Beim Rennwochenende der Formel E in Rom ging es nicht nur auf der Strecke hitzig zu, auch hinter den Kulissen wurde heiß diskutiert. Im Mittelpunkt: Porsche-Motorsportchef Thomas Laudenbach, der auf Konfrontationskurs mit der FIA beziehungsweise den Sportkommissaren des Motorsport-Weltverbandes ging. Sogar in einer offiziellen Pressemitteilung des Sportwagenbauers bekundete er "große Sorgen", dass bei gelben Flaggen die Geschwindigkeiten nicht mehr angemessen reduziert würden.

Für Laudenbach sei es "unverständlich, wieso es nicht geahndet wird, wenn im Qualifying in einem Sektor mit gelben Flaggen Bestzeiten gefahren werden". Markige Worte in einer durchaus pikanten Angelegenheit, schließlich hat sich die FIA die Sicherheit der Teilnehmer auch mit Blick auf ihr Engagement im Straßenverkehr ganz groß auf die Fahnen geschrieben.

Porsche-Motorsportchef: "Fehlentscheidung der Stewards"

Wenn ein Rennfahrer Kritik am Renndirektor oder den Sportkommissaren äußert, gehört das praktisch zum Tagesgeschäft. Handelt es sich aber um den Motorsportchef eines großen und auch im Rennsport bedeutsamen Autobauers, erhält diese Angelegenheit eine besondere Würze. Auf Nachfrage von Motorsport-Magazin.com in Rom am Sonntag sprach Laudenbach unverblümt von einer "Fehlentscheidung der Stewards".

Was den Motorsportchef derart direkt werden ließ, war ein Vorfall im Qualifying am Samstag. Sam Bird (Jaguar) wurde in der Quali-Gruppe A zunächst seine schnellste Rundenzeit aberkannt, weil er mutmaßlich zu schnell während einer gelben Flagge auf der Strecke gefahren war. Wenig später korrigierten die Sportkommissare ihre Entscheidung und erkannten die Runde des Briten wieder an. Bird zog als Zweitschnellster der Gruppe in die Duellphase ein, wo er erst im Finale seinem Jaguar-Teamkollegen und Titelkandidaten Mitch Evans absichtlich unterlag.

Jaguar-Pilot Sam Bird beim Formel-E-Rennen in Rom
Sam Bird während des Formel-E-Qualifyings in Rom, Foto: LAT Images

Bird: Persönliche Sektorbestzeit unter gelben Flaggen

Gelbe Flaggen wurden im Bereich von Turn 4 geschwenkt, einer Linkskurve nach einer längeren Geraden, nachdem Sergio Sette Camara (NIO 333) dort in Folge eines Drehers vor der Auslaufzone kurzzeitig zum Stehen gekommen war. In der betreffenden Runde (5) fuhr Bird im ersten Sektor (Kurve 1 bis 5) eine Zeit von 24,816 Sekunden und erzielte damit seine persönliche Sektorenbestzeit - 0,146 Sekunden schneller im Vergleich zu seiner vorangegangenen Sektorenbestzeit. Es war gleichzeitig die drittbeste Sektor-1-Zeit aller elf Fahrer in der Qualifying-Gruppe A.

"Für mich war er (Bird) definitiv am Limit unterwegs", argumentierte Laudenbach. "Und das finde ich falsch. Hier geht es um die Sicherheit der Fahrer. Ich bin der Meinung, dass es bei gelben Flaggen eine sehr klare Definition der FIA gibt. Die heißt nicht, dass ich irgendeine Reaktion zeigen oder kurz lupfen muss. Sondern, dass ich verlangsamen muss, um sicher zu sein. Es geht um die Sicherheit, und damit bin ich nicht einverstanden." Neben Bird stand in dieser Situation auch Weltmeister Stoffel Vandoorne (DS Penske) unter Beobachtung der Rennleitung, hier verzichteten die Stewards ebenfalls auf eine Bestrafung.

Qualifying-Gruppe A in Rom: Bestzeiten in Sektor 1 (Top-5)

Pos.FahrerPers. Bestzeit Sektor 1
1Sacha Fenestraz24,774 Sek.
2Pascal Wehrlein24,791 Sek.
3Sam Bird24,816 Sek.
4Andre Lotterer24,832 Sek.
5Jean-Eric Vergne24,852 Sek.

Laudenbach: Kritik hat nichts mit Wehrlein zu tun

Hätte Bird die Rundenzeit aberkannt bekommen, wäre stattdessen Porsche-Werksfahrer Pascal Wehrlein als Vierter in die Top-4 der Gruppe A und damit in die Duellphase vorgerückt. Statt das Rennen dann sicher aus den Top-8 der Startaufstellung aufzunehmen, belegte Wehrlein, der noch theoretische Titelchancen hat, als Gruppen-Fünfter den zehnten Startplatz. "Das hat nichts damit zu tun, ob es uns trifft oder nicht", versicherte Laudenbach bezüglich seiner Kritik.

Im International Sporting Code der FIA ist geregelt, wie sich ein Fahrer bei einer einfach gelb geschwenkten Flagge zu verhalten hat. So wird vom Fahrer erwartet, dass er die Geschwindigkeit reduziert, nicht überholt und bereit ist, die Richtung zu ändern. Es muss nachweisbar sein, dass der Fahrer seine Geschwindigkeit reduziert, was bedeute, früher zu bremsen/den Speed in diesem Sektor spürbar zu verlangsamen.

