Hinter den Kulissen der Formel E brodelt es ganz gewaltig! Der Elektro-Rennserie droht eine offizielle Meisterschaftsentscheidung erst nach dem Ende der Saison 2023 am 'Grünen Tisch'. Neben Porsche, wie wir in der Nacht auf Sonntag ausführlich berichtet hatten, hat jetzt auch das Team NIO 333 beim Saisonfinale in London einen Einspruch angekündigt.
Ziehen einer oder beide Rennställe ihre Ankündigung innerhalb der jeweiligen Frist von 96 Stunden durch, geht es anschließend vors FIA-Berufungsgericht. Es könnte dann Wochen oder potenziell Monate dauern, bis es finale Rennergebnisse und Meisterschaftsstände gibt.
NIO 333 hadert mit der Entscheidung der Sportkommissare, Sergio Sette Camara vom Samstagsrennen zu disqualifizieren. Der Brasilianer hatte das chaotische Rennen auf dem fünften Platz beendet und NIO in der Team-Wertung damit vom zehnten auf den neunten Platz befördert. Jede Position in der Team-WM der Formel E ist natürlich eine Menge Geld wert, die gerade Teilnehmer wie NIO 333 gut gebrauchen können.
Rudert Porsche bei Titelgewinn zurück?
Im Falle von Porsche geht es sogar um den Gewinn der Team-Weltmeisterschaft. Vorstellbar wäre, dass der Sportwagenbauer seinen angekündigten Einspruch zurückzieht, sofern es im Sonntagsrennen (ab 18:00 Uhr live bei ProSieben) für den Titelgewinn reicht.
Danach sieht es nach dem Qualifying allerdings nicht aus. Pascal Wehrlein und Teamkollege Antonio Felix da Costa starten von den Plätzen 10 und 20, während die Konkurrenz von Envision-Jaguar und dem Jaguar-Werksteam weit vorne steht.
Disqualifikation: NIO missachtet FIA-Anweisung
Bei NIO kam es zu einem Vorfall, der unter anderem auch Porsche betraf und was für riesengroße Diskussionen im gesamten Fahrerlager von London sorgt. Der chinesisch-britische Rennstall sei im Samstagsrennen während der zweiten Rot-Phase mehrfach darauf hingewiesen worden, aus Sicherheitsgründen den Frontflügel an Sette Camaras Auto zu wechseln. NIO sei dieser Aufforderung durch den stellvertretenden Technischen Delegierten der FIA jedoch nicht nachgekommen.
"Während der Anhörung teilte der Teilnehmer (NIO; d. Red.) mit, dass die gebrochene Nase bereits vor der ersten roten Flagge bestand und vom Team als sicher angesehen wurde", hieß es im Urteil der Sportkommissare, das erst 16 Stunden nach dem Rennende veröffentlicht wurde. "Die Sportkommissare sind der Ansicht, dass der Teilnehmer den Anweisungen eines Offiziellen offensichtlich nicht Folge geleistet hat."
Sicher oder nicht sicher: Das ist hier die Frage
Beim Chaos-Rennen am Samstag mit zwei Safety-Car-Phasen, zwei Unterbrechungen durch rote Flaggen, vielen Kollisionen und Kontroversen kam mehr als je zuvor die Frage über die Sicherheit auf. Zahlreiche Autos wiesen Beschädigungen auf und es musste innerhalb kurzer Zeit durch die FIA geklärt werden, ob sie das Rennen nach der Rot-Unterbrechung ohne Reparaturarbeiten wieder würden aufnehmen dürfen. Das war absolut entscheidend, denn: Wenn unter Rot am Fahrzeug in der Garage gearbeitet wird, muss dieses Auto beim Re-Start ans Ende der Startaufstellung.
Wenig überraschend versicherten sämtliche Teams, dass ihre Autos trotz losen Frontflügeln oder schleichenden Plattfüßen den Sicherheitsansprüchen genügen würden. Bei nur noch wenigen zu fahrenden Runden hätte eine Rückversetzung ans Ende des Feldes quasi das 'Todesurteil' bedeutet. Und in der Formel E hält sich der Effekt der Aerodynamik derart in Grenzen, dass die Autos sogar mit einem fehlenden Frontflügel locker bei der Performance mithalten können.
