dafür, dass die Muskeln fest sitzen. Sie sind extrem stark, aber nicht sehr elastisch. Da sie kaum dehnbar sind, können sie schon bei den kleinsten Schwellungen Druck verursachen. Wenn die Muskeln beim Gas geben und Bremsen auf dem Motorrad anschwellen, üben sie Druck auf die Faszien aus, die sie umfassen. Diese sind nicht dehnbar und deshalb wird der Unterarm hart wie Stein. Wenn der Druck dann weiter ansteigt, können auch Blutgefäße kollabieren, wodurch der Blutfluss gestoppt wird.

Kleine Venen kollabieren dabei schon bei geringerem Druck als größere Arterien. Oft wird der Blutfluss in den Venen unterbrochen, das Blut in den Arterien fließt aber weiter durch die Faszien, kann aber durch die Venen nicht mehr transportiert werden. Der Druck wird erneut stärker. Wenn der Druck so weit steigt, dass er stärker ist, als der Druck in den Arterien, dann kommt es zu einer schmerzhaften Durchblutungsnot im Muskel. Sobald die Fahrer vom Motorrad steigen, lässt der Druck langsam nach und die Symptome verschwinden.

Wie äußert sich die Verletzung?

Die Schmerzen der Fahrer hängen von der Stärker der Verletzung ab. Sie spüren eine starke Spannung im Unterarm, eine Schwellung und Schmerzen beim Bewegen der Muskulatur. Wenn die Muskeln im unteren Teil des Unterarms in Mitleidenschaft gezogen wurden, führt das Syndrom zu veränderten Empfindungen auf der Handfläche, aber auch am Zeige-, Mittel- und Ringfinder - genau die Finger, die viele Fahrer zum Kuppeln oder Bremsen nutzen. Der kleine Finger funktioniert hingegen oft tadellos, da der Nerv, der vom Unterarm in den kleinen Finger führt, meist weniger stark betroffen ist als die mittleren Nerven. Der Daumen und die anderen Finger werden meist in einer leicht geknickten Position gehalten. Das Beugen und Strecken des Ellenbogens ist oft schmerzhaft, allerdings noch weniger schlimm als das Bewegen von Fingern oder Handgelenk.

Einfachste Fingerbewegungen können durch Arm-Pump sehr schmerzhaft werden, Foto: Milagro
Einfachste Fingerbewegungen können durch Arm-Pump sehr schmerzhaft werden, Foto: Milagro

Sind die Muskeln im oberen Teil des Unterarms betroffen, sind die Empfindungen in Fingern und der Hand meist normal, weil der betroffene Nerv (Nervus Interosseus Posterior) keine sensorischen Komponenten besitzt. Dafür werden Daumen, Finger und Handgelenk oft taub, wenn diese ausgestreckt werden. Hand und Handgelenk werden grundsätzlich meist ausgestreckt. Das Einknicken der Finger führt dann zu unerträglichen Schmerzen. "Im rechten Unterarm entstehen so etwas wie Krämpfe. Die Beweglichkeit der Hand und der Finger wird dann plötzlich eingeschränkt. Fingerbewegung und Handbewegung sind dann nicht mehr so schnell, es geht auch teilweise das Gefühl dafür verloren, ob die Vorderradbremse schon maximal gezogen ist oder wie schnell ich sie gerade loslasse. Es entsteht auch ein Gefühl der Taubheit", beschreibt Bradl.

Wie kann Arm-Pump behandelt werden?

Oft versuchen die Piloten sich zunächst mit Physiotherapie zu behelfen. Dabei wird der Unterarm so massiert, dass sich die Faszien dehnen können. Ziel ist es, Muskel und Faszie in Einklang zu bringen. Beide Komponenten sollen harmonieren. Mittels Faszientechniken werden diese gedehnt, weich massiert, teilweise erwärmt und für eine gute Durchblutung gesorgt.

Hilft diese Behandlung nicht, muss eine Operation her. Der Eingriff ist für die meisten Orthopäden ein Klacks und dient zur Entlastung der Faszien im Unterarm. Der Arzt schneidet die Muskel-Faszie auf und entfernt einen Streifen davon. Damit wird der Knorpel-Raum geöffnet. Somit kann sich der Muskel im Unterarm ausdehnen. Meist bestimmt der Fahrstil der Piloten, welche Faszien genau betroffen sind. Die Operation kann ambulant vorgenommen werden, einen Gips müssen die Patienten nicht tragen.

Crutchlow ließ sich gleich an beiden Armen operieren, Foto: Twitter / Cal Crutchlow
Crutchlow ließ sich gleich an beiden Armen operieren, Foto: Twitter / Cal Crutchlow

Der Eingriff an sich dauert lediglich 10 bis 15 Minuten. Der Einschnitt in die Faszie ist nur etwa zwei Zentimeter groß, der Schnitt im Unterarm hat oft nur eine Länge von drei bis vier Zentimetern und wird nach dem Eingriff vernäht. Normalerweise kann ein Pilot nach zwei Wochen wieder mit seinem Training beginnen und nach vier Wochen wieder fahren. Wie Pedrosa und Bradl bewiesen haben, ist eine Rückkehr schon nach neun Tagen möglich. Scott Redding fuhr 2012 nach nur fünf Tagen in der Moto2 wieder aufs Podest.

Warum treten häufig später wieder Probleme auf?

Während der Operation oder auch danach kann der Muskel an der Schnittstelle teilweise herausquillen und dann verkleben. Hin und wieder verklebt auch das Blut und die Wunde an der Faszie vernarbt. Wenn das passiert, hat der Muskel erneut keine Chance, sich innerhalb der Faszie zu bewegen und der Fahrer bekommt erneut starke Schmerzen. Allerdings ist der Heilungsverlauf unterschiedlich, da jeder Mensch eine verschieden starke Narbenbildung hat.

Die Verklebung des Muskels kann zwar leicht behoben werden, resultiert aber häufig später in einer weiteren Operation. Das Risiko, dass die Schmerzen im Unterarm nach einem Eingriff zur Behandlung des chronischen Belastungs-Kompartment-Syndroms wieder eintreten, ist enorm hoch. Aus diesem Grund war auch Stoner nie ein Fan des Eingriffs: "Wir müssen einfach das Training ändern. Damit bauen wir die Muskeln anders auf, sodass alles trainiert wird und das wird schon helfen. Es ist besser ein Triathlet zu sein, als ein Bodybuilder. Die Muskeln eines Triathleten kann man über einen längeren Zeitraum strapazieren. Ich werde alles versuchen, um eine Operation zu vermeiden, ich glaube nicht, dass sie auch nur irgendeinen Nutzen at. Wie viele Leute hatten schon eine OP und dann wieder eine? Es hilft nur für einen kurzen Zeitraum, dann müssen sie wieder hin."

Die Ursache ist oft der Fahrer selbst. Neben einem umgestellten Training und Physiotherapiesitzungen stellen betroffene Piloten oft einfach ihren Fahrstil um und versuchen, sich weniger am Lenker festzukrallen. Allerdings kann das Syndrom nach einer Operation aus unterschiedlichen Gründen auch an anderen Stellen wieder auftreten. Eine ideale Behandlungsmöglichkeit für jeden Fahrer scheint es nicht zu geben. Mit Physiotherapie kann viel erreicht werden. Die endgültige Entscheidung trifft aber der behandelnde Arzt oder der Fahrer selbst.

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