Porsche bleibt langfristig in der Formel E und hat sein Engagement vorzeitig um mindestens zwei weitere Jahre verlängert. Galt die bisherige Vereinbarung zwischen dem Autobauer und der Elektro-Rennserie zunächst bis Ende 2024, können alle Verantwortlichen nun bis mindestens Ende 2026 und damit dem Ende des aktuellen, vier Saisons umfassenden Gen3-Zyklus planen.

Das Grüne Licht aus dem Porsche-Vorstand kurz vor dem Saisonfinale in London (29./30. Juli 2023) kann als zukunftsweisender Meilenstein in der Geschichte der Formel E bezeichnet werden. Die Marke aus Zuffenhausen gilt als Leuchtturm im Rennsport, etwa auf einem Level mit Ferrari. Potenzielle Neueinsteiger - die Formel E hat noch eine freie, zwölfte Startlizenz - dürften dies als positives Zeichen bewerten. Der dringend benötigte Kostendeckel (25 Mio. Euro pro Hersteller, 13 Mio. Euro pro Team) ist ein weiteres.

Elektro-Motorsport: Keine Alternative zur Formel E

Während Audi und BMW Ende 2021 sowie Mercedes-Benz nach dem zweifachen WM-Titelgewinn Ende 2022 die Werks-Stecker zogen, hält Porsche der Formel E weiter die Stange. Eine echte Alternative für rein-elektrischen Motorsport gibt es nicht. Um eine von der FIA ins Leben gerufene Tourenwagen-Meisterschaft für E-Autos, die sich speziell an Hersteller richtet, ist es still geworden. Und Pläne für eine 'DTM Electric' liegen nicht erst seit der Übernahme durch den ADAC auf Eis.

Wenn eine Marke jetzt den Motorsport nutzen will, um Straßenautos mit Batterieantrieb zu bewerben, kommt man auf diesem Niveau praktisch praktisch nicht um die Formel-E-Weltmeisterschaft herum. "Sie bietet das wettbewerbsstärkste Umfeld, um die Entwicklung von High-Performance-Fahrzeugen mit Schwerpunkten auf Umweltfreundlichkeit und Energieeffizienz zu beschleunigen", betonte Michael Steiner, Vorstand für Forschung und Entwicklung der Porsche AG.

Oliver Blume, CEO VW und Porsche, mit Formel-E-Gründer Alejandro Agag und Formula E CEO Jeff Dodds in Rom
In Rom: Alejandro Agag, Thomas Laudenbach, Oliver Blume und Jeff Dodds, Foto: LAT Images

Warum zogen Audi, BMW und Mercedes den Stecker?

Bis 2030 will Porsche über 80 Prozent seiner Fahrzeuge vollelektrifiziert ausliefern und baut derzeit eigene Schnellladestationen samt Markenerlebnis in Deutschland, Österreich und der Schweiz auf. Anfang kommenden Jahres sollen die Schnellladesäulen sogar 400 kW abgeben können. Ebenso engagiert sich Porsche längst auch in der Entwicklung von eFuels. Konzernschwester Audi will bis 2023 voll-elektrisch werden.

Noch heute wundern sich viele Beobachter, warum mit Ausnahme von Porsche keiner der weiteren deutschen Premiumhersteller sein Formel-E-Engagement fortgesetzt hat. Nachvollziehbare Gründe wurden von offizieller Stelle jedenfalls nie kommuniziert.

Audi hat seine Startlizenz - den angesprochenen zwölften Platz im Teilnehmerfeld - mit einem zweistelligen Millionenwert sogar 'kostenlos' an die Formel E zurückgegeben, weil sich in der Kürze der Zeit kein adäquater Nachfolger finden ließ. Das damalige Kundenteam Envision nutzte den fertigentwickelten Audi-Antriebsstrang noch in der Saison 2022 und war damit konkurrenzfähig.

Audi und BMW stiegen Ende 2021 aus der Formel E aus, Foto: LAT Images
Audi und BMW stiegen Ende 2021 aus der Formel E aus, Foto: LAT Images

Formel-E-CEO: Wäre nicht von deutschen Rückkehrern überrascht

Dem neuen Geschäftsführer der Formel E, Jeff Dodds, ist die weitere Arbeit mit dem Porsche-Coup sicherlich erleichtert worden. "Und ich wäre nicht überrascht, wenn einer der deutschen Hersteller in die Serie zurückkehren würde", sagte der Brite zuletzt in Rom zu Motorsport-Magazin.com. "Das würde ich sehr gerne sehen. Mercedes-Benz hat eine so große Motorsportgeschichte, ebenso BMW und Audi. Wir haben noch einen freien Startplatz und den wollen wir nicht einfach so weggeben, sondern an ein weiteres Marken-Powerhouse vergeben. Das könnte eine Motorsportmarke sein, aber auch etwas wie Microsoft oder Google."

