Nachdem er seine Formel-1-Karriere 1997 beendet hatte, begann Gerhard Berger ein neues Kapitel im Rennsport und wurde 1998 BMW-Motorsportdirektor - gemeinsam mit Dr. Mario Theissen. Das Duo bereitete damals die Rückkehr von BMW in die Formel 1 vor. Aber schon ein Jahr später feierten sie gemeinsam mit dem BMW-Einsatzteam Schnitzer aus Freilassing und dem legendären BMW V12 LMR den bis heute einzigen Gesamtsieg bei den 24 Stunden von Le Mans.

Der Sportwagen-Prototyp BMW V12 Le Mans Roadster (LMR) wurde für Langstreckenrennen und dabei insbesondere für Le Mans entwickelt und war Nachfolger des bis 1998 eingesetzten BMW V12 LM. Der neue Prototyp war besonders auf Haltbarkeit und Effizienz bezüglich des Kraftstoffverbrauchs ausgelegt. Dabei lag das Hauptaugenmerk vor allem auf Zuverlässigkeit. Vorgabe der Verantwortlichen war, zuvor die doppelte Renndistanz in Le Mans von rund 10.000 Kilometern schadensfrei absolvieren zu können, um damit Komponentenwechsel zu vermeiden.

Ein erfolgreiches BMW-Debüt

Die Chassisentwicklung (beim Siegerauto die Nummer 003/99) von Williams stand unter BMW-Verantwortung, war aber unabhängig von den Vorbereitungen der Formel-1-Zusammenarbeit. Der Motor des BMW V12 LMR basierte auf dem bis 1998 eingesetzten Triebwerk des BMW S70 B61 V12 aus dem McLaren F1 GTR, der bereits 1995 mit dem Trio Yannick Dalmas, JJ Lehto und Masanori Sekiya in Le Mans erfolgreich war. Drei Jahre später (1998) fielen beide Werks-BMW beim 75-jährigen Bestehen des Le-Mans-Klassikers schon vor dem Ende der vierten Rennstunde in den Runden 41 und 66 mit Radlagerschäden frühzeitig aus. Gerade deshalb wurde bei BMW Motorsport im Hinblick auf 1999 großer Wert auf Haltbar- und Zuverlässigkeit gelegt und der Prototyp auf den Kopf gestellt.

Das sollte sich auszahlen, denn schon bei seiner Rennpremiere am 20.03.1999 feierte das BMW Motorsport Team Schnitzer beim Saisonauftakt der American Le Mans Series (ALMS), dem 12-Stunden-Rennen in Sebring, mit dem Trio Tom Kristensen, JJ Lehto und Jörg Müller den Gesamtsieg. Grund genug, knapp drei Monate später optimistisch nach Le Mans zu reisen, um dort auch bei der doppelt so langen Renndistanz zu bestehen.

Die 67. Auflage des legendären 24h-Rennens hatte gleich aus mehreren Gründen Historisches zu bieten. Der völlig unerwartete BMW-Erfolg gegen die starke Konkurrenz wurde von drei schweren Unfällen überschattet, die das Mercedes-Werksteam veranlasste, ihre fliegenden CLR-Prototypen vor und während des Rennens zurückzuziehen. Und mit dem überraschenden Podiumsplatz von Audi bei seiner Le-Mans-Premiere begann eine bemerkenswerte Erfolgsgeschichte, die in dieser Form nur Porsche vorweisen kann.

Der Vorjahres- und Rekordgewinner (16 Gesamtsiege) selbst verzichtete auf eine Teilnahme, weil ein neues Reglement in Kraft trat und die bisherige GT1-Klasse durch eine neue LMGTP-Kategorie (Le Mans GT Prototype) ersetzt wurde. Diese Änderung sorgte dafür, dass Hersteller und Teams praktisch zum Umbau oder einer Neuentwicklung von Sport-Prototypen in der "Königsklasse" gezwungen waren. Erst 2014 kehrte Porsche mit dem 919 Hybrid werksseitig nach Le Mans zurück.