Es liegt in der Verantwortung der Technischen Delegierten der FIA, ein Auto als sicher oder als unsicher einzustufen. Am Samstag in London traf es etwa Rene Rast (McLaren) und Pascal Wehrlein (Porsche) nach ihrem Crash, der Rast eine 5-Sekunden-Zeitstrafe, einen zerstörten Frontflügel und einen beschädigten Dämpfer einhandelte.
Porsche: "Wir hätten den Frontflügel nicht gewechselt"
Während die Angelegenheit beim dreifachen DTM-Champion in Diensten von McLaren angesichts des defekten Dämpfers eindeutig war, sah es bei Porsche etwas anders aus. Wehrlein konnte nur schwer nachvollziehen, warum an seinem Auto der Frontflügel gewechselt werden musste und er deshalb ans Ende des Re-Start-Feldes zurückfiel. Ohne Reparatur hätte er das Rennen auf dem dritten Platz wiederaufnehmen und möglicherweise um den Sieg kämpfen können.
"Das Fahrzeug wurde vom Technischen Delegierten als unsicher eingestuft", sagte Porsche-Gesamtprojektleiter Florian Modlinger zu Motorsport-Magazin.com. "Wir mussten in die Box zurück, um den Frontflügel zu wechseln. Das war eine klare Ansage, und an die haben wir uns gehalten. Wenn man sich andere Fahrzeuge anschaut, was da an Teilen rumhing oder die auch ohne Frontflügel rausgefahren sind, muss man sich die Frage stellen, ob da einheitlich vorgegangen wird. Wir hätten es nicht gemacht, aber es gab die Ansage vom Technischen Delegierten."
Woran sich Porsche hielt, ignorierte auf der Gegenseite NIO 333 offenbar bei Sette Camaras Auto. Hätte hier auch der Flügel ausgetauscht werden müssen, hätte er das Rennen wohl niemals auf dem fünften Platz beendet. Diese Geschichte dürfte die Formel E auch unabhängig von möglichen Verhandlungen vor dem FIA-Berufungsgericht noch lange nach dem Saisonende beschäftigen.
Felix da Costa schießt gegen FIA: "Nicht gut genug"
Ebenso der Sicherheits-Fall rund um den zweiten Porsche-Fahrer, Antonio Felix da Costa. Die FIA-Sportkommissare brummten dem Portugiesen während des laufenden Rennens eine 3-Minuten-Zeitstrafe auf, weil er den Mindest-Reifenluftdruck von der 33. Runde bis zum Rennende unterschritten habe. Exklusivausstatter Hankook gibt in der Formel E einen Mindestdruck von 1,2 bar vor, der nicht unterschritten werden darf.
Das war bei Felix da Costa tatsächlich der Fall und wurde schon während der 22-minütigen Rot-Unterbrechung in Folge eines Unfalls von Sacha Fenestraz diskutiert. Laut Porsche habe es sich um einen schleichenden Plattfuß am rechten Vorderreifen gehandelt, der "aber so langsam war, dass er niemals sicherheitskritisch war, keinen Performance-Vorteil gebracht hat und klar von außen herbeigeführt wurde", wie Porsche-Leiter Modlinger gegenüber Motorsport-Magazin.com versicherte.
Felix da Costa schäumte nach dem Rennen vor Wut. "Wenn ich eine Strafe bekomme, weil ich zu wenig Luftdruck im Reifen habe, dann denken die Leute, wir seien Betrüger", sagte der frühere Formel-E-Meister in der Mixed Zone. "Aber wir bei Porsche betrügen nicht! Wir sind ein tolles Rennen gefahren, und das nimmt man uns nun weg."
Felix da Costa, einmal in Rage, weiter: "Das ist total enttäuschend. Ich glaube nicht, dass sie ausreichend technische Expertise haben, um eine Meisterschaft wie diese mit all diesen Herstellern und Fahrern zu regulieren. Die sind nicht gut genug. So simpel ist das." Heute habe der Sport, die Formel E und die FIA verloren, legte Felix da Costa später auf Twitter nach. Das sei nicht das erste Mal gewesen, dass die FIA inkonstante Strafen verteile.
Ob es eine Ansage des Technischen Delegierten gab, den Reifen auszutauschen (behauptet die FIA) oder nicht (behauptet Felix da Costa), damit könnte sich demnächst das FIA-Berufungsgericht beschäftigen...
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