Eine Rückkehr von Audi dürfte nach dem kürzlich erfolgten Motorsport-Beben - der Einstellung sämtlichen Werkssports mit Ausnahme der Formel 1 - in weiter Ferne liegen, sofern der neue CEO und Nachfolger von Markus Duesmann, Gernot Döllner, nach seinem Amtsantritt im September nicht doch anderweitige Pläne verfolgt. BMW ist dieses Jahr - wie Porsche - mit einem LMDh-Auto auf die Langstrecke zurückgekehrt und engagiert sich im Kundensport. Mercedes setzt neben der Formel 1 ebenfalls auf den globalen Kundenbereich.

Motorsport-Magazin.com weiß: Bei einem Hersteller-Meeting mit der Formel E im Rahmen des Monaco ePrix Anfang Mai sollen mehrere Vertreter deutscher Hersteller am Tisch gesessen haben. Bei dem Treffen ging es um die langfristige Zukunft der Formel E. Planungen für die Entwicklung des künftigen Gen4-Rennwagens ab 2027 sind längst im Gange.

Formel E: Gen4-Auto mit über 800 PS und Allrad?

Der Bolide verspricht einen weiteren deutlichen Performance-Fortschritt. Die Rede ist von 600 kW, was rund 815 PS entspricht. Die aktuellen Autos bringen es auf eine Maximalleistung von 350 kW (476 PS). Aufgrund der Mehrleistung könnte die Formel E in Zukunft sogar häufiger als bisher auf permanenten Rennstrecken gastieren.

Porsche hat im Zuge der Vertragsverlängerung bestätigt, bei der Konzeption des Gen4-Autos eine aktive Rolle spielen zu wollen. Zuletzt hatte sich Porsche-Gesamtprojektleiter Florian Modlinger etwa für einen temporären Allradantrieb ausgesprochen. "Das würde uns als weiteren technologischen Vorsprung interessieren", sagte er zu Motorsport-Magazin.com. "Man muss das immer gesamthaft betrachten: Wie schwer bleiben die Autos zu fahren? Setzt man Allrad temporär ein? Man muss im Reglement klare Grenzen setzen."

Gen3.5-Auto mit temporären Allradantrieb geplant

Auf dem Weg zur Gen4 erwartet die Formel E übernächstes Jahr erst einmal ein Update des aktuellen Gen3-Wagens. Jetzt ist klar, dass auch Porsche 2025 und 2026 mit einem 'Gen3.5' an den Start rollen wird - voraussichtlich ebenso das aktuelle Porsche-Kundenteam Andretti, das mit Jake Dennis vor dem Gewinn der Weltmeisterschaft steht, während Werkspilot Pascal Wehrlein nur noch theoretische Titelchancen hat.

Ein temporärer Allradantrieb könnte schon im Gen3.5 zum Einsatz kommen. Im aktuellen Fahrzeug ist bereits ein zusätzlicher 250-kW-Frontmotor verbaut, der allerdings ausschließlich zur Energierückgewinnung genutzt werden kann. "Beim Gen3.5 kann er nicht dauerhaft (zur Leistungsabgabe; d. Red.) genutzt werden, vielleicht aber in den Duellen eines Qualifyings, beim Rennstart oder während des Attack Modes", verriet Alessandra Ciliberti, Formel-E-Technikchefin der FIA, jüngst dem 'Il Messaggero'.

Die Formel E gastierte 2023 erstmals in Portland, USA, Foto: LAT Images
Die Formel E gastierte 2023 erstmals in Portland, USA, Foto: LAT Images

VW-CEO Blume zu Besuch bei der Formel E

Ein klar erkennbarer Performance-Fortschritt in der Formel E dürfte auch Oliver Blume, dem CEO von Volkswagen und Porsche in Personalunion, recht sein. Der Konzernchef war beim vergangenen Rennwochenende in Rom nebst Porsche-Vorstandsmitglied Steiner wie schon zuvor in Berlin zu Gast und tauschte sich unter anderem mit den Formel-E-Verantwortlichen aus.