Statt Porsche betrat VW-Konzernschwester Audi spektakulär die Le-Mans-Bühne, denn die Herren der vier Ringe sorgten mit gleich zwei Konzepten für Verwunderung: Die Audianer entschieden sich, sowohl mit offenen Spyder (R8R) sowie geschlossenem Prototyp (R8C) anzutreten. Auch Mercedes baute einen neuen Sportwagen (CLR), der den 1998 in der FIA-GT-Meisterschaft siegreichen CLK GTR ablöste.

Am 12. Juni 1999 nahmen 48 Sportwagen das Rennen zweimal rund um die Uhr auf, darunter mit Audi, BMW, Mercedes, Nissan, dem US-Kleinserienhersteller Panoz und Toyota die Rekordzahl von sechs Marken! Als klarer Favorit galt der japanische Autobauer Toyota mit seinen drei GT-One, die bis zu 380 km/h schnell waren.

Das mit Spannung erwartete Rennen enttäuschte die rund 200.000 Zuschauer in keiner Weise. Von Beginn an bestimmten Pole-Setter Toyota, Mercedes und BMW das Tempo an der Spitze, wobei die beiden Werks-V12 LMR schon früh durch ihren geringeren Kraftstoffverbrauch im Vergleich zur Konkurrenz auffielen und sich dadurch in der Führungsrunde hielten. Die beiden Schnitzer-BMW konnten mit einer Tankfüllung bis zu zwei Runden länger fahren.

Apropos auffallen: Die meiste Aufmerksamkeit lag auf dem AMG-Mercedes CLR wegen seiner Aerodynamik und dem damit verbundenen Problem, das sich schon im Qualifying auf dramatische Art und Weise zeigte, als Mark Webber am Streckenabschnitt "Indianapolis" mit seinem CLR in die Luft stieg und trotz Blindflug mit dem Schrecken davonkam. An einem neuen Chassis wurden anschließend Optimierungen vorgenommen, und unter anderem an der Front Winglets angebracht, um den Abtrieb zu erhöhen.

Trotzdem standen nicht alle drei AMG-Sportwagen am Start, obwohl sie sich für das Rennen qualifiziert hatten. Webber hatte seine "Flug-Show" nämlich im Warm-up fortgesetzt, was dazu führte, dass Motorsportchef Norbert Haug in Absprache mit Jürgen Hubbert, Mitglied des Vorstands der damaligen DaimlerChrysler AG, den Sportwagen mit der Startnummer #4 zurückzog und nur noch zwei der drei CLR am Rennen teilnahmen. An ihnen wurden weitere Modifikationen vorgenommen und die Fahrer angewiesen, anderen Konkurrenten im Windschatten über größere Bodenwellen nicht zu dicht zu folgen.

Als in der 75. Rennrunde auch Peter Dumbreck auf Platz zwei liegend mit der #5 vor der Indianapolis-Kurve Unterluft bekam, wie ein Flugzeug in die Höhe stieg, sich beim Flug spektakulär um die eigene Achse drehend überschlug und hinter den Leitplanken in Bäumen landete, zogen die Verantwortlichen unmittelbar danach die Reißleine und nahmen auch den letzten verbliebenen Prototyp aus dem Rennen. Zum Glück für die Fahrer blieb es wegen des damals schon hohen Sicherheitsstandards bei Prellungen.

Auch zwei der drei schnellen Werks-Toyota, die mit Ex-Le-Mans-Sieger Martin Brundle von der Pole Position gestartet waren schieden vorzeitig durch Unfälle aus, wobei Thierry Boutsen nach seinem schweren Hochgeschwindigkeitscrash in Runde 173 nach einer Kollision mit einem zu überrundenden Konkurrenten mit einem angebrochenen Rückenwirbel geborgen werden musste. Nach seiner Genesung beendete der Belgier seine Rennkarriere.