Formel E in Rom: Sam Bird im Jaguar und gelbe Flaggen auf der Strecke
Gelbe Flaggen beim Rom ePrix 2023 der Formel E, Foto: LAT Images

FIA: Neue Beweise verschafften Stewards neue Perspektive

Motorsport-Magazin.com hakte bei der FIA nach, mit welcher Begründung Birds Rundenzeit nachträglich anerkannt wurde, obwohl er eine persönliche Sektorenbestzeit erzielte, welche Daten für diese Entscheidung herangezogen wurden, ob auch Mikro-Sektorenzeiten analysiert wurden und ob der Jaguar-Pilot seine Geschwindigkeit spürbar verringert habe.

Antwort eines FIA-Sprechers: "Die Stewards entschieden, Sam Birds schnellste Runde wieder anzuerkennen, basierend auf Beweisen, die ihnen zum Zeitpunkt ihrer ersten Entscheidung, seine Runde aufgrund mangelnder Verlangsamung zu annullieren, nicht vorlagen. Diese Beweise, die Daten, OBC (Onboard-Kamera)- und CCTV (Strecken-Kamera)-Bilder umfassten, lieferten den Stewards eine neue Perspektive des Vorfalls, wodurch sie feststellten, dass der Fahrer in dieser speziellen Kurve ausreichend verlangsamt hatte. Das ist ein normaler Prozess, um Entscheidungen zu überprüfen, falls neue Beweise vorliegen."

Formel E: Warum Porsche auf einen Protest verzichtete

Laudenbach suchte in Rom das Gespräch mit den Sportkommissaren und auch mit dem ihm seit vielen Jahren bekannten Renndirektor Scot Elkins, nachdem Porsche um eine Klarstellung gebeten hatte. "Wir wollten erklärt bekommen, warum Sam Bird seine Zeit zurückbekommen hat", sagte er. "Dann hat man uns erklärt, wieso, weil er kurz gelupft hätte. Ich will das nicht zu sehr ausbreiten. Ich habe eine andere Meinung."

Auf einen offiziellen Protest in Rom habe Porsche, das VW/Porsche-CEO Oliver Blume und Porsche-Vorstandsmitglied Michael Steiner vor Ort begrüßte, laut Laudenbach verzichtet. Ein längerer Prozess vor dem FIA-Berufungsgericht hätte dafür sorgen können, dass beim bevorstehenden Saisonfinale in London (29./30. Juli) wegen vorläufiger Ergebnisse kein offizieller Weltmeister gekürt werden kann: "Wir sollten alles tun, um zu vermeiden, dass Meisterschaftsentscheidungen am grünen Tisch gefällt werden."

Oliver Blume, CEO VW und Porsche, mit Formel-E-Gründer Alejandro Agag und Formula E CEO Jeff Dodds in Rom
Rom: Alejandro Agag, Thomas Laudenbach, Oliver Blume und Jeff Dodds, Foto: LAT Images

Laudenbach: "Für mich das falsche Zeichen"

Laudenbach weiter: "Wenn früher jemand seine schnellste Runde unter Gelb gefahren ist, wurde sie ihm aberkannt. Das war manchmal hart, weil es ja sein kann, dass er in dem Sektor verlangsamt hat. Heute haben wir aber Mikro-Sektoren, und es ist für mich okay, wenn jemand seine schnellste Runde fährt. Wenn er aber genau in dem Segment schneller ist, dann ist das für mich das falsche Zeichen. Und das haben wir im Rennen gesehen. Deshalb plädiere ich dafür, weiter darauf zu achten, dass wir diese Grenzen für die Fahrer nicht noch weiter rausschieben."

Ob Laudenbach mögliche Konsequenzen in Folge seiner öffentlich geäußerten und im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com wiederholten Kritik an den Sportkommissaren bzw. der FIA bevorstehen, beantwortete ein Sprecher des Motorsport-Weltverbandes auf Nachfrage nicht.

FIA: Sicherheit war und wird immer oberste Priorität sein

Bezüglich der von Laudenbach angemerkten Sicherheitsbedenken, hieß es seitens des FIA-Sprechers: "Die Sicherheit war und wird immer die oberste Priorität der FIA sein. Die FIA hat - in ihrer Rolle als Dachverband - die Regeln fair und angemessen angewendet, und die Sportkommissare trafen ihre Entscheidung auf der Grundlage aller verfügbaren Informationen. Porsche hatte zu dieser Zeit die Möglichkeit, gegen diese Entscheidung Einspruch einzulegen, entschied sich jedoch dagegen."

Auf unsere Frage, welchen Vorschlag er habe, mit derartigen Vorfällen umzugehen, antwortete Laudenbach: "Heute haben wir Mikro-Sektorenzeiten. Dann würde ich erwarten, dass man die sich anguckt und sagt: 'In dem Sektor muss erkennbar sein, dass ein Fahrer spürbar langsamer geworden ist'. Das ist ein eindeutiges Indiz dafür, dass er vom Limit weggegangen ist und der Sicherheit Genüge getan hat. Weil, am Limit fliegen die Jungs ab und am Limit gibt es Unfälle. In allen anderen Sektoren darf er so schnell fahren wie er will. Das wäre der richtige Weg."

Formel-E-Tabelle 2023 nach 14/16 Rennen (Top-8)

Pos.FahrerTeamPunkte
1Jake DennisAndretti-Porsche195
2Nick CassidyEnvision-Jaguar171
3Mitch EvansJaguar151
4Pascal WehrleinPorsche146
5Jean-Eric VergneDS Penske107
6Maximilian GüntherMaserati-DS101
7Antonio Felix da CostaPorsche93
8Sebastien BuemiEnvision-Jaguar82