Motorsport-Magazin.com beobachtete in Rom, wie sich Blume, Steiner, Formel-E-Gründer Alejandro Agag und Co. auf den Weg zum gemeinsamen Foto begaben, das wenige Tage später zusammen mit der Porsche-Bekanntgabe an die Medien verschickt wurde. Just in diesem Moment saßen wir gemeinsam mit Porsche-Motorsportchef Thomas Laudenbach direkt hinter der Porsche-Garage im Interview, in dem er die FIA-Stewards deutlich bezüglich der Flaggen-Regelung kritisierte.

Laudenbachs Unmut tat der Porsche-Entscheidung, langfristig in der Formel E zu bleiben, natürlich keinen Abbruch. Einen ersten Hinweis auf die bereits vor einiger Weile beschlossene Fortsetzung des Werksengagement gab uns Formel-E-CEO Jeff Dodds bereits am Freitagmorgen in Rom, als er im Interview für die kommende Print-Ausgabe von Motorsport-Magazin.com (erscheint am 11. August 2023) eine baldige Entscheidung in dieser Causa in den Raum warf.

Porsche Formel-E-Team
In Rom abgelichtet: Die Bosse von Porsche und der Formel E, Foto: Porsche Media

Holt Porsche den ersten Titel im vierten Formel-E-Jahr?

Das Porsche-Werksteam mit Wehrlein und Teamkollege Antonio Felix da Costa könnte die Verlängerung des Formel-E-Deals mit dem ersten Titelgewinn in seiner vierten Saison 'feiern'. Vor dem London-Finale belegen die Zuffenhausener den zweiten Platz in der Team-Wertung hinter dem Jaguar-Kundenteam Envision (Nick Cassidy/Sebastien Buemi). Der Rückstand auf das Privatteam beträgt 14 Punkte. Wehrlein kann seine Titelambitionen nach zwischenzeitlicher Gesamtführung mit nun 49 Zählern Abstand zu Spitzenreiter Jake Dennis vom Porsche-Kundenteam Andretti unterdessen mehr oder weniger begraben.

Porsche erlebt mit dem neuen Gen3-Auto zwar seine bisher erfolgreichste Saison in der Elektro-WM, liegt in beiden Wertungen aber ausgerechnet hinter privaten Kundenteams. Was in anderen Rennserien und Rennen kaum denkbar wäre, hat in der Formel E schon eine kleine Tradition. So gelang es bereits dem Renault-Kundenrennstall Techeetah (heute DS Penske) mit Jean-Eric Vergne in der Vergangenheit, dem Motorenlieferanten den Titel wegzuschnappen. Ein Grund, warum sich gewisse Hersteller nicht 'trauen', Geld in die Formel E zu investieren?

Dodds: "Wir müssen massiv den Sound aufdrehen"

Der Erfolg spielte in den Entscheidungen der Porsche-Vorstandsetage eine wichtige, aber nicht die entscheidende Rolle. Wichtiger ist der Blume und Co. das Wachstum der Plattform aus kommerzieller und sportlicher Sicht. In beiden Bereichen gibt es noch viel Luft nach oben.

Weiß auch der neue Formel-E-Geschäftsführer Dodds, der uns sagte: "Es gibt tolle Rennen und erstaunliche Nachhaltigkeitsgeschichten sowie Partnerschaften mit großen Marken, aber wir erzeugen nicht genug Aufsehen. Meine Ambition ist es, herauszufinden, wie wir die Lautstärke des Sports erhöhen können. In den nächsten 12 Monaten müssen wir massiv den Sound aufdrehen: größere und umfassendere Medienverträge, Zusammenarbeit mit anderen großen Marken, mehr PR und Beteiligung von Prominenten. Wir müssen uns als Unterhaltungsbranche betrachten."

Formel-E-Tabelle 2023 nach 14/16 Rennen (Top-8)

Pos.FahrerTeamPunkte
1Jake DennisAndretti-Porsche195
2Nick CassidyEnvision-Jaguar171
3Mitch EvansJaguar151
4Pascal WehrleinPorsche146
5Jean-Eric VergneDS Penske107
6Maximilian GüntherMaserati-DS101
7Antonio Felix da CostaPorsche93
8Sebastien BuemiEnvision-Jaguar82