Im Morgengrauen führten die beiden Werks-BMW, die unter den Augen von Chefstratege und Teammanager Karl "Charly" Lamm wie ein Uhrwerk liefen, vor dem verbliebenen Toyota das Rennen an. Bis zu seinem Ausfall wegen eines Motorschadens lag auch noch der Nissan von Eric Comas, Michael Krumm und Satoshi Motoyama vor den Audis auf Podiumskurs.

Der BMW von Yannick Dalmasn, Pierluigi Martini und Joachim Winkelhock konnte das Rennen für sich entscheiden, Foto: Sutton
Der BMW von Yannick Dalmasn, Pierluigi Martini und Joachim Winkelhock konnte das Rennen für sich entscheiden, Foto: Sutton

Die Träume im BMW-Lager von einem möglichen sensationellen Doppelsieg wurden gegen 10:00 Uhr am Sonntagvormittag jäh beendet, als JJ Lehto vor dem Schwesterauto in Führung liegend nach einem technischen Defekt in den Porsche-Kurven verunfallte und der Finne gemeinsam mit seinen Teamkollegen Tom Kristensen und Jörg Müller nach 305 gefahrenen Runden aufgeben mussten.

Damit war der Weg zum erhofften Triumph frei für das zweite Schnitzer-Trio mit Yannick Dalmas, Pierluigi Martini und Joachim Winkelhock, das nach wie vor von der Effizienz und Zuverlässigkeit des V12 LMR gegenüber dem in der Pace überlegenen Toyota GT-One profitierte, aber immer noch nicht geebnet. Denn in der Endphase des Rennens kam das japanische Trio Ukyo Katayama, Toshio Suzuki und Keiichi Tsuchiya bis auf 40 Sekunden an den führenden BMW heran, auch dank der schnellsten Rennrunde (3:35.032 Minuten / Schnitt 227,771 km/h) von Katayama.

Aber auch der frühere japanische F1-Fahrer wurde unverhofft gebremst, als an seinem GT-One ein Reifenplatzer bei rund 300 km/h für Aufregung sorgte. Dank des fahrerischen Könnens von Katayama und auch ein wenig Glück, konnte er einen Einschlag in die Streckenbegrenzung verhindern und sich an die Box schleppen. Den dadurch entstandenen Rundenrückstand konnte das Toyota-Trio bis zum Fallen der Zielflagge nicht mehr wettmachen. Zum langersehnten ersten Le-Mans-Triumph des weltweit größten Autobauers fehlte dem japanischen Autobauer Toyota am Ende eine einzige Runde.

Nutznießer war BMW, die den nicht unbedingt zu erwartenden Gesamtsieg bei ihrem erst zweiten Le-Mans-Start der guten Performance, Haltbarkeit und vor allem dem günstigeren Kraftstoffverbrauch im Vergleich zu den Wettbewerbern zu verdanken hatten. Das siegreiche BMW-Trio Dalmas, Martini und Joachim Winkelhock absolvierte 365 Runden (4.982,974 km) und erzielte dabei auf dem damaligen 13,605 km langen Rennkurs einen Schnitt von 207,007 km/h. Für Dalmas war es der vierte (mit vier verschiedenen Herstellern Peugeot, Porsche, McLaren, BMW), für Martini und Joachim Winkelhock sowie auch für BMW der erste Triumph in Le Mans.

Kurios: Pierluigi Martini, der auf Anordnung von BMW-Teamchef Gerhard Berger die letzten 2,5 Stunden im V12 LMR absolviert hatte, sorgte für eine spontane Ehrenrunde, die damals aber gar nicht vorgesehen war. Der Italiener fuhr kurzerhand einen weiteren Umlauf, um sich, wie er später sagte, "von seinen Fans und den Streckenposten gebührend feiern zu lassen".

