Dieses Interview erschien in Ausgabe 86 unseres Print-Magazins. Am Ende des Jahres veröffentlichen wir traditionell einen kleinen Teil unserer Print-Artikel kostenfrei auf der Website. Viel Spaß beim Lesen!
MSM: Welche Rolle spielt der Motorsport aktuell für die Marke Lamborghini?
Rouven Mohr: Der Motorsport ist eines der Kernstücke unserer Marke und aus mehreren Gründen absolut essenziell für das Unternehmen. In erster Linie sind wir ein Hersteller von Sportwagen. Deshalb ist es wichtig, unsere Performance konstant unter Beweis zu stellen. Zu zeigen, dass wir in der Lage sind, unsere Rennautos kontinuierlich weiterzuentwickeln. Aber auch der Transfer von der Rennstrecke auf die Straße ist immer ein wichtiger Punkt für Lamborghini. Außerdem haben wir in den vergangenen Jahren eine starke Basis für unseren Kundensport aufgebaut, dazu das GT-Programm und in Zukunft das LMDh-Projekt. Wir betrachten das als eine Art Pyramide, um unseren Kunden nahe zu sein und eine zusätzliche Erfahrung bieten zu können.
Lamborghini steigt 2024 in die neue LMDh-Kategorie ein und trifft dort unter anderem auf Porsche, BMW und auch die WEC-Hypercars von Toyota, Ferrari und Co. Was führte zu diesem Schritt?
Giorgio Sanna: LMDh bietet uns eine großartige Gelegenheit, mit unserer gesamten Kundensport-Plattform weiter zu wachsen. Vor allem können wir aus technologischer Sicht mit Blick auf den Hybridantrieb vieles durch das LMDh-Engagement lernen. Aus unserer Sicht wird das LMDh-Auto in den kommenden Jahren das Hybrid-Rennauto, das wir einsetzen werden. Es stellt den Höhepunkt unserer Markenstrategie dar.
Rouven Mohr: Außerdem besteht hier eine starke Verbindung zwischen den Motorsport-Aktivitäten und den Straßenautos. Unsere kommunizierte Unternehmensstrategie sieht eine Elektrifizierung und Hybridanteile vor. Aufgrund der Unternehmensgröße, aber auch wegen unserer generellen Herangehensweise ist eine der großen Stärken von Lamborghini, dass wir nicht zu sehr unterteilen. Giorgio ist Teil des Entwicklungsteams und gleichzeitig involviert in die Weiterentwicklung unserer Straßenfahrzeuge. Wir führen gemeinsame Test-Sessions durch.
Die Elektrifizierung von Lamborghini böte sicherlich ausreichend Stoff für ein separates Interview... Wie kann aber Lamborghini seine Kompetenz unter Beweis stellen, wenn in allen LMDh-Autos ein einheitliches Hybridsystem verbaut wird?
Rouven Mohr: Mit Blick auf die Hardware haben Sie Recht. Die Interaktion zwischen dem Motor und dem Hybridsystem ist aber genauso wichtig. Wenn wir über Straßenautos sprechen, glaube ich fest daran, dass künftig vor allem bei Sportwagen das Wissen über den Energiefluss einen Unterschied ausmachen kann. Deshalb ist dieser Aspekt fundamental für unsere Serienautos. Denn was wir nicht betreiben wollen, ist eine Art 'Greenwashing'. Unsere Hybridautos haben auch auf der Straße eine Mission: die Performance und Emotionen für den Kunden zu verbessern. Natürlich gibt es eine Reduzierung des CO2-Ausstoßes, aber wir wollen nichts machen, was nicht unseren Markenwerten entspricht.
Das globale Sportwagen-Konzept mit LMDh, LMH, WEC mit der Hypercar-Klasse, oder IMSA mit seiner GTP-Kategorie klingt verwirrend. Glauben Sie, dass die Fans das alles verstehen werden?
Giorgio Sanna: Ich denke schon, ja. Die Fans sind eine Balance of Performance seit mehr als zehn Jahren aus dem GT3-Sport gewöhnt. In der Prototypen-Kategorie wird es ähnlich sein. Und wir dürfen nicht vergessen, dass rund 70 Prozent des Feldes aus LMDh-Autos bestehen wird. Die IMSA-Serie ist wichtig für uns, weil Nordamerika unser wichtigster Markt ist und wir dort sehr etabliert sind. Die WEC ist eine große Herausforderung für uns. Aber das lieben wir und auch die 24 Stunden von Le Mans sind eines unserer Ziele.
Glauben Sie wirklich, dass ein LMDh-Auto aus der IMSA die 24 Stunden von Le Mans und ein Hypercar aus der WEC das 24h-Rennen Daytona gewinnen kann?
Giorgio Sanna: Ich denke, es gibt ein gemeinsames Interesse aller involvierten Hersteller und Promoter, das darin liegt, Erfolg zu haben. Dass Hypercars gegen LMDh-Autos antreten werden, so etwas hat es seit mehr als 30 Jahren nicht mehr gegeben. Wir haben jetzt die Gelegenheit, ein neues und historisches Kapitel im Motorsport aufzuschlagen, das ist fantastisch. Das müssen wir gemeinsam schützen und entwickeln.
