"Na, erkennen Sie die Rennstrecke?" Ulrich Schulz, der langjährige Motorenchef von BMW Motorsport, grinst verschmitzt, während ich vergebens versuche, die wohlklingende Rennmotor-Geräuschkulisse einer bestimmten Kurvenabfolge zuzuordnen. Keine Chance. Mist, hätte ich eigentlich wissen müssen, schließlich durfte ich selbst zu Beginn des Jahres ein paar schnelle Runden über die 5,73 Kilometer lange Streckenvariante des Daytona International Speedway im US-Bundesstaat Florida drehen.

Jenem magischen Ort, an dem BMW M Motorsport im Januar 2023 beim 24-Stunden-Rennen von Daytona nach 25 Jahren seine Rückkehr in den Prototypen-Sport feiert. In Vorbereitung auf das Debüt des BMW M Hybrid V8 erhielten wir bei der im Münchner Norden angesiedelten Heimat von BMW Motorsport vorab eine Klangprobe von einer Daytona-Simulation des LMDh-Rennwagens, den die Ingenieure unter absolutem Hochdruck zur Rennreife entwickeln.

Zwar scheitere ich beim 'Strecken-Hör-Quiz', doch der Sound des Motors kommt mir sehr bekannt vor. Namentlich V8, bestens vertraut aus vergangenen DTM-Zeiten, in denen sich BMW, Audi und Mercedes-Benz mit eigens entwickelten Tourenwagen-Prototypen beinharte Kämpfe bis an den grünen Tisch lieferten. Und ja, es stimmt: Der brandneue BMW-LMDh wird tatsächlich von einem alten DTM-Aggregat angetrieben!

Mit BMW-DTM Achtzylinder nach Le Mans

Bei der neuen Langstrecken-Kategorie, in der sich ab 2023 neben BMW auch Porsche, Cadillac und Acura engagieren und die ab 2024 mit Lamborghini und Alpine weitere prominente Marken begrüßt, haben die meisten Hersteller aus Zeit- und Kostengründen tief in die Trick- und Fundus-Kiste gegriffen. So auch BMW M Motorsport unter der Leitung von Ulrich Schulz, der seit 1986 wahrscheinlich jeden Rennmotor aus der reichen Motorsporthistorie der Münchner schon einmal auf dem Prüfstand gehört hat.

Beim neuesten Werk, mit dem BMW ab 2023 in der US-Sportwagenserie IMSA und ab 2024 bei den 24 Stunden von Le Mans antreten wird, fiel die Wahl interessanterweise auf den Achtzylinder-Saugmotor, der in den Saisons 2017 und 2018 im BMW M4 DTM zum Einsatz gekommen war. Die interne Bezeichnung - bitte merken - lautete 'P66/1'. Eine durchaus bemerkenswerte Entscheidung, schließlich hätte BMW mit dem 2,0-Liter-Vierzylindermotor des BMW M4 DTM aus den Turbo-Jahren 2019/2020 sowie mit dem P63-Achtzylinder-Turbomotor aus dem BMW M8 GTE einige Alternativen in petto gehabt.

Der im M Hybrid verbaute Achtzylinder stammt ursprünglich von der DTM-Generation 2017/2018, Foto: Andreas Beil
Der im M Hybrid verbaute Achtzylinder stammt ursprünglich von der DTM-Generation 2017/2018, Foto: Andreas Beil

Beim speziell für die DTM-Bedürfnisse gefertigten Vierzylinder-Turbo sorgten sich Schulz und Co. mit Blick auf die bevorstehenden Langstreckenrennen allerdings um die Haltbarkeit. "Ein schöner, kleiner, leichter Motor", erklärt das BMW-Urgestein. "Es wäre machbar gewesen, aber das Konzept passt nicht so ins Auto." Und beim ausschließlich für den BMW M8 GTE gefertigten Motor scheiterte es schlichtweg am Gewicht. Schulz: "Ein reiner Rennmotor, der nur einen Nachteil hat: Er ist groß und zu schwer für das LMDh-Projekt. Der Motor alleine ohne das ganze Umfeld wiegt schon 180 Kilo. Damit lagen wir himmelweit über dem, wo wir hätten hinkommen sollen."

Stattdessen soll es der 'olle' V8-Motor aus alten DTM-Zeiten auf den Langstrecken dieser Welt richten. Dazu ein einheitliches Hybridsystem von Bosch, Einheitsgetriebe von Xtrac und ein LMP2-Chassis aus der Palette von Partner Dallara. Von außen betrachtet, könnte man nun schnell auf die Idee kommen, dass in den neuen LMDh-Boliden von BMW und Co. nur wenig Innovation drinsteckt.

Turbolader verstärken ursprüngliche DTM-Power

Bei näherer Betrachtung sieht die Angelegenheit allerdings anders aus. Die Entwicklung liest sich mehr wie ein technologisches Abenteuer, denn: Tatsächlich haben die BMW-Ingenieure dem DTM-Motor mittels Adaption zweier Turbolader ein völlig neues Leben eingehaucht. Ein moderner Renn-Frankenstein aus München.