Haltbarer 12-Zylinder sichert BMW den Sieg

Sein Teamkollege Joachim Winkelhock sprach vom "schönsten und erfolgreichsten Tag" in seinem Rennfahrerleben, während Teammanager Lamm wie immer sehr bescheiden meinte: "BMW hat einen fantastischen Sportwagen entwickelt und wir haben einfach unseren Job gemacht. Wie überragend der war, hat Motorsport-Magazin damals mit Einverständnis von BMW Motorsport und dem Team in zweiter Reihe in der Schnitzer-Box 24 Stunden lang miterleben dürfen: Der siegreiche Rennwagen stand für Reifenwechsel und Nachtanken nur insgesamt 33 Minuten an der Box. Zum Vergleich: Der zweitplatzierte, schnellere Toyota verbrachte mehr als 47 Minuten an seinem Standplatz in der Boxengasse. Allein schon diese Differenz von rund 14 Minuten kostete den Japanern den Sieg.

Wie der überhaupt zustande kam, hat Dr. Ulrich W. Schiefer, der verantwortliche Gesamtprojektleiter für den Le-Mans-Einsatz von BMW Motorsport einmal bei einem Rundgang im BMW-Museum verraten. "Ein superstarker und haltbarer BMW 12 Zylinder, eine Aerodynamik zum an der Decke langfahren, ein ausgeklügeltes Fahrerwechselritual und wohl am wichtigsten, dass an diesem Le-Mans-Wochenende weltbeste Team Schnitzer von den Fahrern bis hin zum Reifenboy!" Zusammengefasst wurde Schiefer auch mit dem vielsagenden Satz zitiert: "Technik, die man nicht im Auto hat, kann auch nicht kaputtgehen."

Das Ende des erfolgreichen Projekts mit dem V12 LMR kam Ende des Jahres 2000. "Unsere Entscheidung greift mit sofortiger Wirkung", wurde BMW-Motorsportdirektor Dr. Mario Theissen in einer Pressemitteilung unmissverständlich zitiert. BMW könne zwar am Silvesterabend noch ein weiteres Rennen im australischen Adelaide bestreiten, der Dezember werde jedoch den Vorbereitungen für die kommende Saison gewidmet. "Der Zeitplan für die Entwicklung eines wettbewerbsfähigen Autos ist kurz, da es nach unserer Entscheidung Ende Oktober ist, mit dem BMW M3 in der ALMS GT-Kategorie zu konkurrieren."

Das Ende der nur zweijährigen BMW-Einsätze mit dem V12 LMR ging auch mit Wehmut einher. BMW und das Schnitzer-Team haben mit dem offenen Prototyp sieben Siege gefeiert sowie fünf zweite und acht dritte Plätze erzielt. Zweimal verpassten BMW-Piloten nur knapp das Podium.

Im Rückblick auf seine persönliche und einzigartig erfolgreiche Karriere im Rennsport verriet der langjährige Teammanager und spätere Teamchef Charly Lamm nach seinem letzten Renneinsatz für BMW und Schnitzer beim GT World Cup in Macau, bei dem ihm Augusto Farfus unter Tränen den Sieg zum Abschied widmete, im Gespräch mit dem Motorsport-Magazin: "Dieses Rennen gehört sicher dazu. Aber natürlich auch unser toller Erfolg in Le Mans und die Schnitzer-Doppelsiege bei den 24-Stunden-Rennen in Spa 1985 und 1990 sowie am Nürburgring 2004 und 2005."

Dazu muss man wissen, dass Lamm bei seiner Lieblingsdisziplin Langstreckenrennen ein perfekter Vorbereiter und Stratege war, der nichts, aber auch gar nichts dem Zufall überließ. Nicht umsonst ist das BMW Team Schnitzer die einzige Mannschaft weltweit, die bis heute die berühmten 24-Stunden-Rennen in Le Mans, Spa und auf dem Nürburgring gewonnen hat und dabei insgesamt elfmal erfolgreich war. Das Erbe in Le Mans soll ab 2024 das neue BMW-Partnerteam WRT mit dem LMDh-Wagen namens BMW M Hybrid V8 fortführen...

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