Rouven Mohr: Ich verstehe ja die Diskussionen über die Balance of Performance, weil es so viele unterschiedliche Konzepte gibt. Sie alle auf jeder Rennstrecke auf ein gleiches Niveau zu heben, ist nicht einfach. Das verstehen wir, aber das gehört nun einmal zum Motorsport dazu.
Ist es ein Vor- oder Nachteil, ein Jahr später als einige andere LMDh-Hersteller einzusteigen?
Rouven Mohr: Wie überall im Leben gibt es nicht nur Vorteile oder Nachteile. Meine persönliche Meinung: Dass Porsche sich um die Entwicklung der Basiskomponenten kümmert, ist ein Vorteil. Wir haben deutlich geringere Kapazitäten, das macht also Sinn. Andererseits müssen wir den Erfahrungsnachteil gegenüber Herstellern, die 2023 einsteigen, natürlich aufholen.
Lamborghini ist Teil der VW-Gruppe. Während sich die Konzernschwestern Porsche und Audi ursprünglich auf ein gemeinsames Chassis von Multimatic und Motorenkonzept geeinigt hatten, scheint Lamborghini sein eigenes Ding in der LMDh-Klasse zu machen. Warum?
Rouven Mohr: Ich verstehe diese Sichtweise von außerhalb. Tatsächlich geschieht alles in Abstimmung. Eine Stärke der VW-Gruppe besteht darin, dass sie die Mission aller Marken verstehen und ihnen ein gewisses Level an Freiheiten lassen. Anhand der Fakten haben wir entschieden, dass wir mit Ligier einen starken Chassispartner haben und er in unserer Konstellation die bessere Wahl ist. Ich würde auch nicht sagen, dass unser Ansatz kostenintensiver ist.
Lamborghini entwickelt ein LMDh-Auto, Ferrari ein Hypercar mit größeren technischen Freiheiten. Besteht in Italien eine ähnliche Rivalität wie hierzulande zwischen den deutschen Autobauern?
Giorgio Sanna: Es ist anders und am Ende des Tages gehen wir unseren eigenen Weg. Wir verfolgen unabhängig von anderen Wettbewerbern unsere Ziele. Sicherlich zählt Ferrari zu den wichtigen Wettbewerbern, aber wir haben großen Respekt vor jedem. Letztendlich sind wir die Rookies, ähnlich wie einst im GT3-Sport, aber wir wissen, was zu tun ist.
Rouven Mohr: Es wäre falsch, zu sagen, dass wir den Wettbewerb nicht beobachten, um die Gründe dahinter zu verstehen. Jede Marke muss aber ihre eigene Identität erkennen und dann diesem Pfad folgen. Die Geschichte auch im Automobilbereich hat mehrfach gezeigt: Wenn man nur den Trends folgt, hat man selbst keinen Erfolg. Ferrari hat seine Strategie, und wir haben unsere.
Mit DTM-Halbzeitmeister Mirko Bortolotti und Andrea Caldarelli hat Lamborghini bislang zwei Fahrer für das LMDh-Projekt vorgestellt. Wir haben gehört, dass Robert Kubica der Fabrik in Sant'Agata einen Besuch abgestattet haben soll...
Giorgio Sanna: Ich kann sagen, dass Robert Kubica stolzer Besitzer eines Lamborghini Huracan STO ist. Das war nur ein Besuch, wir haben eine sehr gute Beziehung zueinander.
Die DTM war stets eine von deutschen Herstellern geprägte Rennserie. Seit dem Wechsel auf das GT3-Reglement mischen internationale Marken mit. Welchen Stellenwert hat die DTM für Lamborghini?
Rouven Mohr: Die DTM ist sehr wichtig. Ich habe großen Respekt vor Gerhard Berger, dass ihm eine Art Wiederbelebung gelungen ist. Die DTM ist sehr konkurrenzfähig und wir wollen auf diesem Top-Level mitspielen. Es gibt viele unterschiedliche Marken wie die aus Deutschland oder Ferrari, das ist eine coole Basis für die Fans. Der deutsche und der europäische Markt sind wichtig für uns und sicherlich ist die DTM auch aus medialer Sicht attraktiv, um unsere Kompetenz im Motorsport zu beweisen. Wir haben uns der DTM fest verpflichtet.
Lamborghini bringt 2023 ein Evo-Kit für den Lamborghini Huracan GT3 auf den Markt. Erwarten Sie, dass noch mehr Kundenteams in die DTM einsteigen?
Giorgio Sanna: Ich gehe davon aus, dass unsere aktuellen Teams ihre Autos mit dem Evo-2-Paket ausrüsten werden. Wir führen Gespräche bezüglich unseres Rennprogrammes für 2023. Unsere Firmenstrategie sieht vor, in allen wichtigen Meisterschaften präsent und konkurrenzfähig zu sein - das schließt natürlich die DTM mit ein.
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