Die 'künstliche Beatmung' des Motors war notwendig, um die per Reglement vorgegebene Systemleistung von 500 kW, also etwa 640 PS, und das theoretische Leistungspotenzial von rund 700 PS abbilden zu können. Der ursprüngliche 4-Liter-Motor aus dem P66/1 hätte sich in diesen Bereichen schwergetan. "Wir hätten eine Größenordnung von 5 Litern gebraucht", erklärt Motoren-Experte Schulz. "Dazu hätte es sehr grundlegende Änderungen am Gesamtmotor gebraucht, auf gut deutsch gesagt, wäre das ein komplett neuer Motor gewesen. Das war aus Zeit- und Kostengründen keine Option."

Nun kann man sich selbst als Laie ausmalen, dass die Hinzunahme von zwei Turboladern weitreichende Konsequenzen für einen reinen Saugmotor nach sich zieht. So wurde der Bi-Turbo Motor anstelle der damals in der DTM vorgeschriebenen Saugrohreinspritzung auf einen Direkteinspritzer umgebaut. Ansaugsystem, Pleuel, Ventiltrieb, Steuergerät und Co. wurden ebenfalls überarbeitet, dazu Zylinderblock und Zylinderköpfe in der BMW-Gießerei in Landshut neu gegossen. Der Öltank wanderte von hinten nach vorne, Kupplung und Kupplungsausrücker sitzen jetzt direkt am Motor.

Herauskam in der ersten Ausbaustufe ein großflächig überarbeitetes Aggregat mit der folgerichtigen Bezeichnung 'P66/2'. Und hier war noch längst nicht Feierabend, schließlich trägt die finale Spezifikation für den Test- und Renneinsatz des BMW M Hybrid V8 den Namen 'P66/3'. Die Entwicklung verlief zeitlich überlappend, um die Erkenntnisse aus dem Interims-Motor auch für die spätere Integration des einheitlichen Hybridantriebs nutzen zu können.

"Parallel dazu lief die Beschaffung der Teile an", sagt Schulz. "Das ist extrem herausfordernd in diesen Zeiten. Teilweise konnten wir uns aus einem Materialvorrat bedienen, der noch aus Formel-1-Zeiten stammt und den wir Gott sei Dank nie verkauft haben." Auch im leicht angestaubten DTM-Teileregal bedienten sich die Ingenieure während der ersten Entwicklungsphase.

Erstmaliger Motorenstart auf Formel-1-Prüfstand

Im März 2022 lief der Motor für das LMDh-Projekt erstmals auf dem Prüfstand. Der stammt ebenfalls aus F1-Zeiten, bevor der Vorstand in München Ende 2009 den Stecker zog. Der flexibel ausgelegte Prüfstand kann wahlweise nur den Motor oder auch einen gesamten Antriebsstrang abbilden. Allein die korrekte Kalibrierung des Prüfstands auf den stark überarbeiteten Bi-Turbo-Motor habe laut Schulz zwei Monate Zeit veranschlagt.

Der V8 Hybrid wurde erstmals auf dem ehemaligen BMW Formel-1-Prüfstand angelassen, Foto: BMW
Der V8 Hybrid wurde erstmals auf dem ehemaligen BMW Formel-1-Prüfstand angelassen, Foto: BMW

Ende Juni 2022 wurde der Motor samt Hybridsystem erstmals im Testfahrzeug angelassen, beim sogenannten 'Fire-Up'. Der von Fans und Medien stets mit großem Interesse beobachtete Rollout stieg am 25. Juli dieses Jahres bei Partner Dallara in Varano de Melegari. Bei der Motoren-Mannschaft war erst einmal Durchatmen angesagt nach der herausfordernden Entwicklungsphase. "So ein Motor hat 3.900 Teile, 1.100 davon sind verschieden", rechnet Schulz vor. "Für diesen Motor haben wir 420 neue Zeichnungen angefertigt."

Inzwischen hat der BMW M Hybrid V8 zahlreiche Testkilometer auf europäischen Rennstrecken gesammelt, außerdem in den USA, also dem ersten Einsatzgebiet ab 2023. Die enorme Entwicklungsarbeit hinter den Kulissen dürfte - wie üblich im Motorsport - nur noch ein Thema werden, falls Zuverlässigkeitsprobleme auftreten. Im Fokus der Fans stehen nun vorweg augenscheinlich erkennbare Features wie die Beleuchtung der ikonischen Front-Nieren, die Licht mittels eines nano-aktiven Lichtwellenleiters erzeugt, der durch einen Laser aktiviert wird.

Und natürlich die Fahrer, die BMW M Motorsport Ende September samt der Renn-Lackierung in Los Angeles vorgestellt hat. Den aktuellen Werksfahrern Philipp Eng, Augusto Farfus, Nick Yelloly und Connor De Phillippi sowie Daytona-Unterstützung Colton Herta wird die Ehre zuteil, den BMW M Hybrid V8 mit seinem 'alten' DTM-Motor in eine neue Ära des Langstreckensports zu führen.

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